Style: Was hat singen genau mit dem Bewegungskonzept der Spiraldynamik zu tun?
Dr. Christian Larsen: Der Körper ist beim Singen im Dauereinsatz. Um einen Ton lauter, höher oder länger zu machen, braucht es viel Know-how und eine präzise Wahrnehmung des eigenen Körpers. Genau diese Lücke schliesst die Spiraldynamik: Die anschaulichen, bildhaften und wirkungsvollen Übungen in unserem Buch «Einfach singen» helfen, den Körper während des Singens aktiv und geschmeidig zu halten. Eine wunderbare Ergänzung zu den gängigen Gesangsübungen.
Welcher Körperteil wird dabei am meisten gefordert und trainiert?
Vereinfacht lässt sich sagen: Der «nackte Ton» entsteht im Kehlkopf, die «volle Stimme» – Resonanz, Volumen, Höhen und Tiefen, Timbre und Ausstrahlung – entsteht erst im Körper. Beim Singen ist immer der ganze Körper gefordert: Haltung, Atmung und Stimme beeinflussen sich gegenseitig und funktionieren nur miteinander. Speziell das Zwerchfell, die Zwischenrippenmuskulatur und die gesamte Atemmuskulatur werden intensiv gefordert und systematisch trainiert. Lippen, Zunge und feine Gesichtsmuskeln sind im Dauereinsatz. Bauch-, Flanken- und Rückenmuskulatur sind für Haltung und Lautstärke entscheidend.
Welchen Einfluss hat Singen auf die Gesundheit?
Studien zeigen: Singen belebt Körper und Geist, es fördert Schlaf und Entspannung, wirkt Wunder im Alter, reduziert Schmerz und Beschwerden, stärkt das Selbstvertrauen, verbindet Menschen, wirkt als Stimmungsaufheller und schützt vor Demenz. Ein natürliches Wundermittel sozusagen. Entdecken kann man es allerdings nur selbst. Co-Autorin Julia Schürer bringt es auf den Punkt: ‹Es geht nicht darum, ob du singen kannst oder nicht, es geht darum, ob du es tust oder nicht›.
Bei welchen gesundheitlichen Problemen wirkt singen am besten?
An erster Stelle stehen für mich die Entwicklung von Lebensfreude, Selbstvertrauen und Persönlichkeit. An zweiter Stelle folgen Atemprobleme. An dritter Position Beschwerden jeglicher Art. Egal, ob Schmerz oder Einschränkung, Arthrose, Demenz oder Krebsleiden – singen hilft grundsätzlich bei allem. Es stärkt die Stimme und die Stimmung. Oder wie Co-Autorin Dana Stratil sagt: ‹Wenn es stimmt mit der Stimme, stimmt vieles›.
Muss man für die richtige Wirkung zu einer Gesangslehrerin?
Professionelle Hilfe erleichtert es, die Stimme von Grund auf richtig auf- und auszubauen. Für die Wirkung auf das Wohlbefinden hingegen würde ich sagen: Sing einfach! Die Freude am Singen unter der Dusche muss man nicht lernen, nur entdecken – sie ist angeboren.
Weshalb getrauen sich viele Erwachsene nicht mehr zu singen?
Es sind meist unbedachte und vorschnelle Äusserungen von Eltern, Lehrpersonen oder Nachbarn, welche die Freude am Experimentieren mit der eigenen Stimme abwürgen. Ein falscher Satz im falschen Moment, und die Lust am Singen bleibt dem Kind im Hals stecken. Die Stimme wird kurzerhand hinter dicke Gitter gesteckt – meist lebenslänglich. Es braucht gute Gesangspädagogen, die fähig sind, mit viel Einfühlungsvermögen die Lust am Singen wieder hervorzulocken.
Wie kann sich das Körpergefühl durch singen verändern?
Beim Singen liegt viel Aufmerksamkeit auf der Haltung, auf der Atmung und auf der Tongebung. Die Haltung wird kontinuierlich verbessert, die Atmung gestärkt, und der Stimmumfang nimmt zu. Regelmässiges Singen ist hier der Schlüssel. Ein Mensch, der aufrecht stehen und gehen kann, frei atmet und dessen Stimme andere Menschen durch Wohlklang berührt – dieser Mensch lebt gerne in seinem Körper.