«Was, du bist auf Tinder?!» Diese ungläubige Frage muss im Jahr 2019/2020 eigentlich keiner mehr beantworten. Die Dating-App hat ihr Schmuddel-Image längst abgelegt. Klar gibt es Leute, die über Tinder nur eine schnelle Nummer suchen. Aber inzwischen kennen wir alle mindestens zwei, drei Paare in unserem Umfeld, die ihre bessere Hälfte beim Swipen gefunden haben.
So langsam fragt man sich eher: Lernen sich Leute eigentlich auch noch im echten Leben kennen? 57 Millionen Singles – oder auch Nicht-Singles, ähem – nutzen das Kennenlern-Tool weltweit. Anrüchig ist an Tinder also nichts mehr. So wirklich neu und aufregend aber auch nichts.
Und so schweift der Blick auf dem Display allmählich in eine andere Richtung. In die von Instagram, um genau zu sein. Hört man sich unter Alleinstehenden im besten Alter um, mausert sich die Fotoplattform angeblich zur Single-Börse. Und dafür gibt es gute Gründe.
Wenn Tinder eine Bar voller Singles ist, dann ist Instagram das Lieblingscafé um die Ecke. Kein krampfhaftes Abchecken von potenziellen Partnern, sondern einfach nur gemütliches Rumhängen in der Wohlfühl-Bubble. Wenn uns neben Gossip, Alltagsstorys und Ferienfotos doch jemand speziell auffällt, dann können wir einfach mal etwas genauer Hingucken. Ohne Erwartungen, ohne Gefahr abgelehnt zu werden. Aber mit der Option, dass dieser jemand zurück guckt.
Wer dieselben Hashtags benutzt und den gleichen Usern folgt wie man selbst, der hat mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit schon mal ähnliche Interessen. Statt sich passiv durch einen Stapel mit (trotz Algorithmus) ziemlich beliebigen Vorschlägen arbeiten zu müssen, übernehmen wir die Kontrolle und entscheiden selbst, wer in unserem Feed auftaucht.
Ein paar Selfies, Alter und Grösse, vielleicht noch ein paar wenige Worte zu sich selbst – mehr gibt das durchschnittliche Tinder-Profil nicht her. Wie soll man da entscheiden, ob einem jemand abgesehen von der Optik gefallen könnte? Instagram-Profile sind weniger anonym. Wir gewähren persönlichere Einblicke, zeigen unsere Freunde, unsere Hobbys, unseren Job und unsere Lieblingsorte. Alles gar nicht mal so unwichtig für eine Beziehung, oder?
Links oder rechts? Du musst dich jetzt entscheiden! Auf Tinder wird nicht lange gefackelt. Über Sein oder Nichtsein wird in wenigen Sekunden entschieden. Habe ich gerade die Liebe meines Lebens weggewischt? Ist der Typ mit den gegelten Haaren und den viel zu engen Hosen vielleicht tiefgründiger, als man denkt? Werden wir nie wissen, weil er für immer im Tinder-Nirvana verschwindet. Auf Instagram kann man sich mehr Zeit lassen. Hier ein Like, dort ein Kommentar – und ganz entspannt den richtigen Punkt abwarten, um jemanden anzusprechen.
«Hoi, wie gahts?» – aus Mangel an besseren Ideen der wohl meistgelesene Satz auf Tinder. Zugegeben: Wer ausser ein paar Sonnenbrillen-Selfies nichts von sich Preis gibt, der darf auch nicht mit einer personalisierten Einstiegs-Message rechnen. Auf Instagram hingegen gibt es keine Entschuldigung für eine lahme Grussformel. Eisbrecher in Hülle und Fülle! Jetzt braucht es nur noch etwas Mut.
Seit einiger Zeit kann man sein Instagram-Profil auf Tinder verlinken. Was einige als Einladung dazu auffassen, Menschen auf Insta zu stalken, mit denen man auf Tinder nicht gematcht hat. Das Phänomen hat sogar einen Namen – Tindstagramming – und ist einfach nur creepy. Bitte lassen. No means No.