Cornelia Döbeli, nehmen wir an, mein Ehemann stirbt. Welcher Teil des Erbes geht an mich als Ehefrau?
Da gibt es verschiedene Szenarien. Wenn ein Paar Kinder hat, erben diese nach Gesetz, also wenn keine letztwillige Verfügung wie beispielsweise ein Testament vorhanden ist, die eine und die Ehefrau die andere Hälfte des Nachlasses. Wenn es keine Kinder hat, aber es sind beispielsweise noch die Eltern da, erbt der Ehepartner drei Viertel und die Eltern ein Viertel. Sind weder Nachkommen noch Eltern respektive Angehörige des elterlichen Stammes erbberechtigt, bekommt der hinterbliebene Partner alles.
Dann gibt es ja aber noch die Sache mit dem Pflichtteil. Was hat es damit auf sich?
Genau. Bestimmte Personen haben in der Schweiz Anrecht auf einen bestimmten Teil des Nachlasses. Es sind dies Ehegatten beziehungsweise eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartner, die Nachkommen und die Eltern. Wer keine solchen Erben hinterlässt, kann in einem Testament völlig frei über seinen Nachlass verfügen. Ansonsten sind diese Pflichtteilsansprüche zu beachten und man kann nur über den Rest in seinem Testament verfügen.
Das Pflichtteilsrecht ändert nun ja aber demnächst?
Ja, per 1. Januar 2023. Ab dann werden die Kinder je nach Szenario nur noch einen geschützten Anspruch auf ½ statt wie jetzt auf ¾ ihres gesetzlichen Erbteils haben und die Pflichtteile der Eltern werden ganz gestrichen. Somit haben künftig nur noch der Ehegatte beziehungsweise die eingetragene Partnerin und die Nachkommen einen Pflichtteilanspruch von jeweils ½ des gesetzlichen Erbanspruchs. Dies gibt dem Erblasser oder der Erblasserin mehr Freiheit, wie sie über ihren Nachlass verfügen kann.
Gibt es die Möglichkeit, einem Pflichtteil-geschützten Erben seinen Teil zu entziehen?
Es ist grundsätzlich möglich, jemanden zu enterben. Aber dafür braucht es sehr viel.
Wann wäre denn eine Enterbung gerechtfertigt?
Das wäre beispielsweise möglich, wenn jemand eine schwere Straftat gegen den Erblasser begangen oder seine familienrechtlichen Pflichten schwer verletzt hat. Der Grund könnte beispielsweise ein Mordanschlag auf den Erblasser zu Lebzeiten sein. Oder es geht um total zerstrittene Familienverhältnisse, die Personen hatten jahrelang keinen Kontakt zueinander, der Vater weigerte sich, Alimente zu zahlen und nun soll er vom Sohn nichts erben. Die Enterbung muss im Testament genau begründet werden. Denn im Streitfall muss ein Gericht nach dem Tod des Erblassers oder der Erblasserin prüfen, ob der angegebene Grund zu einer Enterbung ausreicht.
Erben ist sehr kompliziert…
Ja, vor allem halt auch, weil bei Verheirateten zuerst das eheliche Vermögen aufgeteilt werden muss. Das Erbe bezieht sich ja immer nur auf das Vermögen des oder der Verstorbenen. Dieses nach vielen Ehejahren festzustellen, ist oft nicht einfach. Und wenn mehrere Erben vorhanden sind, bilden diese automatisch eine Erbengemeinschaft am Nachlass und müssen diesen bis zur Teilung gemeinsam verwalten und sich vor allem auch einigen, wer was bekommen soll. Auch das führt oft zu Konflikten. Im Streitfall muss letztlich ein Gericht entscheiden.
Bekommen geschiedene Ex-Frauen oder -Männer gesetzlich auch noch einen Teil des Erbes?
Nein, mit der Scheidung erlöscht das Erbrecht. Mit Inkrafttreten der Revision 2023 wird es übrigens möglich sein, dem Ex-Gatten seinen Erbanspruch schon zu entziehen, sprich ihn zu enterben, sobald ein Scheidungsverfahren hängig ist.
Wie können sich unverheiratete Paare absichern?
Nach dem Gesetz erben Konkubinatspartner und Konkubinatspartnerinnen, also unverheiratete heterosexuelle Paare und gleichgeschlechtliche Paare ohne eingetragene Partnerschaft, nichts. Wollen sie das ändern, müssen sie ein Testament schreiben. Wenn jemand keine pflichtteilsgeschützen Erben hat, kann er oder sie im Testament frei über sein Vermögen verfügen. Ansonsten müssen die Pflichtteile von allfälligen Ehegatten respektive eingetragenen Partnern, von Nachkommen oder Eltern berücksichtigt werden und nur der Rest kann an den Konkubinatspartner oder die Konkubinatspartnerin vererbt werden.
Und wie ist es mit Kindern aus mehreren Ehen?
Alle Kinder, die der oder die Verstorbene hatte, egal aus welcher Ehe oder ob ehelich oder unehelich, sind laut Gesetz gleich erbberechtigt. Es müssen rechtlich einfach seine beziehungsweise ihre Kinder sein, aber egal, ob leiblich oder adoptiert.
Wie sieht es mit Patchwork-Familien und den Kindern anderer Partner aus?
Angenommen, ein neuer Partner oder eine neue Partnerin bringt ein Kind in die Ehe mit, hat dieses Kind gemäss Gesetz kein Recht auf das Erbe des Erblassers. Er könnte es jedoch in seinem Testament berücksichtigen im Rahmen seiner freien Quote, sprich, solange er keine Pflichtteilsansprüche anderer verletzt. In Patchwork-Familien ist es sehr empfehlenswert, sich rechtzeitig übers Erben Gedanken zu machen und sich nötigenfalls anwaltlich beraten zu lassen und die Erbfolge dann in einem Erbvertrag oder Testament zu regeln.
«Wichtig ist, dass das Testament nach dem Tod gefunden wird.»
Cornelia Döbeli, Rechtsanwältin
Was muss man beim Verfassen eines Testaments beachten?
Jede Person, die urteilsfähig ist, kann sich hinsetzen und ein Testament schreiben. Es muss einfach von a bis z von Hand geschrieben, datiert und unterschrieben sein. Wer Angst hat, etwas falsch zu machen, oder nicht mehr selber von Hand schreiben kann, kann zu einem Notar gehen und ein so genanntes öffentliches Testament machen. Wichtig ist sodann, wie gesagt, dass die Pflichtteile berücksichtigt werden, ansonsten könnte das Testament angefochten werden. Wenn es jedoch niemand anficht, ist es gültig. Wichtig ist schliesslich auch, dass das Testament nach dem Tod gefunden wird. Es ist zu empfehlen, es dort aufzubewahren, wo auch alle anderen wichtigen Dokumente sind. Man kann es auch einer Vertrauensperson geben oder es bei der Wohngemeinde gegen eine kleine Gebühr hinterlegen.
Wie unterscheidet sich der Erbvertrag vom Testament?
Ein Testament verfasst jemand alleine und er kann es auch jederzeit wieder aufheben oder abändern. Ein Erbvertrag ist – wie es der Name sagt – ein Vertrag, es müssen also mindestens zwei Personen mitwirken und er kann auch nur im gegenseitigen Einverständnis wieder aufgehoben oder abgeändert werden. Ein Testament kann man zu Hause für sich im stillen Kämmerlein verfassen, für einen Erbvertrag muss man zu einem Notar.
Werden auch Schulden vererbt?
Ja. In dem Moment, wo jemand stirbt, geht alles – also Vermögen und Schulden – an die Erben. Sie haben drei Monate Zeit, sich zu überlegen, ob sie Erbe bleiben oder ausschlagen möchten.
«Beobachter»-Bücher zum Thema: «Testament, Erbschaft» von Benno Studer und «Letzte Dinge regeln» von Karin von Flüe