Anfang April veröffentlicht Patrick Wicki, 41, auf Facebook ein Video. Darin fordert der Sportlehrer alle Einheimischen auf, ein Tanzvideo aufzunehmen. Und er zeigt mit vier Freunden auch gleich, wie das aussehen soll.Einen Monat später stellt er ein zweites Video online. Mit über 40 Menschen und einem Hund, die in ihrer Stube, im Kinderzimmer und im Garten nach den Schritten des Sportleh-rers tanzen. «Es war genial, dass so viele Menschen aus Ruswil mitgemacht haben», erzählt Wicki. «Viele sassen während des Lockdowns zu Hause – ich wollte sie motivieren, sich zu bewegen», sagt der Familienvater. Auf der Social-Media-Plattform eröffnet er die Seite «Ruswil – metenand und förenand» und stellt allen – Jung und Alt – Aufgaben: Neben dem Tanzvideo gibts einen Postenlauf mit Osterrätsel, Sportübungen im Wald und eine digitale Schnitzeljagd. Innert kürzester Zeit hat die virtuelle Gruppe über 500 Mitglieder. «Mein Ziel war auch, dass sich die Leute während des Lockdowns vernetzen und mitteilen können, ob sie Hilfe brauchen oder Hilfe anbieten.»
«Patrick hat sich richtig ins Zeug gelegt», sagt Franzsepp Erni, 51, CVP-Gemeindepräsident von «Rusmu» – wie die Einheimischen ihren Heimatort nennen. Aber nicht nur Sportlehrer Wicki ist während des Lockdowns aktiv. In der ganzen Gemeinde tun sich die Einwohnerinnen und Einwohner zusammen, um einander beizustehen. Ruswil, mit seinen 7000 Einwohnerinnen und Einwohnern die grösste Bauerngemeinde der Schweiz – mit fast 200 Landwirtschaftsbetrieben und 30 000 Schweinen –, zeigt während der Corona-Pandemie viel Herz, Zusammenhalt und Solidarität.
Und jetzt ist klar: Ruswil ist «Schweizer Dorf des Jahres 2020»! «Ich bin sehr stolz auf unseren guten Zusammenhalt», sagt Gemeindepräsi-dent und Landwirt Erni – auch er besitzt 100 Schweine. «Das Zusammenspiel der verschiedenen Vereine und die Solidarität in der Bevölkerung waren grossartig.» Dies ist im ganzen Dorf sichtbar: Über 50 grosse Fahnen schmücken Ruswil entlang der Hauptstrasse – alle verkünden «Zusammen schaffen wirs». Die Idee dafür stammt von den Gewerblern. «Wir wollten zeigen, dass es wichtig ist, positiv zu bleiben. Und dass wir füreinander da sind», sagt Benno Geisseler, 54, vom Gewerbeverein Ruswil.
Damit das Leben im Dorf nicht stillsteht, haben sich die Geschäfte eini-ges einfallen lassen: Bei Keller Eisenwaren genügt ein Telefonanruf, und Schrauben, Zangen und Drahtbürsten werden zum Abholen parat gemacht. Der Chef des Kleiderladens im Dorf bringt Hosen und Hemden nach Hause, wo man sie in aller Ruhe anprobieren darf. Und beim Restaurant Pony kann man sich Menüs für den Zmittag oder Znacht heimliefern lassen. «Ich habe fast jeden Sonntagabend etwas bestellt», sagt Benno Geisseler.
Auch der katholische Verein Frauen Ruswil startet im Lockdown mehrere Projekte. Er führt einen Einkaufsservice für Betagte ein oder vermittelt ihnen Helferinnen und Helfer – 100 Personen melden sich freiwillig –, um den Rasen zu mähen, Medikamente abzuholen oder Pakete bei der Post aufzugeben. «Niemand sollte das Gefühl haben, alleine zu sein», sagt Verena Zurkirchen, 43, die Präsidentin des Vereins mit mehr als 860 Mitgliedern. Kurz vor Ostern kaufen die Frauen mit finanzieller Unterstützung der Gemeinde Frühlingsblumen bei lokalen Gärtnereien, die sonst kompostiert würden, und verteilen sie an alle 2850 Haushalte. Die Frauen tragen die Primeli und Gänseblümchen mit ihren Kindern aus. Auch Schülerin Jael Beck, 9, ist dabei. «Es hat Spass gemacht. Wir haben die Blumen vor die Tür oder auf den Briefkasten gestellt.»
Die Schwester von Verena Zurkirchen, Theres Hirsiger, 39, und deren Nachbarin, Conny Bucher, 30, haben eine ähnliche Idee. Sie wollen ihren Arbeitskolleginnen bei der Spitex für den Einsatz während der Pandemie danken und verteilen zig Sonnenblumenkerne an Ruswiler Bauern, die diese dann am Rand ihrer Felder setzen. «Wir wollen mit den blühenden Sonnenblumen den Menschen im Gesundheitsbereich eine Freude bereiten», sagt Theres Hirsiger. «Über 100 Landwirte aus der Region meldeten sich bei mir und wollten mitmachen.» Sogar der Schweizer Bauernverband schaltet sich ein und ruft die Bauernfamilien in der ganzen Schweiz zum Säen von Sonnenblumen auf. «Mir war während des Lockdowns nicht bewusst, wie viele Menschen mitgeholfen haben», sagt Theres Hirsiger. «Erst im Nachhinein habe ich von vielen wunderschönen Projekten erfahren.»
Die Sonnenblumen am Rande des Maisfeldes von Gemeindepräsident Franzsepp Erni verwelken inzwischen allmählich – die Solidarität aber wird auch in Zukunft nicht aus dem Dorf verschwinden. Selbst die Facebook-Seite «Ruswil – metenand und förenand» soll erhalten bleiben, damit sich die Ruswilerinnen und Ruswiler weiterhin unterstützen und einander helfen können.
Deutschschweiz
Fieschertal VS
Die Berggemeinde ist Teil des alpenweiten Projekts «SmartVillages» und konnte dank digitalen Anwendungen die Krise gut meistern.
Guttannen BE
Das Dorf am Grimselpass führte die Bevölkerung mit ruhiger Hand durch die Krise. Für den Fernunterricht war die digitale Schule gewappnet.
Häggenschwil SG
Jede Woche während des Lockdown erhielten alle Häggenschwiler, die älter als 70 sind, eine kleine Aufmunterung von der Gemeindeverwaltung.
Hergiswil NW
Die Gemeinde verschenkte Gutscheine im Wert von 500 Franken an alle erwachsenen Einwohner, um das lokale Gewerbe zu unterstützen.
Ruswil LU
In Ruswil arbeiteten mehrere Vereine zusammen, damit sich niemand allein fühlt. Sie organisierten etwa Einkäufe oder Gespräche per Telefon.
Wegenstetten AG
Die Samaritervereinspräsidentin Sonja Wunderlin legte allen über 65-Jährigen zweimal in der Woche eine Überraschung in den Briefkasten.
Französische Schweiz
Essertines-sur-Yverdon VD
Monatlich gibts im Dorf ein geselliges Essen für alle betagten Menschen, und der Gewinn aus einem jährlichen Brunch geht an ein Hilfswerk.
Hermance GE
Dutzende Menschen aus der Gemeinde haben etliche Kilometer zurückgelegt, um Geld für die Betroffenen der Corona-Pandemie zu sammeln.
La Sarraz VD
Hier entstand die «Umarmung per Post»: Kinder, die nicht mehr zur Schule konnten, haben Seniorinnen und Senioren Briefe geschrieben.
Italienische Schweiz
Gambarogno TI
Die Tessiner Gemeinde spendete der Schifffahrtsgesellschaft 10000 Franken und schenkte der Bevölkerung 50 Tageskarten.
Losone TI
Lehrer, Eltern und Behörden arbeiteten eng zusammen, um gemeinsam eine Online-Plattform für alle Schülerinnen und Schüler einzurichten.
Rätoromanische Schweiz
S-chanf GR
Die Pandemie suchte das Dorf im Oberengadin früh heim. Die Einwohner halfen einander mit Hauslieferungen vom Volg und von der Apotheke.