Der Sommer kommt, die Gelateria um die Ecke hat zum ersten Mal geöffnet und eine glückliche Mama postet ein Selfie von sich und ihrem fünfjährigen Kind beim Glacé schlecken. Das Kind lacht mit herzig verschmiertem Mund. Eine total unverfängliche Situation. Pures Glück. Ein Augenblick, den man gerne teilt.
Denkt man.
Denn auch scheinbar harmlose Kinderfotos im Netz haben das Potential, einem Kind Schaden zuzufügen. Dabei geht es nicht nur um den möglichen Missbrauch von Kinderfotos für pädosexuelle Zwecke, sondern um eine mögliche Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Kindes.
Jedes Kind hat das Recht am eigenen Bild, bereits als Fötus im Bauch der Mutter. Solange Kinder nicht urteilsmündig sind, nehmen die Eltern oder Erziehungsberechtigten dieses Recht für sie wahr. Dabei empfehlen ExpertInnen grosse Zurückhaltung. Denn schon scheinbar harmlose Situationen können das Kind in eine unangenehme Lage bringen. Es könnte sein, dass das Kind Jahre später von KlassenkameradInnen dafür an den Pranger gestellt oder gemobbt wird. Oder dass ein privater Schnappschuss einem Kind bei der Suche nach der Lehrstelle in die Quere kommt. Vorstellbar ist sogar, dass sich Gesichts-Erkennungs-Programme dahingehend entwicklen, dass irgendwelche Fotos aus dem Netz einem Menschen zugeordnet werden können und diese Daten zu seinen Ungunsten ausgelegt werden.
«Wir können grundsätzlich davon ausgehen, dass wir Eltern uns nicht bewusst sind, was es für einen Menschen bedeutet, wenn seine Kindheit, sein Leben, Schritt für Schritt online nachvollziehbar ist», so Regula Bernhard Hug, Leiterin der Geschäftsstelle der Stiftung Kinderschutz Schweiz. «Denn die heutige Elterngeneration ist zu grossen Teilen ohne Internet aufgewachsen. Wir sind erst dabei, einen vertretbaren Umgang mit privaten Informationen im Netz zu finden.»
Sie rät deswegen Eltern, sich vor dem Teilen eines Kinderfotos (sowie anderer Informationen über ihr Kind) fünf Fragen zu stellen. Und erst dann zu entscheiden, ob dieser Post im Sinne der Wahrung der Persönlichkeitsrechte des Kindes wirklich ok ist.
«Ob ein Bild öffentlich auf Facebook oder in einer geschlossenen Gruppe gepostet wird, macht einen Unterschied», sagt Bernhard Hug. Eltern sollten sich jedoch bewusst sein, dass auch per Messenger versendete Bilder jederzeit per Screenshot gesichert, weitergeleitet oder missbraucht werden können.
Eltern nehmen für ihre Kinder das Recht am eigenen Bild wahr, solange diese selbst dazu noch nicht in der Lage sind. Versenden sie ein Bild ihres Kindes an Verwandte oder befreundete Personen, geben sie die Kontrolle darüber ab. «Es ist deswegen zu Empfehlen, dass sich Eltern mit den EmpfängerInnen des Bildes darüber austauschen, wie dieses verwendet werden darf - oder eben nicht. Auch, wenn es die Grosseltern sind, denen man grundsätzlich absolut vertraut.»
Hier geht es nicht nur darum, keine persönlichen Informationen wie Name, Alter oder Aufenthaltsort des abgelichteten Kindes zu teilen, sondern auch darum, wie viel vom Kind selbst auf dem Foto identifizierbar ist. «Wenn sich Kinder in Bewegung befinden und ihr Gesicht nur teilweise oder gar nicht gezeigt wird, ist dies sicher weniger problematisch, als wenn Kinder frontal in die Kamera blicken. Dies gilt jedoch nur aus heutiger Sicht. Wer weiss, welche Identifikationsmittel uns in Zukunft zur Verfügung stehen – wenn all diese Bilder immer noch im Netz auffindbar sein werden.»
Diese Frage hilft Eltern, sich vorzustellen, wie sich das Kind in ein paar Jahren fühlt, wenn es davon ausgehen muss, dass künftige Vorgesetzte private Fotos und intime Aufnahmen aus seinem Leben ergoogeln können. In vielen Fällen wäre diese Vorstellung wohl blossstellend oder ungemütlich.
Spätestens an dieser Frage werden viele Fotos scheitern. Denn oft befriedigt das Posten eines Kinderfotos das eigene Bedürfnis, Gefühle wie Stolz oder Freude kommen zum Ausdruck. Oder das Foto soll jemand Drittem Freude bereiten, den Grosseltern, die einem auf Facebook folgen oder dem Gotti, das gerade am anderen Ende der Welt sitzt. Dem Kind selbst dient ein Foto im Internet wahrscheinlich nie.