Es gibt nur drei Alter für Frauen in Hollywood: Babe, Staatsanwältin und Driving Miss Daisy», erklärte Goldie Hawn ihrem Gesichtschirurgen in der Komödie «First Wives Club» vor 25 Jahren. Sie hatte nicht unrecht. Zwischen «junge Geliebte» und «graue Eminenz» sind Frauen in komplexen Rollen rar. Und schon früh wird ihre Akte mit dem Stempel «zu alt» versehen: Sie sei zu kultiviert, hiess es, als sich Olivia Wilde um die Rolle in «The Wolf of Wall Street» bemühte. Später fand sie heraus, dass sie mit 28 Jahren als zu alt galt, um die Frau des damals 39-jährigen Leonardo DiCaprio zu verkörpern. Der Part ging dann an Margot Robbie – sie war 22.
Der Jugendwahn hatte auch Action-Star Michelle Yeoh, 60, («Crouching Tiger, Hidden Dragon») eingeholt. Man hatte der Martial-Arts-Spezialistin geraten, es sei vielleicht an der Zeit, in Rente zu gehen. Aber dann kam die surreale Multiverse-Action-Komödie «Everything Everywhere All at Once». Durch ihre Sippe und eine Steuerprüferin (Jamie Lee Curtis) fast zur Verzweiflung getrieben, landet sie in einem alternativen Universum, in dem sie die Heldin ihrer Geschichte wird. Der Film gewann gerade sieben Oscars, inklusive für Michelle Yeoh, 60, und Jamie Lee Curtis, 64. «Ladies, lasst Euch nie von jemandem sagen, dass eure beste Zeit hinter euch liegt!», rief Michelle Yeoh in ihrer Dankesrede und erntete tosenden Applaus. Sie richtete ihren Appell nicht nur an den Saal, sondern auch an den Rest der Welt. Denn nur Wochen vorher musste sich CNN-Moderator Don Lemon dafür entschuldigen, dass er die republikanische Präsidentschaftskandidatin Nikki Haley, 51, abschätzig als Frau beschrieben hatte, deren beste Zeit hinter ihr liege.
«Lasst Euch nie von jemandem sagen, dass eure beste Zeit hinter euch liegt», Michelle Yeoh.
Sind der Triumph von Michelle Yeoh, Jamie Lee Curtis und Angela Bassett, 64, die für «Black Panther: Wakanda Forever» als erste Marvel-Figur-Darstellerin für einen Oscar nominiert wurde, Beweis dafür, dass in Hollywood in Sachen Alter tatsächlich ein Umdenken stattgefunden hat? Die Mühlen mahlen langsam, aber sie mahlen. Die Frauen haben inzwischen gemerkt, dass sie selber aktiv werden müssen, wenn es vorwärtsgehen soll: Stars wie Margot Robbie, Reese Witherspoon, Queen Latifah, Eva Longoria treiben mit ihren eigenen Produktionsfirmen Geschichten von und für Frauen jeglichen Alters voran und haben Erfolg mit Serien wie «Big Little Lies» oder Filmen wie «I, Tonya». Meryl Streep und Nicole Kidman unterstützen ein Writers Lab für Drehbuchautorinnen, in dem Storys von Frauen über Frauen nach 40 entwickelt werden.
Im Weiteren hat die #MeToo-/Timeʼs-up-Bewegung Anstrengungen ins Rollen gebracht, Filme nicht nur ethnisch zu diversifizieren, sondern auch was das Geschlecht und das Alter betrifft. Schon seit 2004 liefert das «Geena Davis Institute on Gender in Media» harte Fakten. Der Schauspielerin war damals aufgefallen, dass in den TV-Sendungen, die ihre Kinder schauten, ein grosses Repräsentations-Ungleichgewicht zwischen Jungen und Mädchen herrschte. Das Institut erforscht heute die Vertretung nach Geschlecht, Rasse, LGBTQIA+, Beeinträchtigung, 50+ und Körpertyp in Film und TV. Mit dem «Ageless-Test» wurden die 30 erfolgreichsten Filme von 2019 untersucht: Keiner hatte eine Frau über 50 in der Hauptrolle, in vielen Nebenrollen waren sie klischiert gezeichnet.
Gesucht: Drehbuchautorinnen über 40 mit Storys für Frauen über 40
Kein Wunder, versuchen Schauspielerinnen, ihr Alter zu verstecken: Junie Hoang verklagte vor zehn Jahren die Filmindustrie-Website imdb, weil die ihr Alter gegen ihren Willen publiziert hatte und Hoang deswegen angeblich für Rollen übergangen worden war. Zwar verlor sie den Prozess – aber heute ist das Geburtsjahr auf der Plattform auf freiwilliger Basis aufgeführt.
Die neusten Zahlen der «USC Annenberg Inclusion Initiative» bestätigen, dass trotz allen Bemühungen noch viel Raum nach oben bleibt: In 35 der 100 Top-Filme von 2022 spielten Männer über 45 die Hauptrolle, nur in 10 waren Frauen dieses Alters Leads. Immerhin: 5 dieser 10 Frauen waren Women of Color, verglichen mit 0 von 7 im Vorjahr. Frauen in Hollywood haben noch nicht «Everything Everywhere All at Once» erreicht, aber eines steht fest: Das Rad der Zeit wird nicht mehr zurückgedreht.