Am 11. Mai soll die Volksschule wieder öffnen. Wie muss man sich diesen Schulbetrieb vorstellen?
Das ist zum jetzigen Zeitpunkt noch ganz schwierig zu sagen, da wir beim Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz das Schutzkonzept, das der Bund nun erarbeitet, noch nicht im Detail kennen. Aufgrund dieses Schutzkonzepts muss dann die Planung des Unterrichts erfolgen. Zudem ist ja nach wie vor unsicher, ob und wie stark Kinder zur Verbreitung des Coronavirus beitragen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird der Präsenzunterricht an den Schulen ab dem 11. Mai wieder aufgenommen – aber nicht so, wie vor dem 13. März.
Was sind mögliche Szenarien?
Es kommt darauf an, wie und welche Hygienevorschriften umgesetzt werden müssen, ob die Kinder gestaffelt, in Halbklassen oder alle zusammen beschult werden. Wir hängen diesbezüglich auch noch im luftleeren Raum.
Mit was für Gefühlen schauen sie dem 11. Mai entgegen?
Grundsätzlich sind wir Lehrerinnen und Lehrer froh, dass die Schule wieder starten kann. Entscheidend ist nun, wie es weitergeht, was für Beschlüsse getroffen werden. Wichtig ist, dass dieser Prozess koordiniert wird, dass also nicht jeder Kanton den Schulbetrieb anders regelt. Das wirkt sonst unglaubwürdig. Die Lehrerinnen und Lehrer sind jedenfalls sehr froh, dass sie ihre Schülerinnen und Schüler bald wieder im Klassenzimmer begrüssen können und sehen und erfahren, wie es ihnen geht, was sie gemacht haben. Dabei dürfen wir nie aus den Augen verlieren, worum es geht: um den Schutz der Bevölkerung, also auch jenen der Kinder, Jugendlichen und Lehrpersonen. Es muss weiterhin darum gehen, möglichst wenige Ansteckungen zu generieren. Und das ist im Zusammenhang mit der Schulöffnung definitiv eine Herausforderung.
Wo sehen sie die grössten Schwierigkeiten in der Ausgestaltung des «Krisen-Schulbetriebs»?
Um den nötigen Abstand einzuhalten, wurde auch darüber gesprochen, dass die Kinder nur in Halbklassen unterrichtet werden – aber dann wäre ja jeweils die andere Hälfte daheim. Gleichzeitig Präsenz- und Fernunterricht zu machen, ist nicht möglich. Das wirft also Fragezeichen auf. Mit kleinen Kindern kann man die Distanzregeln unmöglich einhalten, so zu unterrichten wie vor der Krise, ist also auch nicht möglich. Vielleicht müssen wir wieder mehr Frontalunterricht machen, weil sich damit am ehesten der Abstand einhalten lässt. Aber einem einzelnen Schüler etwas aus zwei Metern Distanz zu erklären, ist auch wieder schwierig. Es braucht im Moment noch viel Fantasie, um sich das Ganze vorzustellen.
Zieht der Bund den Lehrerverband bei diesen Überlegungen mit ein?
Wir stehen in Kontakt mit der Erziehungsdirektorenkonferenz und tauschen uns aus. Der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz steht auch in engem Kontakt mit den kantonalen Lehrerverbänden. Und wir weisen immer wieder darauf hin, wie wichtig es ist, dass die Planung des neuen Schulbetriebs koordiniert abläuft.
Werden am 11. Mai auch Musikschulen und vergleichbare Einrichtungen wieder öffnen?
Darüber habe ich noch nichts gehört, aber Musikunterricht geschieht ja meistens ein zu eins, sodass er dann wohl wieder stattfinden kann. Ensembles, Chöre oder Orchester werden wahrscheinlich noch länger warten müssen, weil die Mitglieder dort die nötige Distanz nicht wahren können.
Was passiert mit jenem Schulstoff, der während der schulfreien Zeit mehr oder weniger verpasst wurde?
Auch in krisenfreien Zeiten sind nie alle Kinder auf dem gleichen schulischen Level, aber jetzt hat diese Ungleichheit eine neue Dimension erreicht. Manche Kinder haben daheim abgehängt, sind auch psychisch nicht parat für den Wiederbeginn an der Schule. Deshalb sind zusätzliche Ressourcen nötig, damit Kinder, die im Fernunterricht benachteiligt waren und in Rückstand gerieten, wieder aufgefangen werden können. Das ist nun Sache der Politik, hier finanzielle Unterstützung anzubieten.
Wie geht man mit gefährdeten Lehrpersonen um?
Das ist tatsächlich ein weiteres Problem, denn auch viele Lehrerinnen und Lehrer gehören einer Risikogruppe an: Sei es aus aufgrund ihres Alters, weil sie wegen des Lehrermangels nach der Pensionierung noch weiterarbeiten, oder weil sie ein geschwächtes Immunsystem haben, unter Bluthochdruck leiden oder herzkrank sind. Auch unter den Kindern gibt es Diabetiker, Epileptikerinnen oder solche mit einer Herzkrankheit. Die Experten sind sich dessen zumindest bewusst, auch auf nationaler Ebene, und sich einig, dass man darauf schauen und diese Gruppen schützen muss.
Manche Eltern wollen ihre Kinder lieber noch weiterhin zu Hause unterrichten, weil sie befürchten, diese könnten sich in der Schule mit dem Coronavirus anstecken. Ist das zulässig?
Es wäre sicher der falsche Weg, solche Eltern nun zu büssen. Allerdings ist es auch keine gute Lösung, die Kinder einfach daheim zu behalten, während der Präsenzunterricht in der Schule wieder anläuft. Am besten wäre es wohl, solche Eltern überzeugen zu können, dass die Schulen nach bestem Wissen und Gewissen arbeiten, und sie ihre Kinder trotz ihrer Ängste in den Unterricht schicken können. Hier wäre es für alle Beteiligten sehr hilfreich, wenn wir eindeutige Informationen hätten, wie und in welcher Form die Kinder von Covid-19 betroffen sind.
Dürfen Kinder ab dem 11. Mai auch in der Freizeit wieder mit ihren Klassengspändli abmachen?
Das dürfen sie eigentlich jetzt schon, einfach nicht in grösseren Gruppen und nicht mit immer wieder anderen Freunden. Hier kommt es aufs Augenmass an. Den Kindern muss es ja auch psychisch gut gehen, deshalb kann man sie nicht wochenlang isolieren. Solange sie immer wieder mit den gleichen Gspändli spielen, ist das in meinen Augen zu verantworten.