Mit der seit Mitte Februar laufenden Reality-Show «Love is Blind» landet Netflix mal wieder einen riesigen Hit, der für jede Menge Gesprächsstoff sorgt. Nach einer aufgeregten Zusammenfassung einer guten Freundin, warf auch ich den TV an – und war sofort hooked. Es läuft wie folgt: Männer und Frauen werden zu Beginn in sogenannte «Pods» gesteckt, ohne, dass sie sich dabei sehen können oder während dieser Zeit Zugang zur «wirklichen» Welt haben. Dann heisst es: Reden. Mit einem Partner, der einem aufgrund bestimmter Eigenschaften zugeordnet wird. Das Einzige, in das sie sich so verlieben können, ist die Stimme und der Charakter ihres Gegenübers. Der Begriff «Blind Dating» wird dadurch dank Netflix auf ein ganz neues Level gehoben. Ein spannendes Experiment, dass ich als alter Romantik-Fanatiker zu Beginn natürlich umwerfend fand.
Body-Positivity? Fehlanzeige.
Um einander irgendwann sehen zu dürfen, reicht reines Verlieben jedoch nicht aus. Es muss (typisch Amerika) ein Antrag folgen. Fand ich persönlich zwar etwas zu viel des Guten, aber ja gut, irgendwie ist es dann ja doch nett anzuschauen. Zu meinem Verwundern verlobten sich ganze sechs (!) Paare – crazy. Aber hey, Welcome to Amerika. Nachdem sich die Paare einander versprochen haben, durften sie sich endlich das erste Mal sehen, anfassen, küssen. Und? Tatsächlich waren alle happy. Tja, nur war das meiner Meinung nach keine Bestätigung dafür, dass sich alle ach so sehr in das Innere ihres Gegenübers verliebt haben. In Wirklichkeit wurde einfach niemand enttäuscht. Alle Kandidaten entsprachen eindeutig dem allgemeinen Schönheitsideal: durchtrainiert, strahlend weisse Zähne, perfekt geföhnte Haare.
Diversity? Vergiss es.
Für die frisch Verlobten ging es dann nach Mexico in den Liebesurlaub – immer noch ohne Smartphone oder andere Kontaktmöglichkeiten zur Aussenwelt. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich vermutet, ich würde mich inmitten einer Episode des amerikanischen Bachelors befinden. Es folgten Traumdates am Strand, romantische Dinner und klar, jede Menge Alkohol. Als Carlton seiner Verlobten in den Ferien seine Bisexualität gestand, trennte sich das Paar rasch. Das Traurige daran? Mit Carlton verlor die Sendung seinen einzigen nicht heterosexuellen Teilnehmer.
Rassismus? Leider ja.
Für die übrigen (Hetero-)Couples wurde es dann ernst. Sie durften zurück in die echte Welt. Inklusive Smartphones, inklusive Treffen mit den Eltern. Für die dunkelhäutige Lauren hiess das, sie musste ihrem rassistischen Papa ihren weissen Verlobten Cameron vorstellen. Der war natürlich alles andere als begeistert. Ich auch nicht. Ich war wütend, dass Netflix ein solches Gespräch überhaupt ausstrahlt. Rassismus, egal in welche Richtung, sollte keine Plattform erhalten – auch wenn es bei Cameron und seinem Schwiegervater am Ende doch zum Happy End kommt.
Psychischer Druck? Ohja!
Nach den Familientreffen gings in Brautmoden-Geschäfte und kurz danach auch schon zum Altar. Dass nur zwei von fünf überbleibenden Paaren sich letztendlich wirklich das Ja-Wort gaben, wundert mich als Zuschauer nicht. Um sich überhaupt körperlich kennenlernen zu dürfen, wurden die Paare ja förmlich gezwungen, sich zu verloben – nach einer Woche. Zwei Wochen später hätten sie dann Nägel mit Köpfen machen sollen. Dass der Druck viele Kandidaten übermannte ist wohl nachvollziehbar.
Am Ende der Show war ich rundum enttäuscht. Die Idee, sich nur in den Charakter zu verlieben, und die Optik (die im echten Leben eine so grosse Rolle spielt) unseres Gegenübers aussen vor zulassen, finde ich super. Die ganze Umsetzung von «Love is Blind» ist allerdings mehr als fragwürdig. Hätten sich die Kandidaten auch verliebt, wenn der potentielle Partner nicht wunderschön gewesen wäre? Wären am Ende vielleicht sogar mehr Paare zusammengeblieben, wenn sie nicht dem ständigen Heiratsdruck ausgesetzt worden wären? Fragen, die für mich (und viele andere) leider unbeantwortet bleiben.