Im September diesen Jahres veröffentlichte Emily Ratajkowski einen Essay. «Buying myself back. When does a model own her own image?» Dort schrieb das Model über die vielen Arten, auf die Männer ihr Bild und ihre Person benutzt haben, um Geld zu machen. Ohne ihr Einverständnis. Da ist der angesehene Künstler, der eines ihrer Instagram-Bilder auf eine Leinwand drucken lässt und für tausende von Dollar verkauft. Da ist der Paparazzo, der sie verklagt, weil sie eines seiner Fotos von ihr auf ihrem eigenen Instagram-Account veröffentlicht hat. Und vor allem ist da der Fotograf, der sie – ein damals 20-jähriges, noch unbekanntes Model – während eines Shootings sexuell belästigt und später ein Buch mit Nacktfotos von ihr produziert und vertreibt.
Direkt nach Veröffentlichung des Artikels antwortet der besagte Fotograf. Jonathan Leder wehrt sich. Ratajkowskis Anschuldigungen seien «falsch und obszön», zitiert ihn die New York Times. Er habe ein Foto von ihr für seinen Bildband «A Future Book of Polaroids verwendet» – und das mit einer Einverständniserklärung ihres damaligen Managers. Ratajkowski entgegnet, ihr Manager habe überhaupt nichts unterzeichnet.
Mittlerweile haben sich weitere Models gemeldet. Sie bezichtigen Leder ebenfalls der Nötigung. Sprechen von Übergriffen in diesem Scheinwerferlicht.
Und Leder ist lange nicht der einzige Fotograf, der in den vergangenen Jahren Schlagzeilen wie diese machte. Ihre Macht missbraucht haben gemäss Aussagen von Betroffenen unter anderem: Terry Richardson, Bruce Weber, Mario Testino. Um ein paar bekannte Namen zu nennen. Immer mehr vergleichbare Vorfälle kommen ans Licht. Immer mehr Frauen brechen ihr Schweigen.
Und dann wären da noch die Nacktbilder … Die hat Emily Ratajkowski vor neun Jahren schiessen lassen. Und sie verfolgen sie immer noch. Man kann relativ problemlos nach ihnen googeln. Man findet sie. Aber das muss ich euch ja nicht sagen.
Von Prostitution auf Social Media
«Es gibt viele Kids, die sich den Traum vom Modeln nicht verbauen möchten und sich dann auf Dinge einlassen, von denen sie denken, dass sie normal sind.» Eine seriöse Agentur frage niemals nach Nacktbildern. Da müssten auch bei jungen Models die Alarmglocken läuten, sagt Zineta Blank von Visage zum Tagesanzeiger, als im Juni der Inhaber einer Zürcher Modelagentur der sexuellen Belästigung bezichtigt wird. Über Jahre hinweg.
Sie sagt aber auch: Es sei ungerecht, wenn das ganze Business und Nachwuchsmodels nun wegen eines Einzelfalls leiden müssten. «Die allermeisten Agenturen arbeiten seriös und kümmern sich sehr gut um ihre Models.»
Dass sich jemand um die teilweise noch minderjährigen Models kümmere, sei insbesondere seit des Beginns der Social-Media-Ära so wichtig, sagt Ursula Knecht, Inhaberin von Option. Die Existenz seriöser Agenturen, die auf ihre Schützlinge schauen. «Es wird mittlerweile verlangt, dass sich die Models nahezu prostituieren – dass sie ständig auf Instagram sind, sich ständig exponieren. Die haben ja gar keine Zeit mehr für sich.»
«Unseriöse Angebote via Instagram gibt es oft.»
Ursula Knecht, Option Model Agency
Es komme ab und zu vor, dass eines ihrer Models direkt über Instagram kontaktiert werde. «Hey, du hast mega coole Bilder in deinem Feed. Ich habe einen Job für dich. Komm doch gleich bei mir im Studio vorbei», lauteten manche Direktnachrichten gemäss Knecht. Die Weisung sei, diese Anfragenden aber direkt an die Agentur weiterzuleiten. Nicht weiter darauf einzugehen. Mehr könne man nicht machen. Anzeige erstatten auch nicht. Auch wenn die Anfragen teilweise explizit sind. Es ist ja noch nichts passiert.
Was man aber tun kann, ist ein Bewusstsein zu schaffen. Immer stärker. Betroffenen zu zeigen, dass sie nicht allein sind. Immer wieder. Das wird nicht urplötzlich einen kollektiven Anfall von Moral zur Folge haben, der künftig alle Formen von sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen verhindern wird. Doch Schicksals-Geschichten wie die von Emily Ratajkowski, die das Potenzial haben, Geld aus dem zu machen, was neuerdings als Mainstream-Feminismus wahrgenommen wird, können durchaus leuchtende Zeichen hinterlassen. Und dadurch die Gesellschaft zutiefst beeinflussen.