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Jetzt auch noch Clubhouse

Die krankhaft treibende Kraft von Social Media

Einfach abschalten und das Handy weglegen – das ist leichter gesagt als getan. Die meisten von uns wollen nämlich nichts und niemanden verpassen. Jetzt gibt es wieder ein neues «soziales Medium». Treibt Clubhouse uns weiter in die Abhängigkeit? Und wie kommen wir von ihr los?

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PARIS, FRANCE - SEPTEMBER 27: Caroline Caro Daur and Jeanette Friis Madsen on their smartphone seen outside Loewe during Paris Fashion Week Womenswear Spring Summer 2020 on September 27, 2019 in Paris, France. (Photo by Christian Vierig/Getty Images)

Caro Daur und Jeanette Madsen checken immer wieder ihre Handys. Mindestens eine von ihnen ist neuerdings bei Clubhouse aktiv. Ob sie schon an Fomo erkrankt sind?

Getty Images

«Ihr seid doch alle internetsüchtig.» Äh, Entschuldigung? Ganz sicher nicht! Schliesslich haben wir alles im Griff und können jederzeit auf unser Smartphone verzichten. Kratzt uns überhaupt nicht. Und wenn eine Mitteilung auf dem Bildschirm aufploppt, gucken wir nur kurz, ob es was Wichtiges ist. Vielleicht hat Kylie Jenner ein neues Foto gepostet, die beste Freundin ein lustiges Meme geschickt oder – noch viel wichtiger – unser Crush nach einer gefühlten Ewigkeit endlich zurückgeschrieben? Überzeugt! Wir klicken, liken, antworten. Aber so gehört es sich eben im Jahre 2021 – oder?

Jap. Eine Welt ohne Social Media ist heute für fast alle Menschen unvorstellbar – und genau das ist verblüffend, da Apps wie Instagram erst seit rund zehn Jahren existieren. Seit Kurzem verbringen wir ausserdem viel Zeit auf TikTok. Und ganz neu bei Clubhouse. Wenn wir denn eine der begehrten Einladungen erhalten haben. Denn Clubhouse ist (noch) nicht für alle da.

Was ist Clubhouse?

Bei der App geht es ausnahmsweise mal nicht ums Visuelle, sondern ums Auditive. Ins Rampenlicht rücken kann man sich trotzdem. Wer ein iPhone besitzt (für andere Geräte ist der Social-Media-Hype derzeit nicht verfügbar) und von einer/einem bereits aktiven User*in eingeladen wurde, der kann ins Clubhouse eintreten und sich dort zwischen unzähligen sogenannten Räumen entscheiden, in denen Diskussionen, Debatten und Ted-Talks stattfinden. Expert*innen und solche, die sich dafür halten, können nach Herzenslust zum Thema ihrer Wahl referieren.
Der Nachteil? Die App boomt, Promis, Influencer und vermeintliche Fachpersonen teilen so viele Fakten, dass unmöglich alles geprüft und kontrolliert oder gegebenenfalls zensiert werden kann. Heisst: Neben nützlichen Informationen können ausserdem gefährliches Halbwissen und Unwahrheiten verbreitet werden. Es gibt Räume, die sich Mobbing und Hate Speech verschrieben haben.

Nicht zu vergessen: Die App, die als Hybrid aus Podcast und Twitter-Diskussion beschrieben wird, drängelt sich noch zusätzlich zu Instagram, WhatsApp, Facebook, TikTok, Snapchat (…) auf unseren Smartphone-Bildschirm und raubt uns wieder mal wertvolle Zeit, die wir eigentlich in der realen Welt verbringen könnten. Völlig unbewusst rasen wir direkt in die offenen Arme einer Krankheit. FOMO («Fear Of Missing Out») beschreibt die Angst, etwas zu verpassen. Und wer jetzt glaubt, er sei davon nicht betroffen, soll erst mal weiterlesen.

Unser Hirn kriegt Lust auf mehr

Habt ihr nicht auch schon gedacht «Wenn ich das jetzt nicht öffne, geht mir was durch die Lappen»? Genau darum geht es bei FOMO: Die Befürchtung, dass andere uns den besten Platz wegnehmen, schneller sind oder sich ohne uns amüsieren. Wir müssen in der virtuellen Welt existent sein, damit wir im realen Leben mithalten können. Oder diskutiert ihr mit euren Kollegen etwa nicht darüber, ob ihr schon eine Clubhouse-Einladung erhalten habt? Eben, wir auch. Nicht, dass wir dringend eine bräuchten. Schliesslich sind wir eigentlich eh schon full time damit beschäftigt, uns mit den ganzen Schönheiten aus dem Netz zu  vergleichen (hallo, Selbstzweifel).

FOMO ist deshalb die treibende Kraft hinter Social Media und verändert sogar unsere Gehirn-Aktivitäten. Wie das funktioniert? Die Aufnahme des Stoffs Dopamin, der bei angenehmen Erlebnissen produziert wird, ist im Internet immens. Damit unser Kopf alles verarbeiten kann, gewöhnt er sich an diese riesige Ladung von tollen Ereignissen. Die Folge ist klar: Sobald wir in der realen Welt nicht genug «Aufregendes» erleben, ist unser Hirn unterfordert, ja fast schon gelangweilt. Wir wollen mehr Likes, mehr Posts, mehr Infos. Und da habt ihrs: Willkommen im Club der Süchtigen.

Die Isolation beginnt vor dem Entzug

Ohne Internet fühlen wir uns leer und orientierungslos (wortwörtlich, denn ohne Netz kein Google Maps). Wir empfinden das Gleiche wie jemand, der während des Nikotinentzugs seine Zigi vermisst. Statt des Glimmstängels fehlt uns allerdings die Interaktion mit anderen User*innen, denn plötzlich sind wir allein.

Die Ironie dahinter? Wir vereinsamen nicht, weil wir nicht mehr auf Insta oder Clubhouse sind, sondern haben uns schon lange vorher isoliert. Betrachtet das Ganze mal von aussen: Ihr verkriecht euch zu Hause, kommuniziert mit fünf Leuten gleichzeitig auf WhatsApp, in Tat und Wahrheit seid ihr aber alleine unter der Bettdecke. So sind wir im Real Life total abgekapselt und kleben an einem herzlosen Bildschirm.

Raus aus der dunklen Kammer und rein ins Fasten

Ja, das klingt traurig und ehrlich gesagt würden wir uns auch lieber zu einer öden Katzenlady, als einem gierigen Smartphone-Zombie (böse Zungen betiteln uns als Smombies) entwickeln. Aber wir müssen realistisch bleiben und zugeben, dass der komplette Verzicht auf Social Media … für uns (allein schon beruflich) beinahe unmöglich ist.

Wie lautet also das Heilmittel für unsere FOMO? Digitales Fasten. Schafft euch Freiräume, in denen ihr in die analoge Welt von face-to-face Gesprächen und Landkarten (die aus Papier, ja es gibt sie noch) zurückkehrt. Und vor allem: Klickt nur auf eure Messages, wenn sie wichtig sind. Wirklich wichtig. Alles andere wird auch in zwei, drei Stunden noch da und belanglos sein. So könnt ihr eure Zeit in den sozialen Medien nämlich wirklich geniessen und statt an den Nachteilen zu zerbrechen, die Vorteile nutzen. 

Von Lara Zehnder am 18. Januar 2021 - 16:30 Uhr