Am Freitag hat der Bundesrat entschieden: Wir dürfen dieses Jahr gemeinsam Weihnachten feiern. Zumindest im kleinen Kreise. Bei Geimpften und Genesenen liegt die Obergrenze für private Treffen in Innenräumen bei 30 Personen. Ist eine Personen in der Gruppe weder geimpft noch genesen, so darf man seit heute nur noch zu zehnt zusammensitzen. In Restaurants gilt eine 2G-Regel mit Sitz- und Maskenpflicht. In Bars und Clubs sogar 2G+, sprich es braucht zusätzlich zum Zertifikat einen negativen Test.
Das spaltet die Gesellschaft. In Geimpfte und Ungeimpfte. In Menschen mit und ohne Zertifikat. In Risikopatienten und «Normale». In Massnahmen-Gegner und jene, die panische Angst haben. Gerade diese Trennung bereitet vielen Familien im Hinblick auf das gemeinsame Fest Kopfzerbrechen. Wie soll man Menschen mit so unterschiedlichen Meinungen an einen Tisch bitten? Wir haben bei Andrea Kramer, Psychotherapeutin und Dozentin am Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW, um Rat gefragt.
Style: Frau Kramer, geht es nach dem Bundesrat, so dürfen wir in kleinen Gruppen Weihnachten verbringen. Macht das in der aktuelle Lage aber wirklich Sinn?
Andrea Kramer: Das ist eine Risikoabwägung, die jede Familie für sich machen muss. Dabei sollte es jedoch nicht nur um die physische, sondern auch um die seelische Gesundheit gehen. Denn aus dem ersten Lockdown wissen wir: Einsamkeit kann sehr belastend sein. Für Grosseltern, alleinstehende Personen oder Kleinkinder könnte das Fest daher aus psychischer Sicht sehr wichtig sein.
Unter welchen Umständen sollte man die Feier lieber absagen?
Wenn eine oder mehrere Personen sehr grosse Angst haben, sich selbst oder andere zu infizieren. Auch verzichten sollte man, wenn man den Corona-Graben innerhalb der Familie nicht überwinden kann und jeder denkt, er oder sie habe Recht. So könnte es zu Streitigkeiten und Verletzungen kommen, die über Weihnachten hinausgehen.
Wie kann man solche Differenzen überwinden?
In erster Linie braucht es von allen Beteiligten die Bereitschaft, einen Weg finden zu wollen, bei dem alle mitfeiern und sich wohlfühlen können – sowohl ängstliche Personen, als auch Skeptiker. Um das zu erreichen, benötigt es viele Gespräche.
Wie geht man mit Personen um, die sehr grosse Angst vor einer Ansteckung haben?
Man sollte ihre Ängste keinesfalls bagatellisieren oder sich darüber lächerlich machen. Man muss sie unbedingt ernst nehmen und mit ihnen zusammen schauen, was sie denn brauchen würden, um sich sicherer zu fühlen.
Und wie spricht man das Thema gegenüber Corona-Skeptikern an?
Genau gleich. Auch ihre Meinung muss akzeptiert und respektiert werden. Denn an Weihnachten geht es einzig um Verständnis, nicht um Recht oder Unrecht. Man sollte daher weder die Meinung anderer bewerten, noch versuchen, sie zu überzeugen. Viel wichtiger ist es, alle Bedürfnisse zu respektieren und zusammen eine Lösung zu finden.
Wie schafft man das?
Indem man an den gemeinsamen Konsens appelliert. Letzten Endes geht es nicht um die Einstellung einer Person, sondern um den Menschen selbst. Um Familie, Freunde und Verwandte, denen man nahe steht und mit denen man gerne Weihnachten feiern möchte – unabhängig ihrer politischen Haltung oder ihrer Meinung zu Corona.
Darf man andere dazu auffordern, vorab einen Test zu machen?
Wenn es zur Sicherheit oder zum Wohlbefinden einer beteiligten Personen beiträgt, kann man das auf jeden Fall vorschlagen. Fordern ist aber immer schwierig. Hilfreich kann es sein, wenn man Betroffenen Unterstützung bietet. Vielleicht kann man für sie ein Testcenter in der Nähe suchen, sie hinfahren oder ihnen einen Selbsttest organisieren.
Was, wenn sich jemand querstellt?
Man sollte versuchen, miteinander zu reden und zu verstehen, warum die Person nicht einwilligen möchte. Vielleicht findet sich einen anderen Weg, wie man die Person einbeziehen kann, zum Beispiel per Videocall. Oder man holt die gemeinsame Feier im Frühling draussen nach. Wir sollten aber alles daran setzen, dass wir die Spaltung, die wir momentan in der Gesellschaft erleben, nicht auch noch in die Familie reinziehen.
Angenommen, man hat es geschafft und die ganze Familie kommt an Weihnachten zusammen. Wie verhindert man, dass Corona am Abend selbst zum Streitpunkt wird?
Am besten streicht man Corona gleich zu Beginn von der Themenliste. Es gibt ja genug anderes, über das man sprechen kann. Vielleicht bestimmt man einen «Themen-Hüter», der sofort eingreift, sollte das Thema trotzdem zur Sprache kommen. Oder man plant gemeinsame Aktivitäten, damit es gar nicht erst zu Diskussionen oder Streit kommt.