Ich war beim Schönheitschirurgen. Seine Praxis befindet sich direkt am Zürichsee in einer Villa mit turnhallenhohen Decken. Warum ich hier war? Weil es früher ja schon schwer genug war. Aber es war trotzdem so viel leichter als heute. Während wir uns damals mit fernen Hollywood-Stars und ein paar Supermodels in Zeitschriften verglichen, sind wir nun einem nie versiegenden Bilderstrom ausgeliefert.
Du willst schön sein?
… lautet die Fangfrage auf Instagram. Dann brauchst du volle Lippen und glänzendes Haar, makellose Haut und harmonische Züge. Was vor ein paar Jahren mit lustigen Hundefiltern begann, dient bei vielen immer mehr zur Selbstoptimierung des digitalen Ichs. Mittlerweile gibt es nämlich Beauty-Filter, die einem eine kleinere Nase, markantere Wangenknochen, ein schmaleres Gesicht, grössere Augen, oder auch virtuell aufgespritzte Lippen zaubern. Kurzum: Man kann mit diesen Filtern eigentlich testen, wie man nach einer Schönheits-OP aussieht.
Ich zeige Dr. med. Christophe Christ von der Clinic Bellerive ein Selfie von mir, aufgehübscht mit dem «Tommy Blush»-Instagram-Filter. Neben Sommersprossen und Rouge hat der mir doppelt so dicke Lippen und eine schmalere Nase mit spitzerer Spitze verpasst. Das wäre also optimal, wenn es nach Social Media geht. Wie viel das kosten würde? Nase: 14-15000 Franken, Lippen: 1-2000 Franken … Aber wenn man permanent aussehen möchte wie Kim Kardashian, müsste man alle vier Wochen zum Schönheitschirurgen gehen, sagt Christ. So etwas brauche Unterhalt, da muss man regelmässig nachspritzen, sonst ist der Zauber schnell wieder vorbei. Und das könne sich ja wohl kaum jemand leisten.
Mit einem von Instagram vorbearbeiteten Foto sei noch niemand zu ihm gekommen, aber eine Barbie als Vorlage sei das Absurdeste, was er bisher erlebt hat. «Eine solch schmale Nase, wie eine Barbie-Puppe sie hat, hätte nicht zu der runden Gesichtsform der Kundin gepasst.» Er konnte es ihr also ausreden.
«Kommen eigentlich auch immer mehr Männer hierher?»
Gemäss einer Statistik nehmen Schönheitsoperationen am Mann in Deutschland seit Jahren sprunghaft zu. Der sogenannte «Daddy-Do-Over», das männliche Äquivalent zum «Mommy Makeover» wird 2020 steigen. Das prophezeit die International Society of Aesthetic Plastic Surgery (ISAPS). Es wird vor allem Fett abgesaugt, es werden Schlupflider gehoben und Tränensäcke entfernt. In der Schweiz gibt es dazu keine Statistiken. Dass die Kundschaft in den vergangenen Jahren auch hierzulande etwas männerlastiger geworden ist, kann Christ jedoch bestätigen. Und jünger sei sie – das Durchschnittsalter etwas gesunken.
Abends nach dem Interview betrachte ich mich etwas genauer im Spiegel. Ja, da sind schon feine Linien unter meinen Augen und Äderchen neben den Nasenflügeln. Da sind ein paar Furchen auf der Stirn, entstanden durch ein, zwei unvernünftige Nächte. Oder halt, weil ich mein Gesicht nun mal bewege. Ich gucke wieder, wie ich wohl zu oft gucke, und die Stirnfalten werden etwas tiefer.
Ich habe eine weitere Interview-Sprechstunde vereinbart. Dieses Mal bei Dr. med. Inja Allemann, einer Doppelfachärztin FMH für Plastische Chirurgie und Dermatologie. Wir treffen uns im medizinischen Campus rivr in Zürich.
«Was gibt es in meinem Alter (32) schon so alles zu optimieren?»
Allemann schweigt. Sie mustert mich eine gefühlte Ewigkeit, die tatsächlich zwei Sekunden andauert, und während der mir klar wird, dass ich die lauernde Antwort gar nicht hören möchte. Schliesslich begnadigt sie mich. Sie sagt mir, was sie in ihren Sprechstunden eigentlich immer zu ihren Patienten und Patientinnen sage: «Wenn es darum geht, jugendlich und vital auszusehen, ist ein ebenmässiges Hautbild ausschlaggebend. Flecken, Sonnenflecken, Rötungen – das lässt jemanden gemäss einer Studie sogar älter wirken als Falten.»
Also empfiehlt sie mir vor allem regelmässig Sonnenschutz zu benutzen. Darauf solle ich achten, besonders weil ich einen hellen Hauttyp habe. Und irgendwann dann Botox. Das ist der nächste Schritt. Wie auch Dr. Christ vor ihr, macht sich Dr. Allemann keine Sorgen, dass die Instagram-Filter eine OP-Epidemie auslösen werden und wir irgendwann alle wie Beauty-Cyborgs aussehen werden. Erfahrungsgemäss ist ihren Patienten und Patientinnen immer noch am wichtigsten, dass …
«… man bloss nichts von dem Eingriff sieht!»
So seien die Schweizer nämlich. Zurückhaltend und auf Natürlichkeit bedacht (Ausreisser gebe es natürlich immer). Ausserdem stelle Schönheitschirurgie für viele immer noch ein rotes Tuch dar. «Die jüngeren Generationen werden diesbezüglich offener, sagen: ‹Ja, ich mache regelmässig ein Microneedling – das ist gut für meine Haut – und: Ja, ich habe auch schon mal Botox gespritzt – ich finde das entspannt mein Gesicht.› Wir haben nun mal den Luxus in einer Gesellschaft zu leben, in der wir uns das leisten können und in der das Angebot da ist», sagt Allemann. Und Angebot bedingt Nachfrage, bedingt Angebot, bedingt Nachfrage – und so weiter.
Die Zahl der Schönheitseingriffe nimmt weltweit beständig zu. Und das wird sie auch im Verlauf diesen Jahres weiter tun. Nun betritt nämlich die Generation Z (geboren 1990-2000) den Markt. Genau, die Generation, deren Mitglieder als Digital Natives aufgewachsen sind. Die, die sich via Social Media über Beauty-Trends informieren, und die sich operativer Eingriffe nicht schämen. 2020 soll deshalb gemäss der ISAPS ein Meilenstein in punkto Beauty-OP werden. Schauen wir mal.
Ich verlasse diese kleinen Schönheitstempel auf jeden Fall Anfang 2020 mit dem Wissen, dass wir alle nicht wehrlos sind. Es gibt eine Ultima Ratio. Sie liegt hinter der Sonnencreme und in der Spitze der Nase.