Der Gang zum Urologen ist für viele Männer eine Herausforderung, bei der sie ihre übliche Tapferkeit zu verlieren scheinen. In einer zuletzt viel zitierten Studie von Plan International gab rund die Hälfte der befragten Männer zwischen 18 und 35 Jahren an, gesundheitliche Probleme zu ignorieren. Und auch in Sachen Vorsorge hinkt ein Grossteil der Männer hinterher. Dabei können vernachlässigte Check-ups schwerwiegende Folgen haben – besonders im Bereich der Urologie. Was beim Urologenbesuch auf einen zukommt, wie oft man sich untersuchen lassen sollte und welche Fragen er in seiner Praxis besonders oft hört, verrät Urologe und Autor Dr. Christoph Pies («Keine Angst vorm Urologen» im Interview.
Warum scheuen so viele Männer den Besuch beim Urologen?
Dr. Christoph Pies: Drei von vier Männern haben zwar laut Befragungen ausgeprägte Krankheitsängste, lassen aber dennoch die angebotenen Untersuchungen aus Angst vor einer schlimmen Diagnose und den daraus folgenden Konsequenzen nicht durchführen. Krankheit bedeutet schliesslich Schwäche und das passt nicht in das Rollenverständnis eines starken Mannes.
Und so entwickelt der Mann Vermeidungsstrategien: Auf der Arztbesuch-Ausredenliste findet sich Zeitmangel auf Platz eins, gefolgt von Angst vor einer schlechten Diagnose und Respekt vor der Prostatauntersuchung mit dem Finger. Männer nehmen Vorsorgeuntersuchungen deutlich seltener wahr als Frauen. Die Vorsorgequote bei Frauen liegt bei über 40 Prozent, bei Männern nur bei gut 20 Prozent.
Was genau kommt bei einer urologischen Standarduntersuchung auf einen zu?
Dr. Pies: Die Untersuchung beinhaltet das Abtasten der Hoden und der Leisten und die Inspektion des Genitalbereiches auf Entzündungen und Veränderungen der Haut, sowie eine Beurteilung der Harnröhrenmündung und (ab dem 45. Lebensjahr) das Abtasten der Prostata mit dem Finger vom After her.
«Kleine Hafenrundfahrt» ist der umgangssprachliche Begriff für diese rektale Untersuchung. Dabei tastet der Urologe mit dem Finger die Prostata und den Enddarm ab, um herauszufinden, ob sich an der Prostata Tumoren tasten lassen.
Damit entdecken wir von zehn vorhandenen Prostatatumoren statistisch gesehen aber nur einen. Nämlich jene, die aussen an der Prostata sitzen. Derzeit können wir dem Geschehen innerhalb der Prostata nur über die Bestimmung des sogenannten PSA-Wertes im Blut näherkommen. Diesen Wert muss man jedoch selbst bezahlen.
Warum ist es so wichtig, regelmässig zum Check-up zu gehen und wie oft sollte man das tun? Welche Vorsorgeuntersuchungen sollte man nicht verpassen? Ab welchem Alter sollte man zur Untersuchung kommen?
Dr. Pies: Die von den Krankenkassen empfohlenen und bezahlten Routinekontrollen halte ich für unbedingt sinnvoll!
Aktuell stehen dem Mann die folgenden Untersuchungen gesetzlich zu:
Jungs zwischen 9 und 17 Jahren sollten sich gegen HPV impfen lassen, denn humane Papillom-Viren können beim Mann Viruswarzen und bei der Frau auch Vorstufen von Gebärmutterhalskrebs auslösen. Die Impfung machen normalerweise die Kinderärztinnen und -ärzte. Bei einem Mann führen die Viren zwar nur zu unangenehmen Warzen, aber mit der Impfung schützt er seine Sexualpartnerinnen vor Gebärmutterhalskrebs.
Männer ab etwa 20 Jahren sollten auch regelmässig ihre Hoden abtasten. In den frühen Erwachsenenjahren kommt es statistisch am häufigsten zu Hodentumoren. Zum Glück ist das ein Krebs, der sich in den meisten Fällen vollständig heilen lässt. Eine planmässige Kontrolle auf Hodentumore seitens der Krankenkassen gibt es derzeit nicht. Daher sollten junge Männer regelmässig die Hoden selbst abtasten! Anleitung: https://www.hodencheck.de/
Ab 35 erfolgt dann alle drei Jahre Gesundheits-Check-up beim Hausarzt (Herz-Kreislauf, Diabetes und Nieren, Urinkontrolle und erweiterte Blutuntersuchung mit Fettwerten), ebenso ein Hautkrebs-Screening alle zwei Jahre.
Mit 45 beginnt die eigentliche urologische Vorsorge. Es wird eine körperliche Untersuchung mit Abtasten von Leistenregion, Penis, Hoden und Prostata, jährlich empfohlen. Bei familiärer Belastung mit Prostatakrebs sollte man schon mit 40 damit beginnen.
Ab 50 beginnt dann die Darmkrebsvorsorge, die wahlweise einen jährlichen Test auf verstecktes Blut im Stuhl oder zwei Darmspiegelungen im Abstand von zehn Jahren beinhaltet.
Ab 60 sollte man die Grippeschutzimpfung und Pneumokokken-Impfung nicht vergessen und mit 65 wird im Ultraschall nach Erweiterungen der Bauchschlagader gesucht.
Darüber hinaus gibt es auch Zusatzuntersuchungen wie beispielsweise den Prostatakrebstest PSA, die im Einzelfall auch durchaus Sinn machen können.
Viele Männer gehen erst bei akuten Beschwerden zum Arzt. Was sind typische Symptome, mit denen Männern zu Ihnen kommen?
Dr. Pies: Ob und wann man eine Urologin oder einen Urologen aufsucht, ist auch eine Generationenfrage. Insbesondere die über 50-Jährigen haben meist noch die Einstellung: Wenn etwas kaputt ist im Körper, dann lasse ich es reparieren. Vorher ignoriere ich viele Anzeichen von Krankheit. Und wenn ein akutes Problem auftaucht, dann kann ich ja immer noch zum Arzt.
Das fehlende Gesundheitsbewusstsein beruht auf einer Mischung aus fehlender Risikokompetenz, kurzsichtigem Denken und Verdrängungsmechanismen. Besonders psychische Erkrankungen werden weggedrückt und sind unterdiagnostiziert. Auf organischer Ebene haben Männer mittleren Alters häufig Entzündungen der Prostata und ab 50 Beschwerden auch beim Wasserlassen durch eine Prostata-Vergrösserung.
Junge Männer hingegen zeigen ein zunehmend besseres Gesundheitsbewusstsein. Was manchmal ins Gegenteil umschlägt: Ein Beispiel: Ich sehe fast täglich das Krankheitsbild einer «overtreatment balanitis». Das ist eine Eichelentzündung, die durch zu viel Hygiene entstanden ist. Meist bei jüngeren Männern, die durch eine intensive, mehrmals tägliche Waschung mit Seife oder Duschgel die normale Hautflora zerstört haben, also den Schutzmantel der Haut.
Auf der Eichel leben normalerweise viele Arten von Bakterien, Viren und Pilzen friedlich miteinander. Durch zu viel Hygiene wird deren Gleichgewicht zerstört und die Pilze gewinnen die Überhand, weil sie am resistentesten sind. Dann entsteht die typische Rötung mit weisslichem Belag. Dann denkt der Mann, ich habe mich nicht genug gewaschen. Und er wäscht dann noch intensiver. Damit wird alles nur noch schlimmer.
Junge Männer kommen auch oft aus Angst vor Geschlechtskrankheiten, oder der Sorge vor Hodenkrebs, insbesondere nachdem 2022 vier Profi-Fussballer an einem Hodentumor erkrankt sind.
Potenzstörungen hingegen treten in allen Altersgruppen auf, nehmen aber auch mit dem Alter deutlich zu. Potenzstörungen haben oft ein Mosaik von Ursachen, organische wie psychische Faktoren spielen eine Rolle. Und diese beeinflussen sich gegenseitig. In den letzten Jahren sehe ich zunehmend junge Männer, die Potenzprobleme durch zunehmenden Leistungsdruck im Job, durch Paarprobleme, durch zu hohe sexuelle Erwartungen bekommen haben.
Welche Fragen hören Sie von Ihren Patienten besonders häufig? Welche Frage(n) treiben die meisten Männer um?
Dr. Pies: Die häufigste Frage lautet: «Ist das etwas Schlimmes?» Besonders im Hinblick auf Hoden- und Prostatakrebs. Aber oft tritt – begründet durch Scham und Unsicherheit – das eigentliche Problem, weshalb der Mann bei mir in der Sprechstunde ist, erst im Laufe eines vertrauensvollen Gespräches zutage...
Junge Männer sind oft verunsichert, was eine «normale Sexualfunktion» angeht, was zum Beispiel Grösse und Aussehen des Penis angeht – die Krümmung oder solche Sachen. Es bestehen überhöhte Erwartungen und falsche Einschätzungen in vielerlei Hinsicht. Der durchschnittliche Geschlechtsverkehr in Deutschland dauert zum Beispiel nur fünf Minuten. Wenn Männer befragt werden, schätzen sie diesen rückblickend aber auf bis zu 30 Minuten ein. Und jeder fünfte Mann stuft seinen Samenerguss als zu vorzeitig ein.
Und dann natürlich das grosse Thema Potenz. Potenzprobleme führen viele Männer erstmals zum Urologen – allerdings erst, wenn der Leidensdruck hoch genug ist. Manchmal ist es auch der Leidensdruck der Partnerin, der letztlich zum Urologenbesuch führt. Meist öffnet sich der Mann erst dann, wenn er vom Arzt aktiv darauf angesprochen wird. Ist dieser Einstieg einmal geschafft, kann sich eine grosse Offenheit und auch Dankbarkeit entwickeln, weil der Patient spürt, dass seine Beschwerden ernst genommen werden und auch behandelt werden können.
Sind die meisten Männer mit ihrem Penis zufrieden? Wie präsent sind die Themen Grösse und Aussehen in Ihrer Sprechstunde?
Dr. Pies: Insbesondere bei jungen Männern ist das Thema sehr präsent. Zur Information: Im Mittel ist der Penis im Ruhezustand durchschnittlich neun Zentimeter und in voller Grösse etwa 13 Zentimeter lang. Man sollte sich dabei immer bewusst machen, dass bei einem Mittelwert naturgemäss die eine Hälfte der Bevölkerung unterhalb dieses Wertes rangiert. Nur, dass niemand zu dieser Hälfte gehören möchte! In einer Befragung von über 25.000 Männern waren nur 55 Prozent zufrieden mit ihrer Penisgrösse, 45 Prozent wünschten sich einen grösseren Penis. Pornographische Darstellungen vermitteln dabei falsche Vorstellungen einer vermeintlichen «Norm». Die Nachfrage nach Penisvergrösserungen hat in den letzten Jahren spürbar zugenommen.
In ihrem Buch «Keine Angst vorm Urologen» beschreiben Sie den Penis als die «Antenne des Herzens». Was genau meinen Sie damit?
Dr. Pies: Es ist als Metapher gemeint: Eine Potenzstörung kann ein erster wichtiger Hinweis auf die Entwicklung von Durchblutungsstörungen sein, woraus sich dann auf Gefässschäden an anderen Organen wie Herz oder Gehirn schliessen lässt. Die Erektionsstörung geht nämlich mit ihren Symptomen einem Herzinfarkt oder Schlaganfall im Mittel zwei bis drei Jahre voraus. Der Penis ist also ein sehr effektives Frühwarnsystem für Durchblutungsstörungen! Dieses Alarmsignal muss sehr ernst genommen werden, insbesondere bei Rauchern! Daher die Metapher mit der Antenne.