«Das Wasser ist – auch abgesehen von der Temperatur – ganz anders als im Sommer», sagt ein mir bekannter Winterschwimmer. «Heller. Klarer. Dünner.» Das Schwimmen darin – es sei nahezu meditativ. Das ist einer von verschiedenen Gründen, sich der Kälte auszusetzen. Die Höchsttemperaturen des Zürisee betragen derzeit maximal 7,2 Grad. Über die gesundheitlichen Vorteile dieser Abkühlung wurde in den vergangenen Jahren einiges geschrieben.
Seit Jahren spricht sich das herum. Immer mehr Menschen wagen sich hinein, ins eisig kalte Wasser. Und das habe ja nur Vorteile, liest man. Gut fürs Immunsystem sei es – für den Stoffwechsel, die Durchblutung. Oder vereinzelt liest man, es beuge Demenz vor, das kühle Nass. Was stimmt davon wirklich und was sollte unbedingt vor dem ersten Sprung ins kalte Wasser beachtet werden? Wir haben bei Dr. med. Nora Wieloch, Oberärztin am Universitären Zentrum für Prävention und Sportmedizin (Universitätsklinik Balgrist), nachgefragt.
Vorteile
Ist Kälte wirklich ein Allheilmittel?
Dr. med. Nora Wieloch: Wer bei guter Gesundheit ist, sich darauf vorbereitet und regelmässig ins kalte Wasser steigt, kann sich tatsächlich über gesundheitliche Vorteile freuen. Studien zeigen, dass Winterschwimmer:innen seltener einen Infekt der oberen Atemwege haben oder sich bei ihnen ein weniger schwerer Verlauf zeigt.
Winterschwimmen soll auch gegen Depressionen helfen, Demenz vorbeugen …
Es gibt einen Fallbeschrieb einer einzelnen Frau, bei der sich die Depression gemildert hat. Grössere Studien findet man dazu in der Literatur nicht. Und bei Demenz bin ich nur auf eine Studie gestossen, bei der man Mäusen regelmässig Kälte ausgesetzt hat – die haben dadurch ein Protein entwickelt, das in der Lage ist Nervenverbindungen zu reparieren. Die Konsequenz daraus ist jetzt aber nicht, dass man die Leute baden schickt, sondern dass man dieses Protein künstlich herstellen würde ... Die Forschung steht in dem Bereich jedoch noch ganz am Anfang …
Aber auf das Immunsystem wirkt sich das kalte Wasser erwiesenermassen positiv aus?
Das Immunsystem kann sich verbessern, ja. Andererseits, wenn man jeweils zu lange im kalten Wasser bleibt, den Körper damit zu sehr unter Stress setzt, kann man der Immunfunktion sogar schaden. Übertreiben darf man es nicht.
Wann übertreibt man es?
Dazu gibt es leider keine Faustregel. Das ist abhängig von der Fitness der Person, oder des Fettgehalts des Körpers. Je höher der ist, desto besser ist die Isolation. Ich las mal von einem Bootsunfall von drei Fischern in Island. Das Boot kenterte. Zwei der Fischer sind innerhalb weniger Minuten erfroren, ertrunken. Der dritte – schwer übergewichtig – überlebte mehrere Stunden im Wasser, konnte sich an Land retten.
Welche Phasen durchläuft der Körper im eisigen Wasser?
In den ersten ein bis drei Minuten kommt es zu einem Kälteschock. Während dieser Zeit ist es wichtig, sich auf die Atmung zu konzentrieren. Ansonsten kann es besonders dann passieren, dass man beginnt zu hyperventilieren, also zu schnell atmet. Der Puls beschleunigt sich und man verliert die Kontrolle.
Wie lange man dann im Wasser bleiben kann und ab wann es zu einer Unterkühlung kommt, ist individuell sehr unterschiedlich. Nach dem Kälteschock beginnt sich die Unterhaut abzukühlen, sowie auch die darunter liegende Muskulatur und die Leitungsbahnen. Durch die Kühlung der Muskulatur kann diese schlechter aktiviert werden, die Schwimmeffizienz wird schlechter. Wenn die Körpertemperatur unter 35 Grad sinkt, wird es gefährlich.
Anfangen
Wie kann man sich aufs Winterschwimmen vorbereiten?
Wichtig ist, sich zu akklimatisieren. Ich würde empfehlen, nicht direkt im Winter zu starten, sondern mit der Saison zu gehen. Vom Sommer, über den Herbst, bis in die wirklich kalte Jahreszeit. Und besonders wichtig: Niemals alleine Schwimmen, immer mit Begleitpersonen.
Empfehlen Sie vor dem Beginn besondere Abklärungen zu treffen?
Ab dem 35. Lebensjahr nimmt das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich zu. Daher rate ich insbesondere ab diesem Alter zu einem Checkup, bevor man den Körper so extremem Stress aussetzt. Aber nicht nur vor dem Winterschwimmen, sondern generell bevor man mit einer neuen sportlichen Aktivität beginnt.
Und apropos «andere sportliche Aktivitäten»: Der eingangs erwähnte positive Effekt auf die oberen Atemwege zeigt sich auch, wenn man sich allgemein regelmässig bewegt. Auch an Land. Dazu muss man also nicht unbedingt ins kalte Wasser.
Eine gute Nachricht für alle Gfrörli. Denn die Gewässer werden ab jetzt immer kälter, bis sie im Februar den Tiefpunkt erreichen. Ist man es nicht gewohnt, bis zum Hals in einem kalten See zu stehen, fühlt es sich nicht so an, wie unser befreundeter Winterschwimmer anfangs meinte. Von wegen «meditativ». Man will erst einmal nur schreien, umschlossen von diesem stacheligen Wasser. Aber (mit der von der Expertin empfohlenen Vorsicht genossen): jedem das seine und jeder das ihre.