Mit unserem Gedächtnis ist das so eine Sache. Wie waren die Sommerferien 2019? Natürlich super. Die Sonne schien, das Essen schmeckte – lauter schöne Erinnerungen. Dass es zwischendurch auch regnete: längst vergessen.
«Rosige Retrospektion» nennen Psychologen und Psychologinnen diese Tendenz, die Vergangenheit durch die rosarote Brille zu sehen. Sie gehört in die lange Liste kognitiver Verzerrungen, die unsere Wahrnehmung, unser Denken und eben auch unsere Erinnerung systematisch verfälschen. Zahlreiche Studien zeigen: Gerade im Rückblick war früher alles besser. Der Ball liegt also wissenschaftlich betrachtet in der Spielhälfte von Team «Glas Halbvoll».
Bye bye, Scheiss Zeit
In Sachen Ferien hat Terence Mitchell von der University of Washington die rosige Retrospektion schon vor zwanzig Jahren untersucht. In einer vielzitierten Studie begleitete Mitchell 38 studentische Probanden*innen vor, während und nach einer dreiwöchigen Velotour durch Kalifornien und befragte sie regelmässig nach ihren Einschätzungen und Emotionen.
Wie sich herausstellte, hatten die Studierenden während der anstrengenden und recht verregneten Tour durchaus gemischte Gefühle. Im Nachhinein haben wir offenbar aber die Tendenz, ungute Erinnerungen zu verdrängen, um uns umso mehr und ungestört an den schönen zu erfreuen. Das dient letztlich auch der Stützung des Selbstwertgefühls, sagen Psychologen*innen.
Positiv denken ist mega in
Dabei ist immer nur positiv zu denken auch manchmal echt richtig grosser Unsinn. Wenn man zum Beispiel sehr einsam ist, hilft es auch nicht, sich einzureden, man sei eigentlich nur die kürzeste Polonaise oder das exklusivste Clübchen der Welt. Man kann Pessimisten*innen als negativ eingestellte Zeitgenossen betrachten – oder einfach als Menschen, die gerne positiv überrascht werden. Der innere Monolog würde dabei in etwa so ablaufen: «Hey, das Konfibrot ist doch nicht auf die beschmierte Seite gefallen? Läuft!» Ist das dann noch Pessismus oder einfach nur Realismus?
«Hoffnung ist das, was man trotzdem tut.»
«Es ist schwer, auch nur bei irgendetwas optimistisch zu sein», sagt Ore Ogunbiyi, Co-Autorin des Buches «Taking Up Space» der Zeitung «The Guardian»: «Hoffnung ist das, was man trotzdem tut. Optimistisch zu bleiben in einer Welt, die sich von Verzweiflung gelähmt fühlt, ist an sich radikal.» Die Formen der Hoffnung – zunächst in Zukunftsbildern zu denken und später auch zu handeln – helfen vor allem dann gegen den pessimistischen Blick auf die Welt, wenn sie gemeinsam praktiziert werden.
Aktivist*innen legen die Schicht Hoffnung unter der Angst frei
«Wo man Angst hat, da wird man auch hoffen», schreibt die US-Philosophin Martha Nussbaum in ihrem Buch «Königreich der Angst», an dem sie zu arbeiten begann, nachdem Donald Trump im November 2016 zum Präsidenten der USA gewählt worden war. Diese Schicht Hoffnung unter der Angst legen Aktivist*innen frei, wenn sie beginnen, sich für etwas zu engagieren, oder auch die Autorin, als sie anfing zu schreiben. Ja, wir fühlen uns hilflos (Klimaerwärmung, Corona – eigentlich: allgemein 2020!). Schwer, optimistisch zu bleiben, denn es steht nicht gut um unseren Planeten. Aber wer sich intensiver damit auseinandersetzt, was alles noch getan werden kann, der wird merken: einiges. Das als kurzer Appell an den praktischen, statt des blinden Optimismus.