Marcel Kräutli, seit einem Jahr sind sie Väterberater beim Ostschweizer Verein für das Kind OVK. Warum wurde diese Stelle jetzt geschaffen? Oder besser gefragt: Warum erst jetzt?
In den vergangenen Jahren sind immer mehr Väter immer stärker in ihr Familienleben involviert, und sie möchten es auch sein. Und Männer sollten ja auch mehr Care-Arbeit übernehmen, um ihren Beitrag an die Gleichstellung zu leisten. Wir holen gegenüber den Frauen jedes Jahr etwas Zeit auf. Wenn es so weiter geht, teilen sich Männer und Frauen Care-Arbeit etwa in 46 Jahren ausgeglichen auf.
Unsere Töchter profitieren also noch nicht davon, aber wahrscheinlich unsere Enkelinnen.
Und unsere Enkelsöhne. Auch sie profitieren, wenn es selbstverständlich ist: Nicht nur Mami kann trösten und versorgen, Papi hat das genauso drauf. Jedenfalls will der OVK diesen Fragen adäquat begegnen und hat darum die Stelle des Väterberaters geschaffen. In meinem Fall ging die Initiative übrigens von den Kolleginnen aus: Sie forderten einen männlichen Arbeitskollegen. In Bern gibt es dieses Angebot seit 2019, im Kanton Zürich ebenfalls seit vergangenem Jahr, seither haben auch Kollegen in Graubünden, Glarus und in der Stadt Zürich ihre Arbeit aufgenommen.
Was für Väter wenden sich an sie?
Total unterschiedlich. Sie kommen aus verschiedenen sozioökonomischen Milieus, haben aber eines gemeinsam: Sie sind interessiert am Vatersein, präsenter und involvierter als es früheren Generationen möglich war.
Was sind typische Themen, die Väter von Mann zu Mann besprechen wollen?
Bei Fragen nach Entwicklung, Gesundheit oder Ernährung der Kinder ist es den Vätern egal, ob ihnen eine Frau oder ein Mann vis-à-vis sitzt. In meinen Beratungen sprechen sie eher persönliche Themen an, es geht um die Rollenfindung als Vater, Partner, Berufs- und Familienmensch, um unterschiedliche Haltungen in der Erziehung, um den Umgang mit Gefühlen. Wie können wir zum Beispiel damit umgehen, wenn uns das Verhalten eines Kindes triggert, wenn es Wutausbrüche hat, andere Kinder schlägt, trotzt und täubelet. Viele Antworten finden wir bei uns selbst.
Aber inwiefern ergeht es Männern in solchen Situationen anders als Frauen?
Männer haben oftmals einen schlechteren Zugang zu ihren eigenen Gefühlen, weil es ihnen in ihrer Kindheit abgesprochen wurde. Das schreibt der deutsche Psychologe Björn Süfke, seit langem Väterberater in Deutschland, in seinem Buch «Männerseelen». Sprüche wie «Ein Indianer kennt keinen Schmerz», «Sei keine Susi» kennen viele Väter nur allzu gut aus ihrer Kindheit. Das kann sich hinderlich auswirken auf das empathische Wahrnehmen von Gefühlen, welche in der Kindheit ganz normal sind. Dann schaue ich mit den Männern den Kontext an, wie sie aufgewachsen sind, wie sie Zugang zu ihren Gefühlen finden können.
Wie können sie solch festgefahrene Angewohnheiten ändern?
Indem wir konkrete Erlebnisse anschauen, bei denen ihre Kinder sie wütend machten, und besprechen, was ihnen so Stress machte, und wie sie beim nächsten Mal reagieren können. Zum Beispiel wenn das Kind an der Migros-Kasse täubelet, weil es ein Schoggistängeli will, und der Vater sich unwohl fühlt, weil andere Leute ihn anschauen, er hat das Gefühl, sie denken, er sei nicht kompetent. Dann brauchen wir einen Kriseninterventionsplan für das nächste Mal, wenn er merkt, jetzt kommt die Wut hoch und er möchte das Kind am liebsten packen und aus dem Laden laufen. Und die Frage: Warum ist es ihm überhaupt so wichtig, was die anderen denken?
Diese Situation kennen wir alle, ob Väter oder Mütter. Was machen sie persönlich dann?
Ich beuge mich zum Kind, bespreche die Situation, erkläre ihm die Gründe, warum ich ihm das Schoggistängeli kurz vor dem Zmittag nicht kaufen will. Und erwähne gerne, dass ich mich jetzt nicht stressen lasse, auch wenn die anderen Leute mich anschauen – natürlich so, dass diese es auch hören. Zudem mache ich mit Vätern in der Beratung die Überlegung: Warum das Stängeli eigentlich nicht einfach kaufen und mit dem Kind zusammen vor dem Laden geniessen und dabei die Vögel beobachten? Mit der Zeit und etwas Erfahrung wissen wir, wie wir in solchen Situationen reagieren. Wichtig ist, dass wir lernen, die Situation auszuhalten, die Sachen zu benennen, die einen stressen, so zeigen wir auch dem Kind, dass unterschiedliche Gefühle okay sind. Anstatt zu sagen: «Jetzt mach kein Theater, das ist doch nicht schlimm, jetzt tu nicht so!» In die Beratung kommen aber ohnehin vor allem Männer, die offen sind und interessiert. Für uns stellt sich die Frage: Wie holen wir mehr Väter in die Beratung?
Und, wie holen sie sie?
Durch Mund-zu-Mund-Empfehlung, über die Kolleginnen, durch Inserate und Flyer sowie viel Vernetzungsarbeit. Super besucht sind mittlerweile unsere Vätertalks. Sie finden deshalb ab 2023 in mehreren Gemeinden statt.
Wie laufen diese Talks ab?
Es ist ein Austausch in Gruppen von nur sechs bis acht Vätern, jeder Teilnehmende muss sich also auch mal exponieren. Ich gebe einen Themeninput, dann wird ausgetauscht, vernetzt, man bekommt neue Impulse, wie es andere machen, und kann das dann auch daheim besprechen.
Apropos daheim besprechen: Im zweiten Teil dieses Interviews lest ihr, welche Fragen Männer mit dem Väterberater bezüglich Paarbeziehung besprechen wollen und wie Mütter dazu beitragen können, dass sich Väter in ihrer neuen Rolle besser zurecht finden.