Es muss hart sein, heutzutage Popstar zu sein. Als Sänger*in gehört man noch nicht einmal zu den reichsten Menschen der Welt. Jennifer Lopez’ Vermögen ist beispielsweise nicht mal ein Bruchteil dessen, was Jeffrey Bezos auf dem Konto hat (gemäss der Seite Celebrity Net Worth: 400 Millionen versus 140 Milliarden Dollar).
Vom Amazon-CEO wollen wir wiederum nur einen Bruchteil dessen wissen, was uns alles so an der Sängerin interessiert. Uns doch egal, was der gerade in seiner Freizeit treibt. Wen kümmerts, welches Buch der gerade liest. Wer bei Amazon einkauft, tut dies unabhängig von Bezos’ persönlichen Präferenzen. Von Lopez jedoch erwarten wir, dass sie eine Verbindung mit uns – ihren Fans – aufbaut, und wie jede Beziehung muss auch diese regelmässig gepflegt werden. Wir erwarten dabei schon einen gewissen Zugang zu ihrem Lifestyle.
Erleuchtet uns
Wir wollen alles von ihnen, diesen Popstars. Wir wollen ihre Musik – natürlich. Wir wollen Dokumentationen über sie («Homecoming» über Beyoncé, 2019, oder «Miss Americana» über Taylor Swift, 2020, beides auf Netflix). Wir wollen nämlich auch die Person hinter dem Gesang, wollen – wenigstens virtuell – mitverfolgen können, wie sie wohnt, wie ihr Kind Geburtstag feiert, wie viele Autos sie hat. Und: was sie denkt.
Wir folgen ihnen auf Instagram, TikTok und Twitter. Wir nehmen es ihnen übel, wenn sie – wie Taylor Swift im Jahr 2017 – nicht am Women’s March teilnehmen, denn: Das ist ja wohl völlig unsolidarisch. Katy Perry, Rihanna oder Miley Cyrus waren übrigens alle dabei. Wir wollen ein Gesamtkunstwerk. Wir wollen auf allen Ebenen überzeugt werden – und wehe, uns missfällt, was wir da sehen. Das kriegt ihr alle sofort zu hören. Social Media sei Dank.
Seid perfekt
Nur so ein Gefühl – damit muss alles begonnen haben in der Popmusik. Denn Pop ist so ein Gefühl. Die gefühlte Wirklichkeit wird verdichtet – zu einem Song, einem Album, einer Tour. Die Betonung liegt hier auf «gefühlt». Es gibt vermutlich nur ganz wenig, was uns auf so einfache Weise mit Glück erfüllen kann, das derart präsent ist und einen so grossen Einfluss auf unser Leben hat wie Musik.
Deren Erschaffer*innen, die Popstars, sind ihrerseits schillernde Gebilde. Sie müssen immer wieder eine neue Idee ihres Selbst transportieren, auch wenn die Kanäle alt sind, etwa Tonträger, Popkonzerte, Demonstrationen oder Vollversammlungen. Sie müssen immer alles anders machen, um hervorzustechen, um uns in ihren Bann zu ziehen. Aber wehe, ihr enttäuscht uns. Wir erwarten Grosses von euch.
Seid engagiert
Musik und ihre Interpreten*innen verfügen über eine Art sanfte Power. Musik kann zwar nicht direkt Gesetze ändern oder das Klima… Aber wenn Dua Lipa singt, sie sei ein «female alpha» («Future Nostalgia», 2020), fühlen wir uns empowered. Und weiter hat Popqueen Beyoncé schon 2014 bei einem Auftritt während der MTV Music Awards einen feministischen Aktivismustrend eingeläutet und legte zwei Jahre später mit «Lemonade» ein zutiefst politisches Album vor.
Oder da wäre noch Lady Gaga: Sie träumt von einer besseren Gesellschaft, heisst es auf der Facebook-Seite der Born This Way Foundation, «in der jeder und jede als die Person akzeptiert und geliebt wird, die er oder sie sein möchte». Das Ziel der Stiftung ist es, das Selbstbewusstsein von Jugendlichen zu stärken und etwas gegen Diskriminierung zu unternehmen.
Zusammengefasst sind das Beispiele von Popstars und ihrer symbolischen Wirkung. Sie können Bewegungen auslösen, anführen und fungieren als Vorbilder. Aber wehe, ihr seid als Vorbild zu perfekt, zu glatt. Erreichbar müsst ihr trotzdem wirken. Sonst können wir uns ja gar nicht richtig mit euch identifizieren.
Aber seid ihr selbst
Ein Popstar bewegt sich idealerweise zwischen verschiedenen Polen. Zwischen «normal» und nicht. Zwischen labil und stabil. Zwischen der Erfüllung aller Wünsche und Widerstand. Beispiel: Billie Eilish. Die Achtzehnjährige ist ganz überirdisch normal. Sie geht mit psychischen Krankheiten ganz anders um als die Generationen vor ihr. Tourette und depressive Episoden – wie sie oder dank ihr erzählt man heute ganz nebenbei und öffentlich via Social Media von der letzten Sitzung beim Psychologen oder bei der Psychologin. Ohne sich zu schämen. Auch das wieder als Beweis der sanften Power, die Popkultur innehat. Denn: wehe, ihr überlasst uns uns selbst. Wir sitzen nämlich alle im gleichen Boot.
Die Mitmachkultur
Popkünstlerinnen ohne Botschaft einfach unbedarfte Massenunterhalterinnen zu nennen, ist falsch. Massenunterhaltung ist niemals einfach unbedarft. Selbst die Abwesenheit von einer klaren Positionierung, ist eine Positionierung. Manchmal sogar die klarste überhaupt. Ein paar der Forderungen, die wir an Popstars stellen, sind natürlich Blödsinn, seien wir mal ehrlich.
Keine der Frauen ist eine makellose Lichtgestalt. Keine ist perfekt. Auch sie stecken, wie jedes menschliche Wesen, voller Widersprüche und Fehler. Verstanden. Sie sind keine Prophetinnen. Einverstanden. Die können die Welt nicht allein verbessern, geschweige denn retten, und darum ist es keine Überraschung, dass sie es auch nicht tun. Nachvollziehbar. Aber bei bestimmten Themen (und darunter fällt auch der Klimawandel) gilt nun mal:
«If you’re not part of the solution, you’re part of the pollution.»
Wenn man nicht Teil der Lösung ist, ist man Teil des Problems. JLo und Co. verfügen nun mal über eine Plattform, und eine solche Reichweite zu haben, bringt eine gewisse Verantwortung – oder sagen wir lieber: Verpflichtung – mit sich. Sie müssen die Welt ja nicht retten. Aber zumindest versuchen sollen sie es.