Sei es die Angst vor Nähe, der Drang, sich in toxische Partnerschaften zu verstricken oder das Gefühl, in Freundschaften zu viel zu geben: Viele Menschen geraten regelmässig in die gleichen Beziehungsmuster. Die Ursache für solche Muster liegt oft in unseren frühesten Bindungserfahrungen. Diese beeinflussen, wie Beziehungen im späteren Leben erlebt und gestaltet werden. In ihrem neuen Buch «Trauma und Beziehungen – wie wir die immer gleichen Bindungsmuster hinter uns lassen» (arkana Verlag) beleuchtet Traumatherapeutin Verena König, wie sich Bindungsmuster entwickeln und warum sie so tief in uns verankert sind. Im Interview erklärt die Autorin, weshalb es so schwer ist, alte Dynamiken zu überwinden und welche Wege es gibt, neue, gesunde Verbindungen zu schaffen.
In Ihrem Buch erklären Sie, dass frühe Bindungserfahrungen unser Nervensystem prägen. Weshalb ist es so schwer, diese Prägungen zu überwinden?
Verena König: Frühe Bindungserfahrungen prägen unser Nervensystem tief. Diese Prägungen sind Basis weiterer Entwicklungen, wie etwa der von inneren Arbeitsmodellen, die unbewusst unser Verhalten steuern. Diese Modelle beeinflussen, wie wir uns selbst, andere und die Welt wahrnehmen. Da sie in einem biologischen Kontext verwurzelt sind, werden sie Teil unserer Persönlichkeit. Allein dieser Umstand macht es schon schwer, solche Muster zu verändern. Wenn die frühen Bindungserfahrungen grossen Stress beinhalten, den wir ab einem gewissen Grad als traumatisch bezeichnen, sind die Prägungen zudem an Reaktionsmuster gebunden, die überlebenswichtig waren. Das, was unser Unterbewusstsein als «überlebenswichtig» einstuft, können wir nicht einfach abstreifen. Kurz gesagt: Muster, die unter traumatischem Stress entstanden sind, sind besonders solide. Sie verändern zu können, erfordert neue, sichere Bindungserfahrungen.
Muss hinter einem Bindungsmuster bzw. einer Bindungsstörung immer ein offensichtliches Trauma stecken?
König: Hier müssten wir zunächst klarstellen, was mit einem «offensichtlichen» Trauma gemeint ist. Insbesondere frühe traumatische Bindungserfahrungen werden von Betroffenen nicht zuverlässig als traumatisch entschlüsselt, auch wenn in der Traumaforschung bekannt ist, wie wirkmächtig sie sind. Ungesunde Bindungsmuster können sich auch durch subtile und kontinuierliche Missachtungen der emotionalen Bedürfnisse des Kindes entwickeln, wie etwa mangelnde Zuwendung oder emotionale Kälte. Diese stressreichen Erlebnisse beeinflussen die Bindungsfähigkeit ebenfalls erheblich.
Die sogenannten Bindungsstörungen hingegen sind oftmals traumatisch verursacht und stellen eine enorme Belastung für Betroffene dar.
Wie beeinflusst unser Bindungsverhalten unsere Fähigkeit, authentische Verbindungen zu anderen Menschen einzugehen?
König: Unser Bindungsverhalten bestimmt, wie sicher wir uns in zwischenmenschlichen Beziehungen fühlen und ist zugleich Ausdruck davon, als wie sicher wir Bindung generell empfinden. Unsichere Bindungsstile führen oft dazu, dass Menschen sich entweder übermässig abhängig machen (überaktiviertes Bindungssystem) oder Nähe vermeiden (deaktiviertes Bindungssystem). Beides kann dazu führen, dass authentische, tiefgehende Verbindungen schwierig sind, da entweder die Angst vor Zurückweisung oder die Angst vor Nähe dominiert und unser Verhalten davon bestimmt wird. Ein authentisches Benennen von Bedürfnissen oder Grenzen kann dann schwierig sein, genau so wie die Fähigkeit, sich als autonom und selbstbestimmt in einer Beziehung zu erleben.
Welche Auswirkungen haben ungesunde Bindungsmuster auf das eigene Selbstwertgefühl?
König: Unser Selbstwertgefühl spiegelt sich in unseren Bindungsmustern. Menschen, die unsicher gebunden aufwachsen, entwickeln oft ein verzerrtes Selbstbild, in dem sie sich als ungenügend oder nicht liebenswert wahrnehmen. Dies führt häufig zu chronischem Selbstzweifel und Schwierigkeiten, Vertrauen in sich selbst und andere aufzubauen.
Was sind typische Zeichen dafür, dass jemand in einem ungesunden Bindungsmuster feststeckt, sei es in romantischen Beziehungen, Freundschaften oder im Beruf?
König: Immer dann, wenn sich jemand wiederkehrend in Beziehungen (gleich welcher Art) befindet, die ihn belasten, übermässig herausfordern oder einfach nicht erfüllen, ist das ein Hinweis auf eine ungesunde Dynamik, die sich in Mustern zeigt. Zu den typischen Anzeichen gehören etwa übermässige Anpassung bis hin zur Abhängigkeit, Angst vor Ablehnung, Eifersucht, emotionale Erpressung oder auch das ständige Vermeiden von Nähe und Intimität. Diese Muster können sowohl in romantischen Beziehungen als auch in Freundschaften oder beruflichen Kontexten auftreten.
Wie kann man sich seiner Muster bewusst werden und diese identifizieren?
König: Bewusstwerdung erfordert Achtsamkeit und Reflexion. Ein Weg ist, die eigenen Reaktionen in Beziehungssituationen zu beobachten und sich dabei zu fragen, ob sie im Hier und Jetzt erforderlich sind oder aus alten Verletzungen resultieren. Ab einem gewissen Grad an Belastung können auch Therapie oder traumasensible Begleitung dabei helfen, diese Muster aufzudecken und zu verstehen.
Welche praktischen Übungen oder Ansätze empfehlen Sie, um alte Bindungsmuster zu durchbrechen und neue, gesunde Verbindungen zu schaffen?
König: Übungen allein sind nicht ausreichend, um nachhaltige Veränderungen zu erzielen. Es bedarf der Bereitschaft, sich selbst wohlwollend und ehrlich zu reflektieren. Zudem kann eine bewusste innere Haltung, die an den eigenen Werten orientiert ist, sehr hilfreich sein, um aus dysfunktionalen Mustern herauszuwachsen und Beziehungen bewusst wohltuend zu gestalten. Elementar wichtig ist, dass wir uns korrigierende Erfahrungen ermöglichen, die unsere alten, traumabedingten Überzeugungen und Erwartungen nicht bestätigen, sondern uns dazu befähigen, die sichere Bindung kennenzulernen und nach und nach selbst zu gestalten. Und ganz wichtig ist zu wissen: Es ist nie zu spät dafür, sichere Bindungen und gelingende Beziehungen zu erschaffen.