Sie sind zu sechst. Und Anfang Zwanzig bis Anfang dreissig. Da sind zwei verschiedene Generationen. Das sind die Generation Y. Die Millennials (Jahrgang 1980 bis 1994). Und die Generation Z (ab 1995), die sich da zusammen getan haben. Da sind 6 verschiedene Parteien, deren Vertreterinnen sich für die Forderung einer Gesetzesänderung zum Thema sexualisierte Gewalt zusammen geschlossen haben. Denn es geht uns alle etwas an.
Sie nennen es «gesamtgesellschaftliches Problem». Genauer sagt Valentina Achermann, eine der Sechs, 26 Jahre alt, Sozialdemokratische Partei: «Jeder Mensch sollte das Recht darauf haben, sich im öffentlichen Raum sicher zu fühlen. Dass dem nicht so ist, zeigen zahlreiche Studien deutlich auf.» Eine davon wurde im Mai 2021 von der Stadt Zürich durchgeführt.
Die Umfrage «Unterwegs in Zürich: Wie geht es Ihnen damit?» ergab: Rund jede zweite Frau war bereits mit einer übergriffigen Situation wie anzüglichen Blicken oder obszönen Gesten konfrontiert, knapp jede fünfte Frau mit unerwünschten Berührungen. Zwei von drei Frauen wurden tagsüber belästigt, spätabends sogar vier von fünf Frauen.
Im Rahmen einer Komission (organisiert von der alliance F), sprach Manon Schrick, Leiterin des Jugendamtes des Kantons Waadt davon, dass 22 Prozent der Frauen ab 16 Jahren in der Schweiz unerwünschte sexuelle Handlungen erlebt haben. Aktuell sehen viele Betroffene jedoch von einer Anzeige ab – auch aufgrund mangelnden Vertrauens in die Behörden und die Polizei, sagt Agota Lavoyer, Expertin für sexualisierte Gewalt und Leiterin Beratungsstelle Opferhilfe Solothurn.
Sie sprechen von sexualisierter Gewalt, davon, dass jemandem im Club an den Po zu fassen kein Kavaliersdelikt sei. «Wir fordern mit der Motion #TextMeWhenYouGetHome Sensibilisierungs- und Präventionsmassnahmen gegen sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum», dabei sind sich die Sechs einig. Sätze wie «Zieh Dir keinen kurzen Rock an und Schuhe, mit denen du schnell laufen kannst», wollen sie nicht mehr hören. Das ist der komplett falsche Ansatz.
Dass unsere Gesellschaft vor allem Mädchen und Frauen dazu anhält, sich gegen Übergriffe zu schützen, und ihnen immer wieder die Schuld daran gibt (der kurze Rock, zu viel Haut, missverständliche Signale), wenn sie sexualisierte Gewalt erfahren – bekannt auch als «Victim Blaming» –, wird schon lange kritisiert. Es ist aber noch nicht in aller Köpfe.
«Wo und wie bestehen die Grenzen, wie soll ich mich verhalten, wenn ich mit Kolleg*innen unterwegs bin, die sich übergriffig verhalten?», das seien die Fragen, die, so sagt Valentina Achermann, geklärt werden müssen. Durch die erweiterte Sensibilisierung potentieller Täter*innen und Anwesenden, sogenannten Bystander*innen.
Und wer einen Übergriff erlebt, soll diesen über ein Online-Tool melden können. Mit «Zürich schaut hin», hat der Kanton am 11. Mai einen ersten Schritt zu einer solchen Meldemöglichkeit gemacht. Auch in Lausanne und Genf gibt es schon vergleichbares. Bern soll nun folgen – fordern sie. Und danach immer mehr. Sie erhoffen sich damit, die Hürden der Bürokratie oder der Scham überwindbar werden zu lassen. Die Dunkelziffer zu lichten. Aller nicht gemeldeten Fälle. Betroffene gezielter zu schützen.
Sie sind selbst betroffen. «Im März diesen Jahres wurde eine junge Frau in England auf ihrem Heimweg bestialisch ermordet», beschreibt Achermann, warum sie sich zu der Motion entschieden haben. Die Ermordung von Sarah Everard in London im März 2021 liess tausende Frauen ihre Erfahrungen in den sozialen Medien teilen. Wie mühsam und angstbesetzt es ist, nachts von einer Party nach Hause zu gehen, den Heimweg von der Arbeit planen zu müssen oder im Dunkeln noch eine Runde joggen gehen zu wollen. Auch die Sechs stellten unter sich und ihrem Freund*innenkreis fest: Keine fühlt sich auf dem Heimweg sicher.
«Alle unsere Freundinnen erfahren regelmässig im öffentlichen Raum mindestens anzügliche Bemerkungen, aber auch bedeutend weiter reichende sexualisierte Übergriffe. Weil diese Erlebnisse so regelmässig geschehen, empfinden wir sie als normal. Diese angebliche Normalität muss durchbrochen werden», sagt Achermann.
Man kann sich von der Allgegenwärtigkeit dieser Taten erdrückt fühlen und abstumpfen – sich müde ergeben. Oder man kann Hoffnung daraus schöpfen, dass über die gesteigerte Sichtbarkeit dieser Vorfälle sich auch das Wissen darüber verbreitet und dies schliesslich dazu beitragen könnte, dass sexualisierte Übergriffe seltener geschehen. Letzteres gilt für die sechs Frauen.
Sie wollen handeln. Darum: Hey, ihr! Jungen! Alten! Ihr Frauen! Ihr Männer! Ihr da, die ihr euch da draussen unsicher fühlt oder andere unsicher fühlen lässt. Grüsse von der Generation Y und Z. Grüsse aus dem Parlament. Sie sind nicht müde. Und es geht uns alle etwas an.