Der Moment der Offenbarung: Protagonist*in X erkennt, dass er oder sie sich in Person Y verliebt hat, und nun gilt es, diesem speziellen Jemand hinterherzujagen und sie oder ihn zu erobern. Ob Charakter X dabei durch einen Flughafen rennen (Ross für Rachel in der Serie «Friends», 1994–2004) oder eine Hochzeit unterbrechen muss (Cece für Schmidt in der Serie «New Girl», 2011) – es gibt kein Halten. Die kurz vor Schluss erkannten Gefühle müssen der Zielperson um jeden Preis unterbreitet werden. Darauf folgt: der Kuss. Der Kuss. Oft regnet es dabei (Charles und Carrie im Film «Four Weddings and a Funeral», 1994). Für Kritiker*innen von romantischen Komödien, kurz Rom-Coms, Grund genug, zu sagen: Die sind doch einfach nur …
Wahnsinnig kitschig
Wer jemals eine Rom-Com gesehen hat, hat einen solchen Höhepunkt bereits einmal mitverfolgt. Und wer schon mehr als eine gesehen hat, hat ihn schon mehr als einmal mitverfolgt. Damit will ich sagen: Sie alle rennen gegen Ende der wahren Liebe entgegen. Karrieren, Freundschaften, die während des Handlungsverlaufs manchmal ausserdem aufgebaut werden – wahnsinnig nebensächlich. Alles gipfelt in dem einen Kuss und der Annahme, dass jetzt alles gut wird. Eigentlich furchtbar. Furchtbar langweilig, denn Rom-Coms sind ja so …
Brutal berechenbar
Man könnte sich jetzt fragen: «Warum zahle ich denn jeden Monat Geld an Streamingdienste, bei denen ich alles Mögliche anschauen kann, und ziehe mir trotzdem Produktionen rein, die so vorhersehbar sind, dass ab Minute eins klar ist, wie sie enden?» Es ist von Anfang an klar, wie es zwischen den beiden Menschen, die sich während anderthalb Stunden Spielzeit oder über mehrere Staffeln hinweg anzicken, schliesslich ausgeht. Das spielerische und komplizierte Zueinanderfinden eines Pärchens ist die Grundlage jeder Rom-Com. Genau das ist das Schöne dabei, finde ich. Beim Gucken von Filmen wie «Pretty Woman» (1990) oder «Clueless» (1995) muss ich wenig investieren (Aufmerksamkeit, Aufnahmevermögen) – sie fordern mich nicht.
Ich kann also nebenher mit dem Handy durch Instagram scrollen oder mein E-Banking erledigen und laufe nicht Gefahr, etwas zu verpassen. Ich weiss auch: Das wird nicht unbequem. Da kommt nichts Unberechenbares. Kein Blut, kein Drama und das Wichtigste: Bloss! keine! echten! Probleme! Und selbst wenn (Trennung von Ross und Rachel, Break oder kein Break von Ross und Rachel oder Klassiker: Ross nennt Rachels Namen auf der Hochzeit mit einer anderen Frau), ich brauche mir trotzdem keine Sorgen zu machen, dass nicht alles wieder gut wird. Happy Ends werden mir verlässlich geliefert. Sie liebt ihn, weil er sie schliesslich auch liebt – ginge ja sonst nicht auf – und umgekehrt. Ach, Rom-Coms sind ja so …
Voll unrealistisch
Wir disqualifizieren Happy Ends in Filmen gern als unrealistisch. Der verschwörerische Liebespakt gegen den Rest der Welt – der scheint aus einer anderen Zeit zu stammen. Selbstverständlich sind die Erzählungen und Zustände in Rom-Coms häufig Utopie. Sie sind um ein Vielfaches unschuldiger und schwereloser als es die Dating-Realität tatsächlich ist. Klar, im echten Leben hätte «You’ve Got Mail» (1998) nicht funktioniert. Heutzutage sowieso nicht mehr. Dass Meg Ryan und Tom Hanks wochenlang miteinander mailen, ohne zu wissen, wie die andere Person aussieht? Nicht im Zeitalter von Google.
Es ist auch klar, dass man im echten Leben verhaftet wird, wenn man durch den Flughafen an allen Sicherheitskontrollen vorbeirennt, um im allerletzten Moment eine kitschige Rede zu halten. Wobei, vielleicht nicht als Primarschüler, wie damals Thomas Brodie-Sangster in «Love Actually» (2003). Und: Klar, Frauen haben etwas Besseres zu tun, als auf einen Mann zu warten, der sie ergänzt. Ebenfalls klar: Das Frauenbild in älteren Filmen und Serien ist teilweise sehr eindimensional.
Schaut man sich heute die alten Filme an, erweist sich tatsächlich jeder zweite Annäherungsversuch als massives Stalking – doch wir haben jetzt keine Zeit, uns zu ärgern, wir müssen die Zukunft gestalten.
Neuere Produktionen vermitteln mittlerweile ein moderneres Frauenbild. Nehmen wir «Love» (2016) als Beispiel. Dabei trifft Mickey, sexsüchtige Radioproduzentin, Gus, nerdigen Privatlehrer. Das Schöne an der Serie ist, dass sie zeigt: Frauen müssen weder das eine noch das andere Klischee sein. Genauso wenig muss ihr Traummann ein solches verkörpern (Vergleich Mr Big aus «Sex and the City», 1998: grosskotzig, unnahbar, fühlt sich von ihrer Zahnbürste in seiner Wohnung eingeschüchtert). Trotzdem. Noch immer sind Rom-Coms leider …
So eindimensional
Es ist schwer, zu sagen, warum es so lange gedauert hat, bis jemandem im Writer’s Room – dem magischen Ort, an dem die Schreiberteams Serien und deren Verlauf entwickeln – aufgefallen ist, dass Hauptfiguren auch bisexuell, «plus-size» oder «of colour» sein können. Es dämmert jedoch allmählich. Bei «To All The Boys I’ve Loved Before» (2018) geht es um die koreanisch-amerikanische Schülerin Lara Jean (Lana Condor). Die Heldin (Rebel Wilson) im Film «Isn’t It Romantic» (2019) hat nicht Kleidergrösse 36, und die Serie «Feel Good» (2020) handelt von Komikerin Mae (Mae Martin) und ihrer Freundin George (Charlotte Ritchie). Das Genre wandelt sich, wird zeitgemässer. Netflix erkor ausserdem den Sommer 2018 zum «Summer of Love» und investierte in die Produktion progressiver Liebeskomödien, nahm über vierzehn ins Programm, und über achtzig Millionen Abonnent*innen sahen sich die an. Rom-Coms sind nicht tot. Offensichtlich.
Happy am Ende
Sie sind also wenig überraschend? Ja! Sie bieten Wohlfühlunterhaltung – sind das popkulturelle Äquivalent zu Self-Care, die metaphorische Decke, in die wir uns abends auf dem Sofa einkuscheln. Sie sind also furchtbar durchschnittlich? Ja! Sie zeigen halbwegs normale Menschen, die es schaffen, mit anderen halbwegs normalen Menschen klarzukommen, Missverständnisse auszuräumen und sich aufeinander einzulassen. Sie sind also unrealistisch? Ja! Rom-Coms und ich, wir lieben den Eskapismus. Und der gestaltet sich gefälligst happy. Ende.