Ja, auch in Bern wurde der US-Präsident gewählt – zumindest in New Bern. Die Kleinstadt im Bundesstaat North Carolina liegt auf halbem Weg zwischen New York und Florida. Gegründet wurde sie 1710 vom Berner Christoph von Graffenried, der dabei mächtig Glück hatte; seine beiden Begleiter aus Deutschland und Österreich wurden von den bereits ansässigen Ureinwohnern skalpiert.
Der Berner Bär in Amerika
Michael von Graffenried ist ein direkter Nachfahre dieses Stadtgründers – und ebenfalls mit New Bern verbunden. «Seit 14 Jahren komme ich immer wieder hierher, um für mein Buch zu fotografieren», sagt der Berner, «die Kontraste in dieser Stadt faszinieren mich.» Auch während der US-Präsidentschaftswahl verbringt von Graffenried einige Wochen im neuen Bern. Wo das alte übrigens noch sichtbar ist: Der Berner Bär prangt auch auf dem Wappen New Berns. Allerdings fehlt dem amerikanischen Bären der rote Penis.
Von Graffenried traf bei seinem aktuellen Besuch in New Bern andere Einwohner mit Schweizer Wurzeln. Eine davon ist Stephanie Moser. Die 30-Jährige zog als Kind mit ihrer Mutter von Hauptwil TG nach New Bern. Gewählt hat sie Donald Trump. «Ich traue Joe Biden nicht», sagt Moser, «es gibt Gerüchte, dass er ein Pädophiler sei.» Trump hingegen, so Moser, «macht, was er sagt». Sie kümmert sich um drei Kinder und den Haushalt, ihr Mann renoviert als «contractor» Häuser. Typisch, so Michael von Graffenried: «Hier hat jeder ein kleines Business.» Ansonsten lebt die Stadt von den beiden Marinestützpunkten in ihrer Nähe. «Die Soldaten werden hier ausgebildet, in den Krieg geschickt, und manche von ihnen kommen in Särgen zurück.»
Aber auch Touristen und Rentner kommen nach New Bern. Die einen wegen der verhältnismässig langen Geschichte der Stadt, die anderen wegen des milden Klimas und der schönen Häuser am Wasser. Der Ort wird von den Flüssen Neuse und Trent eingefasst – und bei Hurrikans immer wieder mal überschwemmt.
Getrennte Welten in New Bern
Seit 2006 besucht Michael von Graffenried die Stadt. Ihm fällt auf: «Es gibt zwei New Berns – ein weisses und ein schwarzes.» 55 Prozent der 33 000 Einwohner sind weiss, 33 Prozent schwarz – «und mischen tun sie sich praktisch nie», so der Berner. «Die Einheimischen wohnen in getrennten Vierteln, gehen essen in getrennten Restaurants, beten in getrennten Kirchen.» Einzig in der Schule seien sie für ein paar Jahre zusammen.
Als Michael von Graffenried eine schwarze Kirche in New Bern besucht, wird er misstrauisch beäugt. «Der Pfarrer holte mich nach vorne. Ich erklärte, dass ich bisher offenbar nur einen Teil der Stadt gesehen hätte, nun aber auch die andere Seite kennenlernen wollte. Darüber freuten sie sich.»
Die weissen Einwohner hingegen freuten sich nicht, als von Graffenried Fotografien ihrer schwarzen Nachbarn in New Bern ausstellte. «Hier prallen der Norden und der Süden aufeinander. Die Spaltung der USA zieht sich mitten durch North Carolina und durch New Bern. Hier leben Rednecks, Trump-Fanatiker, aber auch Demokraten und seit Kurzem Black-Lives-Matter-Demonstranten.»
Eine Stadt als Sinnbild für ein Land
Als «Mikrokosmos der USA» bezeichnet die «Washington Post» North Carolina. «Die Städte werden immer demokratischer, die ländlichen Gebiete immer republikanischer – und die Gräben dazwischen immer tiefer.» Der Bundesstaat gehört zum sogenannten «Bible Belt» und zählt zu den Südstaaten. Seit den 1970er-Jahren gewannen hier die Republikaner, bis 2008 Barack Obama die Siegesserie unterbrach. 2016 gewann Donald Trump mit einem kleinen Vorsprung. Dieses Jahr war die Wahl wieder knapp.
Mitgefiebert hat auch William Ash, 89. Der ehemalige Universitätsprofessor für Genetik hat Schweizer Wurzeln: Sein Grossvater wurde in Zürich geboren. Ash stimmte für Trump. Jeglicher Anflug von Sozialismus oder Kommunismus sei ihm nicht geheuer. «Ich war mal in der DDR, das war schrecklich. So darf Amerika nicht werden.»
Typisch amerikanisch, das sind die beiden Berühmtheiten aus New Bern. Der eine ist der Bestsellerautor Nicholas Sparks, dessen Bücher reihenweise verfilmt werden («Wie ein einziger Tag») und der in New Bern eine christliche Schule gründete. Während Sparks jedoch ein Zugezogener ist, entstand die zweite Berühmtheit in New Bern. 1898 erfand der junge Apotheker Caleb Bradham hier Pepsi-Cola, ging mit seiner Firma jedoch bald bankrott.
Ähnlich erging es dem Stadtgründer Christoph von Graffenried. Nachdem er von Indianern in Gefangenschaft genommen worden war, kehrte er 1713 mittellos nach Bern zurück. New Bern hatte ihm kein Glück gebracht. Der Graffenriedweg im schweizerischen Bern wurde im Juli von den Jungen Grünen neu beschrieben: «Christoph von Graffenried unterdrückte als Kolonialist die Ureinwohner*innen von North Carolina».
Die Spuren der Zeit
Und im amerikanischen New Bern? Nachfahre Michael von Graffenried hat sich bei den Bewohnern nach dem Ruf seines Vorfahren erkundigt: Die Statue des umstrittenen Schweizer Stadtgründers darf vorerst stehen bleiben.