Immer gut gelaunt sein und stets positiv denken: Das wünschen sich viele. So einfach ist das allerdings gar nicht, wenn nicht sogar unmöglich. «Good Vibes Only»-Posts in den sozialen Medien würden uns jedoch genau das vorleben, kritisiert Anna Maas. In ihrem Buch «Die Happiness-Lüge: Wenn positives Denken toxisch wird» (Eden) spricht sie darüber, dass Positivität sogar gefährlich sein kann. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news plädiert sie dafür, idealisierte Lebensbilder nicht als Vorbild zu nehmen und sich auch mal zu erlauben, schlecht gelaunt zu sein.
Spot: Sie erzählen in Ihrem Buch, «Good Vibes Only»-Postings und ähnliches während der Corona-Krise hätten Sie gestört. Sie bezeichnen zu viele positive Vibes als «Toxic Positivity». Können Sie diesen Begriff einmal erläutern?
Anna Maas: «Toxic Positivity», oder «toxische Positivität», basiert auf der Annahme, dass ein Leben nur dann gelungen ist, wenn es durch und durch aus positiven Gefühlen besteht. Positives Denken ist an sich ja ein toller Ansatz – doch wenn gar kein Raum mehr für unangenehme Gefühle und belastende Situationen bleibt und wenn dieses positive Denken dazu führt, dass wir Gefühle bei uns selbst und bei anderen klein reden und nicht ernst nehmen, kann das sehr belastend sein und schlimmstenfalls unserer psychischen Gesundheit schaden.
Ausserdem schiebt die Ideologie des positiven Denkens die Verantwortung auf das Individuum: «Du bist deines Glückes Schmied» bedeutet eben auch «Wenn du nicht glücklich bist, wenn du genervt bist, wenn du dich ungerecht behandelt fühlst, dann bist du selbst schuld. Arbeite doch einfach an deinem Mindset!» Dieses Denken blendet strukturelle Probleme und äussere Umstände komplett aus.
«Wer unglücklich ist, ist selbst Schuld»: Sie erklären, dass durch solche Ansätze Druck aufgebaut wird. Sollte man im Umkehrschluss also nicht versuchen, glücklich zu sein?
Maas: Zum einen halte ich die Aussage, dass jeder allein für Glück oder Unglück verantwortlich ist, ja nicht für richtig, sondern für Unsinn. Wir werden in eine bestimmte Gesellschaft, in eine bestimmte Familie und in bestimmte Privilegien und strukturelle Schwierigkeiten hineingeboren. Dann machen wir Erfahrungen, die wir uns auch nicht immer selbst aussuchen. All das bestimmt mit, wie happy oder psychisch vorbelastet wir sind.
Zum anderen ist es natürlich schön, wenn man glücklich ist – und total nachvollziehbar, dass man danach strebt. Aber unangenehme Gefühle sind wichtig für uns, wir sollten sie nicht verdrängen. Jedes Gefühl gibt uns einen Hinweis über unsere Bedürfnisse und Wünsche. Wir können uns selbst nur näherkommen – und ganz nebenbei auch schneller wieder aus einem Tief herauskommen –, wenn wir anerkennen, dass die gesamte Klaviatur an Emotionen wichtig ist und zum Leben dazugehört. Und: Wut beispielsweise ist ein Antreiber, um Veränderungen anzustossen! Ohne wütende Frauen würde ich vermutlich heute noch die Unterschrift meines Mannes brauchen, um ein Konto zu eröffnen.
Ist der Druck, glücklich zu sein, durch Social Media gestiegen?
Maas: Ich glaube schon. Auf Instagram und Co. werden sehr idealisierte Lebensbilder geteilt. Da viele von uns sehr häufig in die Apps reinschauen, sind wir diesen Bildern immer und immer wieder ausgesetzt. Zudem sind das ja keine Topmodels oder Stars, sondern «Leute wie du und ich», bei denen scheinbar alles perfekt läuft. Das erhöht natürlich zusätzlich den Druck, mithalten zu wollen. Dabei vergessen wir immer wieder, dass auf Instagram nur ein winziger Ausschnitt eines Lebens geteilt wird und wir keine Ahnung haben, wie es dahinter wirklich aussieht.
Wie schafft man es, sich nicht von «glücklichen Posts» anderer runterziehen zu lassen oder neidisch zu sein? Oder ist das auch mal okay?
Maas: Ich glaube, jeder muss für sich selbst einschätzen, wie sehr sie oder ihn diese Bilder unter Druck setzen. Ich hatte Phasen, in denen ich damit gar nicht gut umgehen konnte – da habe ich rigoros aussortiert und alle Kanäle stummgeschaltet, bei denen ich das Gefühl hatte «Die kriegen alles besser hin als ich». In anderen Phasen empfinde ich besonders tolle Einrichtungs-, Fashion-, Beauty- und Elternkanäle eher als Inspiration, schaue mir ein paar Dinge ab und fühle mich überhaupt nicht minderwertig.
Und ja, selbstverständlich ist es okay, Phasen zu haben, in denen einem diese ganze Happy-Peppy-Glitzerwelt auf den Keks geht und man vielleicht auch Neid empfindet. Meine Empfehlung: Kanälen folgen, die wirklich authentisch sind. Die mal ein «Happiness-Posting» online stellen, aber eben auch mal eines, bei dem man merkt, dass nicht immer alles rund läuft.
Wie wichtig ist es, im Freundes- und Bekanntenkreis auch negative Emotionen anzusprechen?
Maas: Ich glaube, dass echte Freundschaften überhaupt nur entstehen, wenn man über alle Emotionen – auch die «negativen» – sprechen und sich auch in schwierigen Situationen auf die andere Person verlassen kann. Wenn man offen anspricht, was man gerade durchlebt, öffnet sich häufig auch die andere Person und man merkt: Damit bin ich nicht allein. Das kann sehr erleichternd sein und Verbindung schaffen!
Haben Sie ein Ventil für negative Gedanken? Wie gehen Sie mit Situationen um, in denen Sie unglücklich sind?
Maas: Ich persönlich muss immer darüber sprechen. Mit meinem Mann oder mit Freunden und Freundinnen. Mir hilft dieser Austausch total. Es ist aber auch völlig legitim, Dinge erstmal mit sich selbst auszumachen. Tagebuch schreiben kann auch helfen, die Emotionen zu sortieren. Und ja, auch ein Streit muss ab und zu sein. Wichtig finde ich nur: Nicht alles runterschlucken und wegdrücken, sondern allen Emotionen Raum geben.