«Lasst mal ein Selfie machen.» Dieser Satz fällt mittlerweile bei fast jedem Anlass mindestens einmal. Und zwar in jeder Altersklasse. Und ja, so ein Selfie kann eine schöne Erinnerung an freudige Momente sein. Eigentlich ist das Machen eines Selfie aber keine Gruppen- sondern vielmehr eine Einzelaktvitität. Wir richten die Innenkamera unseres Handys straight aufs Gesicht, posieren, drücken ab – et voilà, schon haben wir ein modernes Selbstporträt.
Bestimmt habt ihr schon mal eins gemacht, oder? Keine Sorge, ihr müsst euch dafür nicht schämen. Viele Selfie-Macher*innen haben Angst, als eitel abgestempelt zu werden. Mittlerweile gibt es deshalb einige, die absichtlich lustige oder «unattraktive» Selfies posten, um ihren Humor zu betonen. Aber wir stempeln euch nicht pauschal als selbstverliebte Narzissten ab. Und wir werfen euch auch nicht vor, dass ihr euch anhand von Selfies soziale Bestätigung erhofft oder nach Komplimenten fischt. Das wollen nämlich nicht alle, die Selfies von sich schiessen. Ehrenwort. Aber von vorne.
Danke, betrunkener Australier!
Funfact: Das Wort «Selfie» wird bereits in den 1970er-Jahren, als erstmals Anglizismen in der deutsche Sprache auftraten, verwendet. Allerdings gilt es damals als Abkürzung für «Selbstbefriedigung», analog zum Wort «Quickie».
Das Wort in seiner heutigen Bedeutung (gemeint ist die Foto-Variante, nix mit Sex) entsteht schliesslich 2002 an einer Geburtstagsparty in Australien. Dort stürzt ein Betrunkener die Treppe runter und schiesst ein Foto von sich und seiner verletzten Lippe. Dieses postet er online und schreibt dazu: «Ich hatte ein etwa ein Zentimeter langes Loch direkt in meiner Unterlippe. Und entschuldigt den Fokus, es war ein Selfie.» Der Begriff setzt sich durch, wird weltweit bekannt – und 2013 vom Oxford English Dictionary zum Wort des Jahres erklärt. Und damit war die Sache geritzt. Also: Ein Hoch auf den innovativen, betrunkenen Australier!
Ein Selfie = Macht
Aber warum gefällt es uns so sehr, uns in einem selbst gemachten Foto zu betrachten? Die Antwort liegt – ob ihr wollt oder nicht – dann doch in der Eitelkeit. Im Gegensatz zu anderen Bildern, die beispielsweise ein Fotograf von uns schiesst, haben wir beim Selfie die vollumfängliche Kontrolle. Wir kontrollieren vor dem Abklicken jedes Härchen, den Blick, den Mund und formen alles so, wie es uns gefällt. Und dann – klick! Ist das Foto im Handy, wird nochmals ganz genau begutachtet und schliesslich erst gepostet, wenn uns auch wirklich jeder Winkel gefällt. Und wenns nicht gefällt, wirds eben wieder gelöscht. Man hat die Macht über das eigene Bild. Und die meisten Menschen mögen es ja bekanntlich ziemlich gerne, wenn sie Macht haben.
Her mit dem vertrauten Spiegelbild
Ein weiterer Vorteil von Selfies ist, dass sie spiegelverkehrt sind. Unser Gesicht ist von Natur aus asymmetrisch: Der eine Wangenknochen sticht mehr hervor, der andere Mundwinkel hängt etwas runter und von den Augenbrauen wollen wir gar nicht erst anfangen. Alles ganz normal. Ausser vielleicht bei Topmodel Gigi Hadid. Die scheint das Wort Asymmetrie nicht zu kennen. Aber bleiben wir beim Thema …
Gesichter sind asymmetrisch. Das führt dazu, dass vielen Leuten eine Aufnahme – geschweige denn eine Nahaufname – ihrer Visage nicht gefällt, weil sie ihr Aussehen ja nur vom Spiegel kennen. Und das ist spiegelverkehrt. Ein Selfie jedoch zeigt das gewohnte Abbild aus dem Spiegel. Das erklärt übrigens auch, warum das Gesicht auf einem Selfie für andere dann manchmal ungewohnt erscheint.
Welcher Selfie-Typ seid ihr?
Es gibt also die unterschiedlichsten Gründe, warum uns das Selfie-Machen Spass bereitet. Die amerikanische Universität Brigham Young hat sich das ganze 2017 etwas genauer angeschaut und ist zu dem Schluss gekommen, dass sich Selfie-Macher*innen in drei verschiedene Kategorien einteilen lassen.
- Kommunikator*innen: Ihnen geht es beim Posten eines Selfies vor allem um Engagement, den Austausch mit Freunden und Followern.
- Autobiograph*innen: Sie wollen mittels Selfie eine Erinnerung festhalten, die Meinung anderer dazu ist für Autobiograph*innen zweitrangig.
- Selbstdarsteller*innen: Hier gehts um klassische Selbstdarstellung, die wahrscheinlich auch mit dem Wunsch nach Bestätigung und Narzissmus zusammenhängt.
Wer sich der letzten Kategorie zuordnen kann, sollte mal hinterfragen, wie gesund das Ganze ist. Selbstdarstellung kann spannend, aber auch stressig sein. Deshalb: Selfies machen – ok. Sich selber unter Druck setzen – nicht ok. Und wenn ihr trotzdem mal wieder an eurem Ausssehen zweifelt, Unsicherheiten habt oder unzählige Filter über euer Selfie schichtet, denkt bitte an den betrunkenen Australier. Der hat sich ganz bestimmt nicht so genau analysiert, bevor er das Selfie mit aufgeschlagener Lippe hochgeladen hat – und trotzdem einen Volltreffer gelandet.