Style: Prof. Guy Bodenmann, welchen Einfluss hat die Krise auf Paare?
Guy Bodenmann: Zurzeit zeichnet sich noch keine Zunahme an Scheidungen im Vergleich zum Jahr vor der Pandemie ab. Wir stellen sogar eine leichte Abnahme fest. Das spricht für eine Beobachtung, welche man bereits in früheren Studien gemacht hatte: Krisen schweissen Paare häufig zusammen.
Trotzdem sorgt die Pandemie auch für Konfliktpotenzial. Welches sind die häufigsten Beziehungs-Fehler?
Sich wegen Belanglosigkeiten zu streiten und den grösseren Rahmen aus dem Blick zu verlieren. Eine Partnerschaft ist anspruchsvoll, das ist keine Frage. Es braucht gegenseitige Toleranz und Grosszügigkeit, man muss über Macken des anderen immer wieder mal hinwegsehen können, diesen nicht zu viel Gewicht geben. In belastenden Zeiten noch mehr als sonst.
Viele entkommen der Langeweile, indem sie virtuelle Kontakte pflegen. Schadet das einer Beziehung?
Sie sprechen ein grosses Problem heutiger Beziehungen an. Viele Paare sind mit emotionaler Untreue konfrontiert. Viele chatten intensiv mit fremden Personen, fühlen sich diesen näher als dem Partner oder der Partnerin, vertrauen ihnen intime Geheimnisse an, flirten online. Oft sitzen beide Partner*innen in derselben Wohnung, doch beide stehen mit anderen in engerem, intimerem Kontakt als mit dem eigenen Gegenüber.
Klingt ziemlich traurig. Dann ist eine reine Chat-Affäre eine Bedrohung für die Beziehung?
Sie kann es schnell werden. Wir haben in einer Untersuchung an rund 800 Personen zu Beginn der Befragung erfasst, wer sich als treu oder untreu bezeichnet. Von denjenigen, welche sich als treu bezeichnet hatten, gaben rund 80 Prozent an, dass sie mit Chat-Partner*innen einen intensiven emotionalen Austausch pflegen würden, sich mehrere Stunden pro Tag schreiben, einige teilten sich erotische Phantasien mit oder schickten einander intime Bilder. 30 Prozent führen die Chat-Affäre im realen Leben weiter. Sie sehen, so harmlos sind Chat-Affären nicht.
Als Gegenmittel empfehlen Sie in die Liebe zu investieren. Wie geht das?
Ich vergleiche die Liebe mit einer Pflanze, um die man sich kümmern muss, damit sie gedeihen kann. Es braucht Zeit, um sie zu versorgen, zu wässern, zu düngen, zu realisieren, was sie braucht und bei ersten Anzeichen einer Abweichung vom Normalzustand reagieren zu können. Es benötigt tägliches Engagement. Und dazu braucht es eine klare Motivation. Die Bereitschaft, die Beziehung prioritär zu behandeln und für den anderen da zu sein.
Sie sprechen das Commitment an, welches in ihrem neuen Buch im Zentrum steht. Können Sie das genauer erklären?
Commitment erweist sich als Schlüssel für eine längerfristige Paarbeziehung. Ohne fehlt die Substanz für Dauerhaftigkeit. Während das Commitment in der Verliebtheitsphase meist mühelos gezeigt wird, braucht es später ein bewusstes Engagement.
Wie gelingt einem das am besten?
Man muss sich das Commitment immer wieder neu vornehmen. Am besten macht man das, indem man sich die Wichtigkeit einer glücklichen Partnerschaft für Lebenszufriedenheit und Befinden klarmacht.
Hat sich dieses Commitment in den letzten Jahren verändert?
Ich stelle beide Tendenzen fest. Zum einen wünscht man sich Freiheit und Selbstverwirklichung und ist weniger bereit, Einschränkungen durch eine andere Person zu erfahren. Gleichzeitig ist der Wunsch nach Verbindlichkeit so stark wie eh und je. Gerade durch die hohe Scheidungsrate der letzten zwei Jahrzehnte sehnen sich heute viele wieder nach Beziehungsstabilität. Kinder aus Scheidungsfamilien möchten in ihrer eigenen Partnerschaft Glück auf Dauer.
Wann lohnt es sich zu kämpfen?
Das ist subjektiv unterschiedlich. In der Paartherapie realisieren wir, dass es meistens ein beharrliches Ringen braucht, um eine Beziehung wieder auf Kurs zu bringen. Trennung ist häufig auf den ersten Blick die einfachere Lösung, die schneller eine Änderung bringt. Doch viele Beispiele zeigen, dass es sich lohnt, für eine Beziehung zu kämpfen. Voraussetzung ist, dass genügend Substanz vorhanden ist, die reaktiviert werden kann. Letztlich ist eine langfristige, zufriedenstellende Partnerschaft eine grössere Bindungsressource als kurze Beziehungen.
Wann trennt man sich besser?
Wenn die Beziehung nicht zumutbar oder ihre Weiterführung schädlich für einen selber oder die Kinder ist. Nehmen Sie das Beispiel von psychischer, physischer oder sexueller Gewalt, die auch mit einer Therapie nicht gestoppt werden kann. Doch häufig ist auch eine irreparable Entfremdung und Erkaltung der Liebe ein Grund. In einer Paartherapie können wir eine verschüttete Liebe wieder reanimieren, jedoch nicht eine Erloschene.