Eigentlich wollen wir ja nach vorne blicken. Da vorne, da gibt es noch einiges zu tun. Da gibt es noch immer Frauen, die weniger verdienen als Männer. Es gibt Diskriminierung am Arbeitsplatz. Es gibt unsinnige Gesetzesvorlagen, die gerade angenommen wurden (Anmerkung der Autorin).
Anlässlich des internationalen Weltfrauentages (8. März) schauen wir aber auch noch mal ein paar (Pop-)Epochen und mediale Eskalationsstufen zurück. Weil in den 90ern und 2000ern viele der Frauen, die im Rampenlicht standen, ungerecht behandelt wurden. Am deutlichsten hat das die New York Times kürzlich mit der Dokumentation «Framing Britney Spears» am Beispiel der Sängerin gezeigt.
Also Rückblick: Deeskalation der Regenschirmattacke
Im Februar 2007 ging Britney Spears mit einem Regenschirm auf das Auto eines Fotografen los. Wie jeder ihrer Schritte und vermeintlichen Fehltritte der damaligen Zeit wurde auch dieser ausführlich dokumentiert. Paparazzi folgten und fotografierten Spears bei allen sich bietenden oder auch verbietenden Gelegenheiten: durch McDrive-Strassen und zu Familientreffen, an der Tankstelle und bis vor die Eingangstüren ihrer Lieblingsclubs. Zeitungen, Magazine und Onlineportale zahlten Hunderttausende Dollar, um die Bilder veröffentlichen zu können.
Weniger bekannt als die Fotos von Spears Regenschirmattacke sind heute Videoaufnahmen, die den entstandenen Schaden am Auto des Paparazzos zeigen. Ein bisschen Lack ist ab, ein paar kleinere Beulen sind zu erkennen: nichts eigentlich, was Menschen schockieren dürfte, die ihr Auto schon einmal in einem ganz, ganz eng kalkulierten Parkhaus abgestellt haben. Trotzdem markierte die Episode den Tiefpunkt einer Geschichte: Sie wurde zwischen 2006 und 2008 als erste Selbstdemontage eines Popstars erzählt. Fast täglich gab es neue Meldungen und vor allem Bilder, fast immer wurden sie als Zeugnisse eines Abstiegs gelesen.
«White Trash» und andere Titel
Aber heute schauen wir durch eine andere Kameralinse auf diesen und weitere Vorfälle. Auf Paris Hiltons mediale Hochzeit zum Beispiel, die sie heute als emotionalen Missbrauch beschreibt. Über Janet Jackson, der 2004 vorgeworfen wurde, so ganz freizügig eine ihrer Brüste auf der Bühne gezeigt zu haben, während Justin Timberlake, der mit ihr auf der Bühne stand und verantwortlich für die Entblössung war, weiter gefeiert wurde.
Die moderne Linse richtet den Fokus nicht auf die Frauen und deren angebliche Fehltritte, sondern auf die Mediatoren. Die Maschinerie, die das alles hervorgebracht und verstärkt hat. Die Journalist*innen, die Fans, die das alles sahen, lasen, kauften. Oder – wieder in Britney Spears Fall – auch auf Justin Timberlake. Der in vieler Erinnerung – inklusive der der Autorin – trotz allem noch «irgendwie ein guter Typ» war. Den Blödsinn, den er gemacht hat, einfach ausgeblendet.
Monica Lewinsky war die erste und erklärt …
Auf viele Dinge blicken wir mittlerweile anders. Wir betrachten Kunst anders, Musik, Statuen – weil nichts für immer und nichts für immer okay sein muss. Zum Glück. Wir überdenken Dinge oder wie wir über Dinge dachten. Und das sind wir auch vielen Frauen schuldig.
Paris Hilton spricht mittlerweile in ihrer Dokumentation darüber. Über die Vergangenheit. Jessica Simpson publizierte 2020 ihre Memoiren über das Leben im Rampenlicht und ihre Alkoholsucht. Emily Ratajkowski schreibt über die noch nicht so lange vergangene Zeit, in der Nacktbilder von ihr gegen ihren Willen veröffentlicht wurden.
Es war wohl Monica Lewinsky, die 2014 den Anfang machte. Mit dieser Aufarbeitung. In einem TED Talk spricht die Psychologin über «Public Shame». Über kollektive Erfahrung. Darüber, dass wenn eine Frau in den Fokus rückt und ihr öffentlich etwas so vehement vorgeworfen wird, sich das an alle Frauen richtet.
… warum uns das alle was angeht
Als Paris Hiltons Sexvideo ohne ihr Einverständnis veröffentlicht wurde, sprach noch niemand von «Revenge Porn» oder darüber, was das für sie als Person bedeutet. Es gab noch kein Social Media, auf dem die eigene Sicht dargestellt, sich verteidigt werden konnte. Heute so trendige Begriffe wie «mental health», «fat-shaming» gab es noch nicht. Instagram und die ganzen anderen Plattformen haben mit Sicherheit Nachteile. Aber sie haben geholfen, Frauen eine Stimme zu geben, in einer Zeit, in der wir Medien das nicht taten.