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Ordnung für den Geist

Wie wirkt sich Aufräumen auf meine Psyche aus?

Die Methode der japanischen Ordnungs­koryphäe Marie Kondō ist für viele nicht bloss eine Strategie für ein organisiertes Zuhause, sondern eine Lebenseinstellung. Was passiert in unserem Kopf, wenn wir Ordnung schaffen?

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Ist aufräumen gut für die Psyche?

Ist aufräumen gut für die Psyche?

Ron Lach / Pexels

Eigentlich wollte ich nur den Jeans-Stapel ordentlicher auftürmen, doch da sitze ich jetzt: zwischen Kleider-Anprobieren und -Aussortieren, dem Zusammenstellen neuer Outfits und kurz vor dem Punkt, alles wieder so in den Kleiderschrank einzuräumen, wie es noch vor einer Stunde war. Weil ich gerne Angefangenes zu Ende bringe, versuche ich nun, effizienter vorzugehen.

Ich beginne, Hosen zu Hosen zu legen und diese wiederum in die drei Kategorien: ja, nein, vielleicht – wie mir das Carrie Bradshaw in «Sex and the City» beigebracht hat. Beim Vielleicht-Stapel kommt es zur zentralen Frage von Marie Kondō: «Does it spark joy?» Lautet die Antwort: «Nein, es bereitet mir keine Freude mehr», kommt es auf den Nein-Stapel. Streng nach Marie Kondō bedankt man sich bei jedem Stück, das auf diesem Stapel endet, für den Rat. Denn die «KonMarie-Methode» vermittelt nicht bloss Strategien für das Organisieren des Zuhauses, sondern sie ist gleichzeitig eine Lebenseinstellung.

Marie Kondo ist eine internationale Koryphäe, wenn es ums Aufräumen geht.

Marie Kondō

Die japanische Aufräumexpertin ist bekannt für ihre patentierte Methode, die empfiehlt, nur die Dinge zu behalten, die Freude bereiten. Ihre Methode fand durch Bestseller wie «Das Leben aufräumen» und die oscarnominierte Netflix-Serie «Aufräumen mit Marie Kondō» weltweit Fans und Nachahmer.

Marie Kondo

Sie lehrt, dass wir uns ausschliesslich mit Dingen umgeben sollten, die uns Freude bereiten; der Rest ist Ballast. Damit machen wir einerseits unser Zuhause luftiger und schaffen andererseits mehr Platz im Kopf. Ausmisten und die eigenen vier Wände neu organisieren sei für viele Menschen eine psychische Erleichterung, sagt Amir Moye, kognitiver Psychologe. «Das Gehirn profitiert von einer klareren Umgebung, da es weniger Stimuli verarbeiten muss, was zu einer besseren Konzentration und zu mentaler Klarheit führen kann.» Doch der Weg dahin ist kein leichter. Ordnungscoach Dagmar Schäfer beruhigt mich: «Das Chaos wird erst mal grösser, bevor es besser wird.» Kopf hoch, Ziel des aufgeräumten, organisierten Kleiderschranks manifestieren – und weiter gehts.

Dagmar Schäfer ist Professional Organizer & Stil-Coach.

Dagmar Schäfer

Als Ordnungs- und Stilcoach ist die Zürcherin darauf spezialisiert, nachhaltige Ordnung und dadurch einen vereinfachten Alltag zu schaffen. Sie kombiniert Ordnungsservices mit Beratung, etwa Kleiderschrank-Makeovers.

Juli Marleen

Das Gute: Man ist nicht allein mit seinen vielen Sachen. «Generell sehe ich bei meinen Kundinnen und Kunden immer das gleiche Problem: Ich habe zu viele Sachen», schildert die Ordnungsexpertin. Viele wüssten nicht, wo mit Aussortieren anfangen, oder hätten Angst, etwas falsch zu machen. Dabei hilft ein Tipp von Marie Kondō: «Beim Aufräumen sollte man sich nicht darauf konzentrieren, was man wegwirft, sondern darauf, was man behält.» Psychologe Amir Moye verweist hier auf das Konzept der Hormesis, das besagt, dass ein gewisses Mass an Entbehrung durchaus förderlich für das Wohlbefinden sein kann. «Indem man bewusst auf übermässigen Konsum verzichtet, kann man die Wertschätzung für das Vorhandene steigern und damit ein langfristigeres Glücksgefühl erzeugen», spezifiziert Fachmann Moye. Konsum aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn, doch die Dopaminausschüttung führt oft nur zu kurzfristigen Glücksgefühlen.

Schritt für Schritt

Der Start ist das Schwierigste. Daher brauche es kleine Schritte, die wiederum zu kleinen Glücksgefühlen führen und helfen, dass man dranbleibt, empfiehlt Dagmar Schäfer. Sozusagen eine Aufräum-To-do-Liste, auf der beim Beispiel Kleiderschrank, Jeans, Shirts und Socken einzelne To-dos sind, die sich schneller abhaken lassen. Zu dieser Einsicht ist auch Marie Kondō gekommen. Während sie die Teilnehmenden bis vor Kurzem in ihrer Netflix-Serie noch dazu aufforderte, den gesamten Inhalt ihres Kleiderschranks im Raum auszulegen, revidiert sie inzwischen ihre Strategie. Nach Kind Nummer drei empfiehlt sie ebenso, kleine Schritte vorzunehmen: «Solange Sie mit dem Aufräumen vorankommen, werden Sie sicher Fortschritte machen, und Ihr Alltag wird allmählich einfacher und bequemer werden.»

Eine Capsule Wardrobe hilft nicht nur dabei, die morgendliche Qual der Kleider-Wahl zu erleichtern, sie ist auch platzsparend.

Eine Capsule Wardrobe hilft nicht nur dabei, die morgendliche Qual der Kleider-Wahl zu erleichtern, sie ist auch platzsparend.

Dagmar Schäfer

Ist alles aufgeräumt und hat seinen festen Platz gefunden, ist es einfacher, Ordnung zu halten, weiss Dagmar Schäfer. Sie empfiehlt: Timer stellen und täglich 15 Minuten lang aufräumen. «Idealerweise könnte man das Aufräumen mit Achtsamkeitsübungen kombinieren, um eine Art mentale Pause zu schaffen», empfiehlt Amir Moye. Was für einige Meditation ist, ist für andere, die zu sehr Marie Kondōs Mission «Die Welt zu organisieren» nacheifern, Stress. Der Versuch, das Zuhause zu organisieren, ist eine weitere Form der Selbstoptimierung.

«Problematisch ist dabei, dass nicht wenige Menschen Selbstoptimierung als stresserzeugend empfinden, weil sie ständig nach Verbesserungen streben und der Standard dabei immer höher gesetzt wird.» Amir Moye führt weiter aus: «Menschen gewöhnen sich schnell an neue Errungenschaften und streben daher ständig nach mehr, um das Glücksgefühl aufrechtzuerhalten.» So würde das Glücksgefühl von Übersicht und Ordnung schneller, als einem lieb ist, von neuen Baustellen überschattet. Mit dem Aufräumen und der inneren Ordnung ist es wie mit vielen Dingen im Leben: Die richtige Balance ist der Schlüssel zum Glück.

So gelingt das Ordnung schaffen:

Schritt 1: Motivation & Strategie

  • Motivation: Was will ich mit meiner Aktion erreichen?
  • Zielsetzung: Wie gehe ich vor? Was organisiere ich zuerst? Hier ist es wichtig, in kleinen Schritten zu planen und Unterkategorien zu definieren, zum Beispiel Teller, Tassen, Socken.
  • Zeitpunkt: «Aufräumen in einer Phase der niedrigen Energie einplanen. Idealerweise könnte das Aufräumen mit Achtsamkeitsübungen kombiniert werden, um eine Art mentale Pause zu schaffen», rät Amir Moye.

Schritt 2: Ausmisten & Reduzieren

  • Dinge beim Ausräumen in Kategorien ordnen und gleich in Säcke oder Kisten packen. So kann ein Tag Pause eingelegt werden, ohne dass alles störend auf dem Boden herumliegt.
  • Von Objekten, die einen emotionalen Wert haben, aber keine Funktion erfüllen, einfach ein Foto machen – und dann tschüss!
  • Alles, was auf dem «Kann weg»-Stapel landet, sofort aus dem Haus schaffen. Dann kommt man nicht in Versuchung, es wieder einzusortieren.
  • Wenn man das Gefühl hat, sich von einer Sache noch nicht trennen zu können: in eine Box und in den Keller damit! Hat man nach einer definierten Zeit nicht das Bedürfnis, etwas aus der Kiste zu holen, kommt die Kiste weg.

Schritt 3: Organisieren

  • Alles braucht einen festen Platz! So fällt es leichter, Dinge nach dem Gebrauch wegzuräumen.
  • Boxen verwenden und anschreiben: Was ist drin?
  • Praktische Orte wählen. Dinge müssen leicht zugänglich sein, ohne dass etwas umgeräumt werden muss. Häufig genutzte Objekte kommen in die Mitte des Schranks.
  • Ordnung halten: Das Aufräumen in die Tagesroutine einbauen; 15 Minuten täglich reichen gemäss Dagmar Schäfer aus.

Schritt 4: Konsum

  • «Beim Konsum fängt das Aufräumen an», sagt Dagmar Schäfer.
  • Bereits beim Kauf sollte überlegt werden, ob überflüssige Zusatzkäufe anfallen.
  • Eine Capsule Wardrobe kreieren. Das heisst, viele Kleidungsstücke sind aufeinander abgestimmt, und jedes Stück lässt sich mit mindestens drei bis vier anderen kombinieren. Gilt auch für Tischwäsche, Geschirr und dergleichen.
Von Tania Villiger am 8. Juni 2024 - 07:30 Uhr