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Corona-Ansteckungen

Wie sollen wir mit den Schuldgefühlen umgehen?

Bei der ersten Welle war die Solidarität irgendwie grösser. Wer jetzt erkrankt, muss sich unangenehme Fragen stellen lassen. Und hat ein schlechtes Gewissen, wenn er oder sie weitere Leute ansteckt. Wie geht man mit den Schuldgefühlen um, die man deswegen hat? Eine kurze Gebrauchsanweisung für ein Gefühl.

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Rear View Of Sad Woman Leaning On Wall

In Zeiten von Corona ist es leicht, sich ein schlechtes Gewissen einzufangen.

Getty Images

Schuldgefühle wiegen schwer. Etwa 60 Tonnen. So heisst ein Werk von der Künstlerin Monica Bonvicini. Es zeigt einen überdimensional grossen, goldenen Anhänger an Stahlketten. Etwa so schwer. Und sie lassen sich trotzdem genauso leicht einfangen wie der Corona-Virus selbst.

Die Politik appelliert seit Monaten an die Eigenverantwortung der Bürger*innen. Doch wofür ist ein Mensch genau verantwortlich? Wir wissen im Grunde, was zu tun ist. Trotzdem ist es nicht leicht, im Alltag ständig überlegt und vernünftig zu handeln.

«Vor allem, wenn uns das Virus genau dort angreift, wo wir uns am wohlsten fühlen. In den intimsten Momenten», sagt Professor Peter Walschburger von der freien Universität in Berlin. Mit den intimsten Momenten meint er solche, in denen wir mit unserer Familie zusammen sind, solche mit den engsten Freunden. Dort, wo wir eigentlich die Intuition haben, dass uns nichts passieren kann. Und doch geschieht es genau dort am häufigsten. Man steckt sich an, man steckt an.

Wo fängt Schuld an?

«Bei Schuldgefühlen geht es darum sicherzustellen, dass man in der Gemeinschaft bleibt, es geht um soziale Zugehörigkeit», sagt Walschburger. Sie sind der moralische Kompass. Vor allem in aussergewöhnlich stressigen Zeiten suchen Menschen den Fehler oft bei sich. Und Gedankengänge wie «hätte ich das getan, wäre das nicht passiert und so weiter» führen in den meisten Fällen eben zu: Schuldgefühlen. Voilà. 

Moralische Schuldgefühle sind grundsätzlich eine gute Sache, sagt die amerikanische Psychologin Tina Malti. Vermeintlich unangenehme, vorschnell als negativ beschriebene Emotionen wie Schuld sollten genauso respektiert werden wie Mut, Zuversicht oder Empathie. Gefühle seien nicht binär, also einfach gut oder schlecht, sagt Malti. Aber trotzdem – in einer ungesunden Dosierung können sie quälen und lähmen. Nach der amerikanischen Psychologin sollten Menschen ihre neurotischen (eben lähmenden) Schuldgefühle reduzieren und die moralischen Schuldgefühle fördern. Dazu muss man «bloss» zwischen berechtigten und unberechtigten Schuldgefühlen unterscheiden können. Na dann los.

Berechtigte und unberechtigte Schuldgefühle

Der wichtigste Grundsatz dabei: Schuld ist da, wo eine Intention besteht, zu schaden. Da, wo es eine Alternative zum Handeln gegeben hätte. Da sind ein paar ehrliche Antworten auf die Fragen nützlich: War es eigennützig, was ich getan habe? Oder fahrlässig? Wie gross ist der Schaden? Je nachdem, wie die Antwort darauf ausfällt, sind Schuldgefühle eben angebracht, oder nicht. Und da wo sie es sind, bleibt zu hoffen, dass daraus gelernt wird. Oder man sich diese Fragen im besten Fall auch mal vor dem Handeln stellt, damit es gar nicht erst so weit kommt (crazy idea).

So oder so. Wir werden in den kommenden Monaten wohl lernen müssen, einander (oder uns selbst) ab und zu mal zu verzeihen. Weil wir manches beim besten Willen noch nicht wissen

Von zin am 29. Oktober 2020 - 16:04 Uhr