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Risiken im Netz

Auch legale Inhalte gefährden Kinder im Internet

Informationen sind im Internet jederzeit verfügbar. Doch im virtuellen Raum florieren auch Kriminalität, Desinformation und eine wachsende Fake-Kultur. Regula Bernhard Hug von Kinderschutz Schweiz erklärt, was nötig ist, um Kinder und Jugendliche vor ungeeigneten Inhalten zu schützen.

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Teenagers in the public park using smartphones

Aus Sicht der Stiftung Kinderschutz Schweiz sollten Eltern ihren Kindern erst so spät wie möglich ein Smartphone überlassen – um deren gesunde Entwicklung nicht zu gefährden und die Risiken zu minimieren.

Getty Images

Regula Bernhard Hug, auch der Stiftung Kinderschutz nützt das Internet zur Informationsvermittlung. Ist es eher Fluch oder Segen?

Aus Sicht des Kinderschutzes überwiegt der Schaden. Die schiere Menge an Falschinformationen und manipulierten Inhalten übersteigt unsere Fähigkeit, Wahrheit von Unwahrheit zu unterscheiden. Besonders KI-generierte Fake-Inhalte stellen eine wachsende Bedrohung dar.

Sie nehmen an einem Elternabend über «ungeeignete Inhalte im Netz» teil. Wovon ist die Rede?

Neben klar Verbotenem gibt es auch legale Inhalte, die nicht für Kinder oder zumindest nicht für jedes Alter geeignet sind. Besorgniserregend sind nicht nur Gewaltdarstellungen und angstauslösende Inhalte, sondern auch unseriöse Quellen, die Kinder nicht als solche erkennen.

Medientipp

Kinder und Jugendliche kommen früh mit digitalen Medien in Kontakt, doch nicht alle Inhalte sind altersgerecht. Die Telekomanbieterin Swisscom veranstaltet einen Online-Elternabend zum Thema «Nix für Kids – ungeeignete Inhalte im Netz».

TV-CEO Claudia Lässer diskutiert mit Expertinnen und Experten, die alle auch Eltern sind, über Risiken und Schutzmassnahmen. Neben Regula Bernhard Hug werden Medienunternehmerin Andrea Jansen und der Jugendmedienschutz-Beauftragte Michael In Albon zu Gast sein. Dienstag, 25. Februar, ab 20 Uhr auf blue Zoom D und dem Youtube-Kanal von Swisscom. Danach als Aufzeichnung auf swisscom.ch/campus.

Welche Inhalte stellen das grössere Problem dar, illegale oder legale?

Kinderschutz Schweiz sieht in erster Linie die massenhaft und ungefiltert verteilten verbotenen Inhalte als Problem. Sie gelangen über clickandstop.ch, die Meldestelle gegen Pädokriminalität, zu uns. Sie lösen grosses Leid aus. Gesellschaftlich ist auch der Umgang mit nicht altersgerechten oder nicht verifizierbaren Inhalten bedenklich. Das bereitet mir als Mutter und ehemalige Primarlehrerin Sorgen, denn diese Inhalte sind ohne Illegalitätsstempel oft selbst für Eltern nicht als ungeeignet erkennbar.

Wie können Eltern ihre Kinder schützen, ohne sie vom Internet abzuschirmen?

Bis zu einem gewissen Alter ist das Abschirmen durchaus sinnvoll. Der unbegleitete und zeitlich unlimitierte Zugang via Smartphone sollte so spät wie möglich eingeführt werden. Kinder sind evolutionär bedingt bis in die Adoleszenz auf haptisches Lernen mit allen Sinnen angewiesen. Jede längere Bildschirmzeit beeinträchtigt die gesunde Entwicklung. Und aufgrund der Gehirnentwicklung können Kinder ihren Konsum nicht aktiv steuern. Neurologen empfehlen deshalb ausschliesslich begleiteten Internetzugang vor 12, kein Smartphone vor 14 und keine eigenen Accounts auf Social Media vor 16 Jahren.

Die Medienpädagogik plädiert für eine frühere Einführung.

Das Ziel der Medienpädagogik ist das Vermitteln von Medienkompetenz. Sie vertritt logischerweise die Perspektive, dass erzieherische Grundlagen vor dem zwölften Lebensjahr gelegt werden müssen, weil Eltern später immer weniger Einfluss nehmen können. Im Kinderschutz verfolgen wir ein anderes Ziel: das Gefährdungsrisiko zu vermindern. Wir arbeiten mit Daten aus der Neurologie, der Kriminalstatistik und der Psychiatrie. Aus dieser Perspektive gibt es durch eine frühe Smartphonenutzung keinen einzigen Vorteil. Im Gegenteil: Bei sexualisierter Gewalt im Netz nehmen die Täter immer über den Internetzugang der Kinder Kontakt auf.

Was unterschätzen Eltern?

Ganz klar den Zeitverlust, den Kinder durch den Konsum digitaler Inhalte in der realen Welt erleiden. Jedes Video auf dem Tablet nimmt ihnen eine Möglichkeit, ihre Umgebung mit allen Sinnen wahrzunehmen. Sie verpassen Erfahrungen, die für die gesunde Entwicklung wichtig sind.

Ist also aus Ihrer Sicht jeder Inhalt im Netz für Kinder ungeeignet?

Bis zu einem gewissen Alter ja. Der Konsum von Bildschirminhalten vor dem dritten Lebensjahr ist aus entwicklungspsychologischer Sicht nicht empfohlen. Auch später wird das Gehirn auf unrealistische Dopaminausschüttung und kurze Aufmerksamkeitsspannen konditioniert.

Kind am Handy

Smartphonezeit ist für kleine Kinder verlorene Zeit, sagt Regula Bernhard Hug.

Getty Images

Später kommen offensichtlichere Gefahren dazu. Reichen technische Schutzmassnahmen, um Kinder von Pornoseiten fernzuhalten oder vor Cybergrooming zu schützen?

Kindersicherungen und Filter sind wichtig, auch wenn die Kinder sie umgehen können. Sie senden das Signal: Du bist mir nicht egal. Alleine reichen sie jedoch nicht aus. Begleitung und offene Gespräche über die Schattenseiten des Internets sind essenziell. Lieber spricht man verstörende Themen frühzeitig und altersgerecht an, als Kinder überzubehüten. Über Gleichaltrige werden sie sowieso irgendwann mit verstörenden Inhalten konfrontiert. Dann sollten sie wissen, dass sie sich mit Fragen oder Ängsten an die Eltern wenden können.

Welche Auswirkungen hat der Konsum ungeeigneter Inhalte?

Ungeeignete virtuelle Inhalte haben Auswirkungen auf das reale Leben. Mittlerweile wissen wir, dass zu früher und zu regelmässiger Pornografiekonsum insbesondere bei Jungen zu dysfunktionalen Beziehungen führt. Sie entwickeln ein verzerrtes Körperbild, übernehmen die Sexualitätsvorgaben der Pornoindustrie und können die eigene Sexualität nicht mehr entdecken.

Wie erkennen Eltern, ob ihr Kind mit schädlichen Inhalten in Kontakt gekommen ist?

Ein verändertes Sozialverhalten ist ein Hinweis. Bei Rückzug in die virtuelle Welt und ein Interessensverlust gegenüber Freunden und Aktivitäten in der realen Welt sollten Eltern aufmerksam sein.

Sind Eltern allein verantwortlich?

Nein, der Kinderschutz im Internet ist eine gemeinsame Aufgabe von Eltern, Schulen, Politik und Anbietern.

Wie kann er gelingen?

Eltern sollten bemüht sein, im ständigen Austausch mit ihren Kindern zu bleiben und technische Schutzmassnahmen zu ergreifen. Schulen müssen früh mit der Sensibilisierung gegenüber Schutzstrategien beginnen, klare Regeln für die digitale Mediennutzung aufstellen und auch mediale Freiräume durchsetzen. Die Politik muss die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen, um insbesondere wirtschaftliche Akteure in die Schranken zu weisen, die durch die Onlinezeit von Kindern und deren Daten Gewinn erwirtschaften. Und die Plattformen sehe ich in der Pflicht, ihre Angebote nach den Prinzipien «Safety by Design» und «Privacy by Default» zu gestalten, sodass Kinder und Jugendliche automatisch mehr Schutz erfahren.

Sylvie Kempa
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Von Sylvie Kempa am 14. Februar 2025 - 06:18 Uhr