Wer bereits in seinen Dreissigern angekommen ist und «immer noch» keine Eigentumswohnung besitzt, dafür jedes Wochenende ausgeht und die Kinderplanung erst mal auf die lange Bank geschoben hat, der wurde vor ein paar Jahrzehnten mit einer ziemlich hohen Wahrscheinlichkeit noch verdammt schräg angeguckt. Vor allem von Gleichaltrigen, die das vermeintlich traumhafte Eigenheim eben schon besassen, mit ihren Kindern durch den selbstverständlich vorhandenen Garten rannten und schon ewig goldene Ringe an ihren Fingern stecken hatten. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Die Dinge, die ein typisches Erwachsenen-Dasein definieren, erreichen wir immer später. Das beste Beispiel: Kinder kriegen. Wir bekommen heute nämlich immer später Nachwuchs. Die Schweizerinnen sind da im europaweiten Vergleich ganz vorne mit dabei. Das Durchschnittsalter der ersten Geburt liegt hier bei über 30.
Durchschnittsalter der Geburt des ersten Kindes in Europa 2015
Aber nicht nur das mit dem Familiegründen verschiebt sich. Peter Jones, Psychologe der University of Cambridge hat sich darauf spezialisiert, die Vorgänge in unseren Gehirnen zu untersuchen. Was er bezüglich des Erwachsenwerdens heraus fand, mag vielleicht den ein oder anderen in seinem Denken bestätigen – oder eben in Panik versetzen: Die neurologische Entwicklung des Gehirns hört keinen Falls mit 18 Jahren, dem hierzulande offiziellen Alters des Erwachsenseins, auf. Jones erkannte, dass dieser Prozess uns nicht nur bis in die 20er begleitet, sondern auch noch in den 30ern stattfindet. Kontroverserweise beweisen diverse Studien, dass die Pubertät dafür immer früher beginnt. Die Phase, in der wir uns selbst finden und uns fragen, was wir eigentlich vom Leben wollen, zieht sich also länger und länger.
Inzwischen bekommen wir es vielleicht tatsächlich hin, rechtzeitig unsere Rechnungen zu zahlen, das Altglas nicht nur zweimal im Jahr wegzubringen und mehr im Kühlschrank zu haben als nur Flüssignahrung. Aber bedeutet das, dass wir erwachsen sind? Laut Psychologe Jones offenbar nicht. Mmh, ist das jetzt eigentlich erschreckend für uns? Mal ehrlich: Wollen wir überhaupt erwachsen sein? Das Leben so richtig im Griff zu haben, mit allem Drum und Dran, klingt doch eigentlich schon verlockend. Das Problem, das uns meist davon abhält, ist die Frage nach dem «Und dann?». Den meisten ist zwar klar, dass sie irgendwann eine Familie gründen wollen, aber eben noch nicht jetzt, denn irgendwie scheint es oft so, als sei es der letzte grosse Step im Leben. Und das Hinauszögern klingt ja logisch. Wir sehen, dass unsere Eltern mit zunehmendem Alter noch immer kerngesund und quick lebendig sind. Wenn wir ja eh immer älter werden, können wir auch gut und gerne noch etwas mit dem «Ernst» des Lebens warten.
Um fair zu sein: Nicht alle Schuld liegt in unseren (oft viel zu viel kreisenden) Gedanken. Ob wir wollen oder nicht, grösstenteils wird unser Denken und Handeln von der Gesellschaft geprägt. Ebenfalls unsere Reife. Wo es vor ein paar Jahrzehnten noch üblich war, unmittelbar nach der Schule eine Lehre zu beginnen und bereits den ersten Fuss ins Berufsleben zu setzten, ist es heute Gang und Gebe zu studieren, zu reisen. Und das nicht nur in den Zwanzigern, sondern teilweise sogar bis wir 30 und älter sind. Finanziell halten wir uns währenddessen mit Nebenjobs über Wasser oder – noch kontraproduktiver – müssen uns weiterhin vom Mami und Papi aushalten lassen. Zudem fehlt ein geregelter Alltag, den gewöhnliche Nine-to-Five-Jobs im Gegensatz oft automatisch mit sich bringen. Statt jeden Tag zur gleichen Zeit rauszumüssen, haben Studierende ständig variierende Vorlesungs-Zeiten und können, wenn es draussen wieder besonders grau aussieht, einfach mal liegen bleiben.
Egal wie sehr wir uns gegen das Erwachsenwerden sträuben, irgendwann wird es aufgrund unserer Erfahrungen und unseres innerlichen Lernprozesses ganz einfach passieren. Wäre Peter Pan also eine reale Person, würde selbst er inzwischen erwachsen sein – ob er will oder nicht. Bei manchen passiert es früher, bei manchen eben später. Fürchten muss sich davor allerdings niemand. Auch das wird nicht das Ende aller unserer Freiheiten und Träume bedeuten. Immerhin haben wir laut Statistik dann in der Regel noch zwei Drittel unseres Lebens vor uns. Und die mit mehr Organisation und erlerntem Selbstbewusstsein zu zelebrieren, klingt doch eigentlich gar nicht mal so schlecht, oder?