Vor drei Wochen gab eine Influencerin auf Instagram an, sie sei vom deutschen Rapper Samra vergewaltigt worden. Sofort wurden die News um Samra auf Social Media ausgeschlachtet: Rapperin Shirin David zeigte sich solidarisch, Universal, das Plattenlabel des Sängers, distanzierte sich von ihm – und plötzlich war eine Bewegung da, die schon lange hätte da sein müssen.
#deutschrapmetoo
Es ist die Metoo-Bewegung der Rap-Szene, die eine neue Ära einläuten sollte. Eine Ära ohne frauenfeindliche Songtexte, Slut-Shaming, Sexismus und Gewalt. Alles schien, als wären deutsche Rapper*innen dazu bereit, sexistische Texte aus ihrem Wortschatz zu verbannen und sich dem emanzipierten Zeitgeist anzupassen. Und heute, drei Wochen später, scheint das ganze auf Social Media wieder in Vergessenheit geraten zu sein. Ist die Bewegung bereits wieder verschwunden? Wird eine mögliche (es gilt die Unschuldsvermutung) Straftat einfach so übergangen, wenn die Fanbase genügend gross ist? Wird der Sexismus ungebremst weiterhin toleriert?
Toleranz im grossen Raum
Deutschrap ist mittlerweile das zweitgrösste Musikgenre Deutschlands. Laut Statista hören gut 40 Prozent der Jugendlichen in Deutschland Rap in deutscher Sprache. Auch in der Schweiz steht eine riesige Community hinter den Musiker*innen (man erinnere sich daran, dass eine der erfolgreichsten Deutschrapperinnen Loredana ist, die aus Luzern kommt). Heisst: Die Hörerinnen und Hörer verstehen ganz genau, was die Rapper*innen singen. Alle kennen die aggressive Sprache, die sexistischen Texte – und trotzdem wird eifrig angefeuert und mitgerappt. Wie kann es sein, dass Sexismus in einer so grossen Community nach wie vor toleriert und akzeptiert wird, ja fast schon Teil der Kultur ist?
Seit Jahren ist die Verharmlosung von Sexismus und Gewalt ein strukturelles Problem der Rapkultur. So auch 2019, als eine Frau Vorwürfe gegen den Rapper Gzuz der 187 Strassenbande erhob. Diese wurden dann schnell von den Anwälten des Rappers unterbunden, das Thema war gegessen. Und heute, ziemlich genau zwei Jahre später, scheint der Verlauf der Anschuldigungen praktisch identisch. Denn obwohl Shirin David und das Plattenlabel von Samra innert kürzester Zeit reagierten und mit dem Hashtag eine Bewegung startete, scheint die Aufruhr sich bereits wieder beruhigt zu haben. Das ganze bleibt für den Rapper folgenlos.
Der Influencer-Lifestyle ist von Vorteil
Eine mögliche Begründung dafür ist, dass die schnelllebige Welt, in der wir uns heute bewegen, die allgemeine Toleranz erhöht. Besonders auf Social Media kann jemand innert Stunden gecancelled werden, Stichwort Cancel Culture. Aber – und das ist der springende Punkt – genauso schnell wird das Vergangene auch wieder vergessen. Und: Rapper*innen haben auf Social Media oft eine riesige Fanbase hinter sich, die manchmal gar nichts von den Skandalen ihrer Idolen mitkriegt.
Die Musikwissenschaftlerin Nava Zarabian erklärt gegenüber dem deutschen Magazin ze.tt: «Musiker*innen sind auch Influencer*innen. Sie sind nicht mehr darauf angewiesen, was Medien über sie berichten, weil ihnen Millionen Menschen auf Instagram folgen.» Unter diesen Umständen ist es als Fan natürlich schwierig, ein unabhängiges, neutrales Bild seines Idols zu kriegen. Denn die Verbindung von Musiker*in zu Hörer*in ist stärker denn je, man fühlt sich dank Social Media vertraut – und wird vielleicht etwas blind vor (Fan-)Liebe. Und wer vertraut und liebt, der toleriert.
Das weiss auch Rapper Samra und wendet sich deshalb in einem Video direkt an seine Fans: «Geht raus und zeigt der ganzen Welt, dass diese kleine ... (hier macht er eine kurze Pause) süsse Maus lügt.» Dann streckt er den Mittelfinger in die Kamera. Und fährt fort: «Ihr kriegt mich nicht kaputt. Fick die Presse, fick Universal, fickt euch doch alle. Ich bin kein Vergewaltiger. (...) Ich liebe Frauen und Frauen lieben mich. Ich muss so etwas nicht tun. Niemals.» Aggressiv. Selbstbewusst. Scheinbar unzerstörbar. Seine Aussagen passen wie die Faust aufs Auge zum Rapper-Image, für das er von seinen Fans gefeiert wird. Und der Sexismus geht weiter.
Ob Samra schlussendlich schuldig ist oder nicht, wird sich noch zeigen. Sicher ist aber: Es ist schon längst an der Zeit, die Songtexte des Deutschraps zu überarbeiten. Zu hoffen bleibt deshalb, dass die #deutschrapmetoo-Bewegung trotz kurzer Dauer manchen Sänger*innen und Plattenlabels der (deutschen) Rap-Szene die Augen geöffnet hat. Dass Sexismus und Gewalt nicht länger verharmlost werden. Und dass Rapper*innen sich sensibilisieren und ihren Wortschatz hinterfragen. Denn das – und lasst es uns in Shirin Davids Worten sagen: Lieben wir.
Was meint ihr zur Deutschrap-Debatte? Schreibt es uns in die Kommentare.