Und plötzlich war der Ofen aus. Die Besitzer aus Katar schlossen am Ostermontag praktisch über Nacht das «Atlantis by Giardino» in Zürich. Stefan Heilemann, Küchenchef im «Ecco», hatte dann zwar 18 GaultMillau-Punkte, zwei Michelin-Sterne und begeisterte Stammgäste, aber keinen Job mehr. Die Schockstarre war von kurzer Dauer. Weil Unternehmer und Milliardär Gratian Anda («The Living Circle») in der Krise tatsächlich eine Chance witterte und sich für den «Widder» einen Top-Chef wünschte. Er holte Heilemann mitten im Lockdown an den Rennweg. Elf Mitarbeiter durften mit. Der Restaurantchef. Der Pâtissier. Aber auch Micael Braz, der treue Spüler aus Portugal, für den immer feststand: «Für Chef Stefan würde ich auch mit nach Afrika gehen.» Heilemann kochte vom ersten Tag an auf Top-Niveau, mit seiner ganz eigenen Handschrift. Klassisch französisch, aber auch faszinierend asiatisch. Seit ein paar Tagen hat Chef Stefan eine Auszeichnung mehr. Er ist GaultMillaus «Koch des Jahres 2021». Das Interview.
Stefan Heilemann, kochen Sie eigentlich jeden Tag gleich gut, oder geht mal was in die Hose?
Das sollte nicht passieren. Wir müssen einfach alle jeden Abend auf Zack und gut durchgetaktet sein. Natürlich kann es hektisch werden, wenn ein paar «grosses pièces» im Ofen sind und dazu viele À-la-carte-Gerichte bestellt werden. Aber wir sind ein gutes Team, wir schaffen das …
… und wenn ein Gast reklamiert?
Natürlich stellt man sich dann infrage. Kürzlich fand ein Gast unseren Rochenflügel mit Chorizo viel zu scharf. Am nächsten Abend war die Begeisterung für das Gericht wieder so gross, dass die Gäste das Rezept wünschten. Mit den Jahren weiss man schon, was richtig oder falsch ist.
Was denken Sie, wenn Sie bei einem Kollegen in einem Dreisterne- oder 19-Punkte-Restaurant essen? «Das kann ich alles auch.»
Im Gegenteil. Ich kann auch hin und weg sein und denken: «Grossartig!» Aber ich habe keine Ahnung, wie der Kollege das so hinkriegt. Das heftigste Erlebnis hatte ich vor ein paar Jahren bei Sergio Herman, damals noch in «The Oud Sluis» in Holland. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass man so gut kochen kann. Ich habe übrigens auch so ein Gericht, bei dem andere Köche nicht so genau wissen, wie man es zubereitet: Schweinsohren wie in den Garküchen Bangkoks.
Gutes Stichwort. Sie kochen mal klassisch französisch, wie Sie das bei Harald Wohlfahrt in Baiersbronn, Deutschlands berühmtestem Koch in Baiersbronn, gelernt haben, mal asiatisch. Was gilt jetzt: «Traube Tonbach» oder Thailand?
Ich fühle mich in beiden Küchen sehr zu Hause. Die französische Basis braucht es für eine gehobene Küche. Ich habe in den fünf Jahren in Baiersbronn wohl jedes Produkt kennengelernt, das es auf der Welt gibt. Bei Harald Wohlfahrt gab es jeden Abend zwei Menüs, die alle zwei Wochen wechselten, dazu ein riesiges À-la-carte-Angebot. Ich habe mitgeschrieben, vier Bücher voll. Sie sind mein Lexikon. Leider wurden mir zwei davon geklaut. Aber wir Wohlfahrt-Schüler sind gut miteinander vernetzt, helfen uns aus, wenn Fragen auftauchen, geben uns Rezepte weiter.
Ein Job bei Wohlfahrt – wie haben Sie das denn geschafft?
Ich habe in Baiersbronn meine Lehre gemacht, habe dann im zweiten Restaurant des Hauses, in der «Köhlerstube», gearbeitet. Dann kriegte ich die Chance, in die berühmte «Schwarzwaldstube» zu wechseln. Nach sieben Tagen wurde mein Chef de Partie entlassen, und ich rückte nach. «Heilemann, du schaffst das schon», hiess es. Aber so einfach war das nicht!
Sind Sie noch in Kontakt mit dem grossen Meister?
Nicht regelmässig. Aber hie und da kommentiert er die Bilder der Gerichte, die ich auf Instagram stelle.
In Baiersbronn haben Sie auch Renu Homsombat kennengelernt. Die stille Köchin aus Bangkok ist gewissermassen Ihre thailändische Muse.
Renu hat mir viel beigebracht. Sie war Gastköchin in der «Traube Tonbach», danach habe ich sie immer wieder in Bangkok besucht und mit ihr gekocht. Kochen ist ihr Leben. Sie hat mir alles gezeigt; ihre Rezepte, ihre Zubereitungsarten, jedes Curry, jede Currypaste. Sie hat mir auch gezeigt, wie einfach Küche sein kann: Innert fünf Minuten ist alles fertig und kommt wunderbar frisch auf den Tisch. So schnell und so gut! Und wir arbeiten oft tagelang an unseren Fonds und Saucen.
Asiatische Elemente und Aromen sind Teil Ihrer DNA. Thailand am Zürcher Rennweg gewissermassen.
Wir packen immer wieder asiatische Gerichte in unser Menü. Den Steinbutt etwa, gefüllt mit Jakobsmuscheln, gegart im gelben Curry. Oder die Langustinen im roten Thai-Curry. Die Schweinsohren, flach gepresst, im Thai-Sud gegart und ausgebacken, gibt es nur für Gäste, die wir gut kennen. Ein Fifty-fifty-Gericht …
Ist ein teurer Steinbutt in einem gelben Curry tatsächlich gut aufgehoben, oder schmeckt er klassisch zubereitet allenfalls doch besser?
Ich mag unsere Interpretation. Turbot nur mit Olivenöl und Salz ist auf die Dauer stinklangweilig.
Es gibt noch eine Region, die Ihre Küche prägt: Portugal.
Ich bin gerne in der «Vila Joya» an der Algarve. Ein wunderbares Hotel, direkt am Meer, mit wunderbaren Menschen. Ich koche ein-, zweimal pro Jahr dort. Besitzerin Joy Jung und Chef Dieter Koschina sind meine Freunde geworden. In der «Vila Joya» habe ich Pedro Bastos, den Fischer aus Sagres, kennengelernt. Er fährt jede Nacht mit einer kleinen Flotte von zwölf Booten raus aufs Meer. Seine Fische sind unglaublich frisch und von unglaublicher Qualität. Die Firma Dubno fliegt sie für uns ein, jeden Dienstag und Donnerstag. Für die Luftfracht bezahlen wir zehn Franken pro Kilo. Aber das muss uns die Qualität wert sein.
Was kriegen Sie denn alles aus Sagres?
Rotbarsch, Rochen, Carabineros, ganze Langustinen, Gamba blanca. Mittlerweile haben auch andere Köche diese Quelle entdeckt. Aber wir waren Pedros erster Kunde in der Schweiz. Wir kriegen «first choice»!»
Sie können kochen. Aber offensichtlich nicht so gut rechnen.
Wie meinen Sie das …?
Sie kochen nie auf eigene Rechnung. Sie lassen sich immer in grossen Hotels anstellen und müssen sich nicht ums Geld kümmern.
Stopp! Ich bin ein sehr guter Rechner und habe unsere Foodkosten akribisch im Griff. Ich achte auch auf Nachhaltigkeit. Food wegschmeissen geht gar nicht. Wir verwerten alles. Aber in einem Punkt haben Sie recht: Kochen in einem kleinen Lokal mit vier Tischen wäre mir zu langweilig. Ich brauche die Challenge in einem grossen Restaurant, ich liebe den wilden Ritt.
Für Köche gibt es eine neue Challenge: vegetarisch und vegan kochen.
Vegetarisch ist kein Problem. Bei uns liegt immer ein vegetarisches Menü auf. Sieben Gänge, mit gleich viel Aufwand und Liebe zubereitet wie das klassische Menü. Es kostet auch gleich viel. Vegan ist ein Problem: Das kriegen wir auf unserem Level nur auf Vorbestellung und mit einem Vorlauf von drei, vier Tagen hin. Vegan ist nicht so unser Ding.
In Schweizer Top-Restaurants gibt es auffallend viele deutsche Köche. Warum eigentlich?
Die Produkte sind hier sehr gut und auch die Gäste: Wir spüren in der Schweiz viel Wertschätzung und die Bereitschaft, für gutes Essen auch gutes Geld auszugeben. Und natürlich stimmt hier auch das Gehalt. In Baiersbronn kriegte ich als gelernter Koch 1500 Euro netto. Das passiert dir hier nicht. Abgesehen davon: Ich fühle mich in der Schweiz längst wie zu Hause. Und in zweieinhalb Stunden bin ich bei meinen Eltern in Stuttgart.
Was liegt eigentlich zu Hause in Ihrem Kühlschrank?
Thai-Curry-Pasten. In allen Schärfen und Farben. So ein Curry ist schnell zubereitet.
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