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Auto-des-Jahres-Jurypräsidentin Monisha Kaltenborn

«In der Vorstellung ist eigentlich alles möglich»

Viele kennen die frühere Sauber­-Teamchefin Monisha Kaltenborn, 51, nur von Fotos und Interviews aus der Formel 1. Doch wer ist die Frau? Bei einem Morgenspaziergang mit ihrem Hund Indy versuchen wir dies mit Fragen des Schweizer Schriftstellers Max Frisch zu ergründen.

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Auto des Jahres, Monisha Kaltenborn, Präsidentin Jury Auto des Jahres, 2022, SI AUTO 02/2022

Der zweijährige Labrador-Rüde Indy ist der erste Hund der Familie Kaltenborn und gemäss Auskunft der Meisterin «immer hungrig, gut erzogen und auch folgsam – wenn er will». In der Regel sind die beiden zweimal täglich draussen unterwegs, Indy begleitet Monisha Kaltenborn aber auch ab und zu ins Büro.

Anne Gabriel-Jürgens

Kühl ists an diesem Herbstmorgen am Zürichsee. Aber Labrador-Rüde Indy tollt mit unbändiger Energie um Monisha Kaltenborn, 51, herum. Einst jettete sie als Sauber-Teamchefin ständig um die Welt, aber heute kann sie als Geschäftsführerin des Rennsimulatoren-Start-ups Racing Unleashed entspannt die morgendliche Runde geniessen. Die perfekte Zeit am Tag, um die Jurypräsidentin der Wahl «Schweizer Auto des Jahres» besser kennenzulernen. Wie denkt die in Indien geborene und in Österreich aufgewachsene und heute am Zürichsee wohnende Juristin, Unternehmerin und Mutter von zwei fast erwachsenen Kindern über unsere Welt?

Kennen Sie den Schweizer Schriftsteller und Theaterautor Max Frisch?
Monisha Kaltenborn:
Ja, aber natürlich nicht persönlich. Sein literarisches Werk erinnert mich an meine Schulzeit in Wien.

Dann haben Sie sicher nichts dagegen, wenn wir Ihnen jetzt einige persönliche Fragen aus seinem bekannten Fragebogen stellen?
Legen Sie los!

Wie viel Heimat brauchen Sie?
Heimat im Sinne einer räumlichen oder örtlichen Bindung ist für mich aufgrund meines persönlichen Hintergrunds nicht so wichtig. Eher kommt es mir darauf an, mich den Menschen, die mir wichtig sind, nahe zu fühlen.

Wofür sind Sie dankbar?
Für eine umsorgte und unbeschwerte Kindheit, meinen Mann und meine Familie, alle beruflichen Chancen und Herausforderungen, die sich mir bisher geboten haben, und für ein nicht langweiliges Leben.

Was fehlt Ihnen zum Glück?
Nichts.

Können Sie sich erinnern, seit welchem Lebensjahr es Ihnen selbstverständlich ist, dass Ihnen etwas gehört?
Ich glaube, dass mich das, wenn überhaupt, erst relativ spät interessiert hat. Vielleicht mit 11 oder 12 Jahren.

Wem gehört Ihres Erachtens beispielsweise die Luft?
Niemandem.

Auto des Jahres, Monisha Kaltenborn, Präsidentin Jury Auto des Jahres, 2022, SI AUTO 02/2022

CEO Monisha Kaltenborn lässt ihren Indy gerne auch mal an der langen Leine.

Anne Gabriel-Jürgens

Auf einer offenen Wiese lässt Monisha Kaltenborn Indy kurz von der Leine. Der junge Rüde geniesst die Freiheit und spurtet übers Feld. Nach einem knappen «come here» steht Indy kurz darauf folgsam und schwanzwedelnd wieder vor uns. Wir setzen unseren Spaziergang fort.

Wem wären Sie lieber nie begegnet?
Einer Kobra in Indien. Diese kam plötzlich aus einem Korb auf mich zu, ganz ohne sich anzukündigen. Das fand ich etwas unhöflich, auch weil ich mich sehr erschrocken habe.

Wann haben Sie aufgehört zu meinen, dass Sie klüger werden oder meinen Sie’s noch?
Ich meine noch immer, dass ich klüger werden kann.

Was hat die menschliche Gesellschaft mehr verändert: die Französische Revolution oder eine technische Erfindung?
Im praktischen Leben wohl eine technische Erfindung; denken Sie etwa an das Auto oder das Internet. Im gesellschaftspolitischen Bereich dürfte demgegenüber die Französische Revolution, die doch massgeblich zu politischer Freiheit und Entwicklung von Demokratie in Europa beigetragen hat, letztlich mehr verändert haben.

Was möchten Sie als Nächstes erfunden haben?
Die «Beam-me-up-Maschine» à la Star Trek.

Monisha Kaltenborn

Auto des Jahres, Monisha Kaltenborn, Präsidentin Jury Auto des Jahres, 2022, SI AUTO 02/2022
Anne Gabriel-Jürgens

1971 in Indien geboren und in Österreich aufgewachsen, kam sie 2000 zu Sauber und baute die juristische Infrastruktur auf. 2010 wurde sie CEO, 2012 erhielt sie 30 Prozent der Anteile und wurde erste F1-Teamchefin. 2017 trennte sich Kaltenborn von den neuen Sauber-Besitzern, seit 2019 ist die Mutter von zwei Kindern Geschäftsführerin der Racing Unleashed Group.

Was möchten Sie nicht erfunden haben?
Das möchte ich nicht sagen. Denn einmal ausgesprochen, ist es in der Welt.

Wenn es Ihnen um die Erfindung eines Geräts geht, das öffentliche Lügen unmöglich macht: Wen können Sie sich als Geldgeber für Ihre kühne Forschung denken?
Vielleicht manche Politiker, die das Gerät natürlich nur gegen den politischen Gegner einsetzen würden.

Können Sie sich eine menschliche Existenz überhaupt noch vorstellen ohne Computer?
Ja, in der Vorstellung ist eigentlich alles möglich.

Packt Sie bei dieser Vorstellung das bare Grausen oder eher eine Nostalgie oder überhaupt nichts, was der Computer nicht packt?
Das kommt dann ganz auf die Art und Weise der Vorstellung an.

«Ich bin Optimistinund glaube an diepositive Kraftdes menschlichen Glaubens»

Monisha Kaltenborn
Auto des Jahres, Monisha Kaltenborn, Präsidentin Jury Auto des Jahres, 2022, SI AUTO 02/2022

Der zweijährigeLabrador-Rüde Indy weiss, was sich gehört. Brav wartet er auf das versprochene Goodie.

Anne Gabriel-Jürgens

Jetzt macht sich der brav mittrottende Indy wieder bemerkbar. Er möchte gerne Aufmerksamkeit. Und erhält prompt ein Goodie aus der Wursttube. Indy sei neugierig, mit seinem italienischen Blut sehr temperamentvoll, verspielt, aber auch dominant. «Ein CEO-Typ», sagt Kaltenborn. Wir gehen weiter und setzen das Gespräch fort.

Die Saurier überlebten 250 Millionen Jahre; wie stellen Sie sich ein Wirtschaftswachstum über 250 Millionen Jahre vor?
Als Quadratur des Kreises.

Wann hat die Technologie begonnen, unsere menschliche Existenz nicht mehr zu erleichtern?
Zu dem Zeitpunkt, wenn Technik beginnt oder besser dazu verwendet wird, uns zu bevormunden oder unfreiwillig zu kontrollieren, ist sie keine Hilfe mehr, sondern erschwert die menschliche Existenz.

Können Sie sich denken, dass der menschliche Geist, den wir schulen, im Grund auf Selbstvernichtung der Spezies angelegt ist?
Nein. Ich bin Optimistin und glaube an die positive Kraft des menschlichen Geistes.

Was, ausser Wunschdenken, spricht dagegen?
Die gesamte Entwicklung der Menschheit, die bei allen Defiziten zu geistigem und technischem Fortschritt sowie Wohlstand geführt hat.

Der Fragesteller: Max Frisch (1911–1991)

Er konnte Fragen stellen wie kein anderer. Frischs Fragebogen gehören neben den Theaterstücken und seinen grossen Romanen «Stiller», «Homo faber» und «Mein Name sei Gantenbein» zu seinen populärsten Texten und stammen aus dem «Tagebuch 1966–1971». Sie handeln von grossen Themen der menschlichen Existenz. Betrachtet man die Themen näher, wird klar, an wen die Fragen eigentlich gerichtet sind: an Max Frisch selbst. Dennoch ist es interessant, seine Fragen von einer zeitgenössischen und erfolgreichen Frau beantwortet zu bekommen.

Wir sind wieder beim Auto angekommen. Auf Kommando springt Indy in seine Box im Kofferraum – er hat längst kapiert: Heute ist Casual Friday, da darf er mit seiner Chefin mit ins Büro.

Von Raoul Schwinnen am 7. Oktober 2022 - 11:26 Uhr