Während man sich früher in Sexshops schlich und verschämt eine VHS-Kassette über den Ladentisch reichen liess, ist Pornografie heute mit einem Mausklick 24 Stunden pro Tag verfügbar. «Durch den Anstieg der Verfügbarkeit steigt auch der Konsum», sagt die Sexologin Ursina Donatsch (44). «Und dadurch natürlich auch die potenziellen Probleme.» Denn die Schambehaftung rund ums Thema hat sich nicht geändert, auch wenn fast jede und jeder von uns schon mal einen Porno gesehen hat. So steigt auch die Anzahl der Paare, die sich in Sachen Porno-Konsum Hilfe der Psycho- und Paartherapeutin Ursina Donatsch holen. In ihrem soeben erschienen Buch «Porno und Partnerschaft – Lust oder Last?» informiert Donatsch eingehend über das Thema und gibt Ratschläge zum Umgang damit. Im Gespräch räumt sie mit Vorurteilen auf.
Mythos 1: In einer Beziehung konsumieren nur Männer Pornografie
«Gar nicht! Im Gegenteil: Bei den Frauen ist der Anstieg des Porno-Konsums allgemein recht stark. Auch wenn die klassische Mainstream-Pornografie immer noch sehr männerbezogen ist, hat sich in den letzten paar Jahren einiges getan. Es gibt mehr weibliche Regisseurinnen und mehr auf Frauen zugeschnittene Alternativen. Was stimmt ist, dass Männer Pornografie ganz anders konsumieren als Frauen und Solo-Sexualität anders leben. Das scheint evolutionstechnisch stark verankert zu sein.
Männer reagieren sehr stark auf visuelle Reize, ihr Solo-Sex ist effizient und effektiv. Sie schauen selten ganze Filme, sondern einzelne Szenen, oft auch mehrere Szenen gleichzeitig auf einem oder mehreren Bildschirmen. Frauen hingegen nutzen nicht nur visuelle Quellen, sondern zum Beispiel auch audielle oder erotische Literatur. Sie setzen bei der Selbstbefriedigung zusätzlich zu äusseren Reizen auch viel mehr auf die eigene Fantasie als Männer. Wichtig ist zu erwähnen, dass wir hier von Durchschnitten sprechen. Es gibt immer auch Ausnahmen.»
Mythos 2: Wer Pornografie konsumiert, ist unzufrieden mit dem eigenen Sexleben
«Das häufigste Vorurteil überhaupt in diesem Bereich – und es ist falsch. Pornos und Partner-Sex haben keinen direkten Zusammenhang. Bei letzterem geht es um Intimität, Verbundenheit und Nähe. Solo-Sex hingegegen, zu dem auch der Porno-Konsum gehört, ist eine Investition in die eigene Sexualität. Fast jeder Mensch lebt eine solche, auch wenn er oder sie in einer Paar-Beziehung ist, und das ist gut: Wenn man den eigenen Körper kennt, verbessert das auch die Qualität des Sexlebens zu zweit.
Die häufigste Angst, wenn der Partner oder die Partnerin Pornografie konsumiert ist, dass ihm oder ihr im gemeinsamen Sexualleben etwas fehlt. Auch das ist falsch. Es gibt einen Unterschied zwischen Fantasien und realen Wünschen. Wer gerne Action-Filme schaut, spürt ja auch nicht den dringenden Wunsch, aus einem brennenden Helikopter zu springen.»
Mythos 3: Wer trotz Partnerschaft Pornos schaut, ist sexsüchtig
«Ich bin sehr vorsichtig mit dem Begriff Sucht in diesem Zusammenhang. Im Gegensatz zu anderen Süchten, ist die Häufigkeit des Konsums bei Pornografie kein Indikator für eine Sucht. Problematisch wird der Konsum dann, wenn man nicht mehr unter Kontrolle hat, wann und wie man konsumiert und wann man aufhört. Sehr problematisch wirds, wenn wenn man den eigenen Körper nicht mehr spürt, man immer mehr und noch krassere Szenen braucht, aber sich trotzdem kaum mehr bewusst ist, wie sich der Körper gerade überhaupt anfühlt, was man mit ihm macht. Und wenn der Konsum von Pornografie einen Einfluss auf andere Dinge im Leben hat, man zum Beispiel Hobbys oder Sozialleben vernachlässigt. Ich denke, da brauchts dann wirklich eine Therapie.»
Mythos 4: Pornokonsum macht eine Partnerschaft kaputt
«Ich würde es so formulieren: Ungesunder Pornokonsum kann einer Partnerschaft schaden. Gesunder Konsum kann sie sogar bereichern. Bei heimlichem, schambehafteten Konsum kann es zu sehr vielen Missverständnissen kommen. Die Ängste einer Partnerin oder eines Partners sind real: Die Angst, dem Vergleich nicht standzuhalten, nicht zu genügen, weder körperlich noch sexuell. Das ist normal. In dieser Situation hilft es aber nichts, Pornos zu verteufeln. Mein Ansatz in der Therapie ist jeweils, sie zu enttabuisieren. Man muss sich nicht schämen für seinen Pornokonsum, aber man muss sich damit auseinandersetzen, sowohl allein als auch als Paar. Fehlende Kommunikation schadet einer Partnerschaft viel mehr als Pornokonsum an und für sich.
Ich habe übrigens noch nie ein queeres Paar beraten, welches Probleme mit Pornografie hat. Es gibt keine Studien zu diesem Thema, aber aus sexologischer Perspektive macht es Sinn: Queere Sexualität ist nicht so normativ wie heterosexuelle. Das heisst, in einer heterosexuellen Beziehung gibt es vordergründig meist keine Notwendigkeit, über Sex zu sprechen. Bei nicht heterosexuellen Menschen ist das anders. Sie müssen sich immer wieder mit ihrer Sexualität auseinandersetzen, das hat sicherlich auch einen offeneren Umgang mit Pornografie zur Folge.»
Mythos 5: Gemeinsamer Pornokonsum funktioniert nicht, da Männer andere Interessen haben als Frauen
«Ich rate Klientinnen und Klienten gern zu gemeinsamem Pornokonsum, aber nicht als Ersatz für den eigenen. Es geht hier nicht in erster Linie um Erregung, sondern darum, ins Gespräch zu kommen – was nur schon beim Aussuchen eines Filmes unausweichlich ist. Dem Partner oder der Partnerin zu erzählen, was man gerne konsumiert, kann ganz schön schwierig sein. Aber wir müssen in einer Beziehung ja auch sonst manchmal über schwierige Dinge reden.
Wichtig ist es, Ängste und Unsicherheiten ernst zu nehmen. Mein allerwichtigster Tipp im Umgang mit Pornografie in der Partnerschaft ist deshalb nicht der gemeinsame Konsum, sondern dieser: Nimm den Pornokonsum deiner Partnerin oder deines Partners nicht persönlich. Er hat nichts mit eurer gemeinsamen Sexualität zu tun. Und redet darüber.»