1. Home
  2. Body & Health
  3. Mind
  4. Partnerschaft: Kann man Verliebtsein lernen?
Eine Anleitung zum Verlieben

Können wir uns zur wahren Liebe zwingen?

In der Theorie ist alles schön. Man hat Spass, guten Sex, verbringt gern Zeit miteinander – aber irgendwas fehlt. Man wäre so gerne verliebt, aber ist es irgendwie nicht? Kann man diese Gefühle herbeizwingen?

Artikel teilen

Verliebt

Wenn alles passt – bis auf dieses eine wichtige Detail, das Verliebtsein heisst, wir es oft schwierig.

Pixabay / StockSnap

Manchmal muss man Schluss machen, wenn es am schönsten ist. Noch knapp die Kurve kriegen, bevor es einen emotional so richtig rausschleudert. Manchmal trifft man nämlich Menschen, mit denen man im Supermarkt Tränen lacht, nachts Bryan Adams in Küchen grölt, die einem ungefragt Regale aufbauen oder Küchenfronten bekleben. Die genau wissen, was man am liebsten frühstückt und wann man hangry ist. Mit denen man die perfekte Kuschel-Choreografie hat. Es ist immer schön. Aber trotzdem fehlt etwas.

Ist man nervös, wenn der andere vorbeikommt? Todtraurig, wenn er mal länger keine Zeit hat? Man schaut nach rechts und links und sieht Menschen, die ganz genau wissen: Das ist der oder die Eine. Und man selber? Weiss es nicht. Und kommt zu dem Schluss: Es reicht nicht. Und das tut weh. Weil man würde doch so wahnsinnig gerne. Weil es eigentlich passt – bis auf dieses eine wichtige Detail, das Verliebtsein heisst.

Wir haben bei Dipl.-Psych. Nicole Engel in Berlin angerufen und nachgefragt: Kann man sich da nicht rein zwingen, in die Beziehung, die theoretisch so grossartig wäre? 

Style: Hi Nicole, Style am Apparat. Sag mal, darf eine Beziehung nüchtern und überlegt anfangen – ohne Kribbeln?
Dipl.-Psych. Nicole Engel: Jetzt wird sofort jeder aufschreien: «Nein, das geht überhaupt nicht!» Wenn wir von Liebe sprechen, geht es um ein Gefühl. Wir haben diese allgemeingültige Vorstellung von romantischer Liebe – dazu gehört Verlieben auf den ersten Blick. In der Psychologie betrachtet man aber immer drei Ebenen: Verhalten, Denken und Fühlen. Das Gefühl kann ich als Mensch selten beeinflussen. Ich kann mit grosser Wahrscheinlichkeit nie für mich bestimmen, Liebe zu fühlen. Genauso wenig kann man sich aktiv dazu entschliessen, sich zu freuen oder Angst zu haben. Aber wir können Denken und Verhalten beeinflussen. So können wir unromantischerweise dafür sorgen, dass das Gefühl Liebe dem Denken oder dem Verhalten folgt.

Ich kann das Gefühl also austricksen. Wie geht das?
Wer immer nur allein zu Hause hockt, wird nie die grosse Liebe finden. Man muss raus gehen, potenzielle Partner treffen oder es mal mit Online-Dating versuchen. So wird in einem ersten Schritt über das Verhalten ermöglicht, dass sich das Gefühl, das wir so sehr wollen, auch tatsächlich irgendwann einstellen kann.
Die grösste Schwierigkeit ist, dass wir eine gewisse Vorstellung davon haben, wie der Partner zu sein hat. Das fängt bei der Optik an, endet beim sozialen Status. Je mehr wir werten, umso schwerer hat es das Gefühl. Um die Wahrscheinlichkeit auf mehr potenzielle Partner zu erhöhen, können wir an unserem Mindset arbeiten. Wir dürfen uns unvoreingenommen auf jemanden einlassen – was sehr schwer, aber möglich ist – oder versuchen, das übliche Muster zu durchbrechen. Wer immer den gleichen Typ Mann oder Frau datet, ist jedes Mal ähnlich frustriert.

Alle Erwartungen ablegen – hat Netflix deswegen mit «Love Is Blind», einer Show, in der sich Menschen verknallen, ohne sich je gesehen zu haben, so viel Erfolg? Weil das tatsächlich ein deutliches Problem unserer Gesellschaft ist?
Ja, es ist höchst interessant, den Leuten dabei zuzusehen, wie sie sich ganz ohne ablenkende Faktoren wie Optik oder Status verlieben. Letztendlich klappt es nicht bei allen. Aber an dem Experiment sieht man, dass es eigentlich auch anders geht. Wir geben oft zu früh auf, pochen zu sehr auf Erwartungen. Gerade, wenn wir schon voll im Leben stehen, sind wir oft nicht mehr bereit, auch nur einen Schritt zurückzugehen. Aber Partnerschaft ist immer ein Kompromiss. Wir sind so verkopft, dass das Gefühl gar keine Chance hat. Deshalb sind Urlaubslieben so locker: Da denkt man nicht viel. Im Alltag sieht die Sache wieder anders aus. Dabei ginge es genau darum – um Unvoreingenommenheit.

Angenommen, wir daten bereits, sind uns aber unserer Gefühle unsicher: Sind Schmetterlinge im Bauch überbewertet? Wenn man die voraussetzt, hat man dann zu hohe Ansprüche ans Verliebtsein?
Das ist eine Altersfrage. Je jünger wir sind, desto eher lassen wir uns auf jemanden ein. Dann kommt auch das Gefühl – das Kribbeln. Da probieren wir einfach mal wilde Sachen aus, die dann eben wieder abgebrochen werden. Je älter wir werden, umso weniger Gefühl lassen wir zu: Weil wir schon mal verletzt wurden oder negative Erfahrungen gemacht haben. Der Verstand, die denkende Ebene, ist immer eingeschaltet. Die kann im Weg stehen. Wir malen uns schliesslich ständig Szenarien aus und fragen uns, ob es wirklich passt – wenn das Gegenüber zum Beispiel kleiner ist, weniger Geld hat.

Gibt es gutes und schlechtes Verliebtsein?
Werfen wir, um das zu verstehen, einen Blick auf die Dreieckstheorie der Liebe nach Sternberg. Dieses Modell besteht aus drei Ecken: Mögen, Commitment und Leidenschaft. Wenn wir den andern riechen können, mögen und zusätzlich Anziehungskraft da ist, dann spricht man von romantischer Liebe – von der, die wir aus dem Fernsehen kennen.
Man kann Liebe aber auch auf andere Art und Weise definieren. Wenn man den anderen mag und sich committen kann, sich die Vorstellungen von der Zukunft decken, dann ist es eine eher kameradschaftliche Art von Liebe – aber es ist und bleibt eine Art von Liebe. Die ist nicht besser und nicht schlechter. Es ist einfach nicht die stereotypische. Es ist die, von der man denkt, da würde etwas fehlen.

Man muss am Verliebtsein arbeiten und tüfteln.
Die Situation ist vergleichbar mit der eines Angstpatienten. Wer Angst vor Menschen hat, muss unter Menschen, um die Situation mit einem neuen Gefühl zu verknüpfen. Der Angstpatient lernt eine neue Emotion. Auf die Liebe übersetzt heisst das: Wenn man sich immer wieder auf diesen einen Partner einlässt, bei dem im Grunde ganz viel stimmt, kann man davon ausgehen, dass sich irgendwann ein neues Gefühl, und zwar das von Liebe einstellt.

Was macht die vollkommene Liebe aus: Vertrautheit oder Kribbeln?
Betrachtet man das Dreieck nach Sternberg, dann wird klar, dass eine Ecke nicht reicht. Wenn man sich nur leidenschaftlich angezogen fühlt, fiele die Beziehung in die Kategorie der obsessiven Liebe. Man hat eine Zeit lang guten Sex, aber irgendwann kracht es, weil ganz viel anderes nicht stimmt. Auch die Sache mit dem Sex ist irgendwann ausgeleiert. Es käme der nächste Schritt dran, das Commitment – den kriegen viele dann nicht hin.
Wenn man nur commited ist, also die gleichen Vorstellungen von der Lebensplanung hat, sehen wir uns in einer sehr pragmatischen Liebe. Da würden alle sagen: voll unsexy, da fehlt die Leidenschaft. Die Mögen-Ecke beschreibt das, was man auch mit Freunden hat. Die vollkommene Liebe ist eigentlich, wenn man alle drei Punkte abhaken kann: Wenn man sich mag, Vertrauen hat, Anziehungskraft besteht und man commited ist.

Alles oder nichts?
Wenn mindestens zwei Ebenen gegeben sind, kann man darauf aufbauen. Wir haben gelernt: Wenn man sich offen auf etwas einlässt, kann das Gefühl folgen. Und auch das Alter macht uns einen Strich durch die Rechnung: Wir sind kontrollierter. Es fällt schwerer, Gefühle zuzulassen. Sind diese nicht sofort da, geben wir schnell auf und denken: Das kann es nicht sein. Aber das stimmt nicht.

Das heisst, man kann sich selbst in die richtige Richtung schubsen?
Das Wichtigste ist, sich keinesfalls darauf einzuschiessen, was nicht da ist – sondern sich auf das zu konzentrieren, was da ist. Der Mensch ist gerade in der heutigen Zeit im Modus der Selbstoptimierung – das Gleiche gilt für die Optimierung des Gegenübers. Vielleicht ist da ein potenzieller Partner, bei dem 80% stimmen, aber wir sehen nur das, was besser sein könnte.
Es gilt, zu erforschen: Was ist Gutes da? Wie kann man da mehr rausholen und an den Dingen, die nerven, wachsen? Man muss sich fragen: Was hat das, was ir an dem anderen nicht passt, eigentlich mit mir zu tun? Angenommen Person A ist stark leistungsorientiert und Person B arbeitet nicht mit derselben Überzeugung, dann könnte Person A diese Einstellung an Person B total unsexy finden. Aber das Problem ist lediglich die Leistungsorientierung von Person A – kann also Person A nicht etwas ändern, damit es passt? 
Ausserdem ist es hilfreich, Dinge miteinander zu unternehmen und Erfahrungen zu machen, die zusammenschweissen. Man muss sich ja nicht immer nur im Restaurant treffen und vielleicht ist die angesagte Bar nicht das ideale Setting, um so richtig aufzublühen? Verschiedene Situationen und Orte helfen, den andern kennenzulernen.

Wenn ums Verrecken nichts passiert, wann muss man aufgeben?
Wenn sich das Gefühl nicht aus seinem Schneckenhaus locken lässt, dann bewegen wir uns auf einer reinen Vernunftebene. Letzten Endes muss jeder selbst wissen, was er will. Manche nehmen hin, was sie haben, weil sie nicht allein, ohne Partner, sein können und andere sind lieber allein als mit einem Kompromiss zu leben. Aber wer immer denkt, dass etwas fehlt, wird langfristig nicht glücklich.

Danke, Nicole! War schön, mit dir zu plaudern. Bis bald!

Mehr zu Nicole Engel und dem PSYCHOLOGICUM Berlin gibt es HIER ...

N.E.

Nicole Engel.

Nicole Engel
Von Style am 21. Oktober 2024 - 16:00 Uhr