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  4. Mädchen sind stärker von Corona-Pandemie betroffen: Studie von Save the Children
«Corona ist eine Ungleichheits-Maschine»

Deshalb leiden Mädchen stärker unter der Pandemie

Niemand litt so stark unter den Folgen der Corona-Pandemie wie Kinder. Weltweit, aber auch in der Schweiz. Die Kinderrechts-Organisation Save the Children und eine Gender-Forscherin schlagen Alarm.

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mädchen traurig

Mädchen sind die Leidtragenden der Corona-Pandemie.

Getty Images

Die Corona-Pandemie hat auf das Leben vieler Menschen verheerende Auswirkungen. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer grösser. Besonders hart trifft es Kinder aus armen Verhältnissen – allen voran Mädchen. 

Dies geht aus einer neuen Studie der internationalen Kinderrechts-Organisation Save the Children hervor. Die Befragung unter 25'000 Kindern und Erwachsenen aus 37 Ländern in Asien, Afrika, Lateinamerika und dem Nahen Osten zeigt, dass die am stärksten benachteiligten Kinder überproportional von fehlendem Schutz, mangelnder Bildung sowie von schlechter Gesundheits- und Nahrungsmittelversorgung betroffen sind. 

Mehr Mithilfe in Haushalt und Familie

63 Prozent der befragten Mädchen sagten in der Umfrage, dass sie wegen der Pandemie mehr Hausarbeiten erledigen müssen, 52 Prozent gaben an, mehr Zeit für die Geschwister aufzuwenden und 20 Prozent meinten, dass sie während der Schliessung der Schulen nicht hätten lernen können.

Auffällig ist, dass diese Beispiele deutlich weniger auf Jungen zutreffen. Im Haushalt halfen 43 Prozent von ihnen mit, mit den Geschwistern 42 Prozent. Und lediglich 10 Prozent gaben an, im Lockdown nichts gelernt zu haben. 

«Wenn die Oma krank ist, schickt man eher die Tochter, um nach dem Rechten zu sehen, als den Sohn.»

Christa Binswanger, Expertin für Genderfragen

Weil die Schweiz nicht Teil der Studie war, haben wir bei Fabian Emmenegger, Mediensprecher von Save the Children Schweiz,  nachgefragt, ob sich diese Umfrage-Ergebnisse auch auf unser Land anwenden lassen. «Auch hier haben die Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie, allen voran die Schulschliessungen, Kinder aus ärmeren Familien härter getroffen», sagt er. Homeschooling sei für bildungsschwächere Haushalte in der Schweiz schwierig gewesen, beispielsweise wegen Sprachproblemen oder fehlendem Material wie Handys oder Laptops. «Vor allem schon belastete Familien, sei es durch Armut, Fluchthintergrund oder Arbeitslosigkeit, sind noch stärker belastet worden.»

Ob auch bei uns vermehrt Mädchen daheim anpacken mussten, kann Emmenegger allerdings nicht sagen. Christa Binswanger, Leiterin Fachbereich Gender und Diversity an der Universität St. Gallen, bestätigt aber, dass Pflegearbeit auch bei uns überwiegend von Frauen übernommen wird. 

Prekäre Umstände sorgen für Ungleichheit

«Nicht nur in ärmeren Ländern, auch in der Schweiz sehen wir, dass unbezahlte Care-Arbeit noch stark weiblich geprägt ist. Zwei Drittel wird von Frauen geleistet.»

Dies treffe auch auf jene Familien zu, in denen Mann und Frau angeben, dass ihnen Gleichstellung wichtig sei. Bei näherem Hinsehen merke man, dass der Haushalt eben doch grösstenteils von Frauen gemeistert wird, erklärt die Expertin. Diese Muster könnten auch auf den Nachwuchs abfärben. «Wenn beispielsweise die Oma krank ist, schickt man eher die Tochter, um nach dem Rechten zu sehen, als den Sohn.» Laut Binswanger werden Kinder noch immer stark geschlechtsspezifisch sozialisiert. «Dies zeigt sich in der Wahl der Hobbys – Fussball für die Jungen, Ballett für die Mädchen – aber auch bei der Berufswahl, wo Buben eher technische und Handwerksberufe wählen, Mädchen oft in Richtung Pflege oder Kinderbetreuung gehen», erklärt sie. Für Eltern gelte, solche Ungleichheiten zu bemerken und dann im Alltag dagegen anzugehen. Glücklicherweise werde das Bewusstsein für solche Themen immer grösser. 

«Wir müssen eine ganze Generation von Kindern davor zu schützen, die Hauptlast dieser Pandemie zu tragen.»

Fabian Emmenegger, Save the Children Schweiz
Das eigentliche Problem ist Kinderarmut

Dieses neue Bewusstsein zeige sich auch in einer Studie aus Deutschland, die zum Schluss kommt, dass immer weniger Kinder bei der Hausarbeit mithelfen müssen. «Der Grund ist, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der die Förderung von Kindern heute in Haushalten der Mittelschicht und der besser Verdienenden vermehrt als wichtig gilt», stellt Christa Binswanger fest. Dies würde bedeuten, dass diese Kinder in der Schweiz auch während der Pandemie nicht vermehrt im Haushalt anpacken oder auf die Geschwister aufpassen mussten. Wenn aber in einer Familie beispielsweise beide Eltern im Niedriglohnbereich arbeiteten und während des Lockdowns für die Arbeit ausser Haus mussten, sei es gut denkbar, dass auch hier eher die Töchter daheim aushelfen mussten.

Das Hauptproblem für Kinder sieht Christa Binswanger aber nicht in Gender-Unterschieden, sondern in der steigenden Kinderarmut in der Schweiz. «Kinder gut zu versorgen und ihnen auch in einer Pandemie den Zugang zu Bildung zu ermöglichen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wenn Kinderarmut steigt, dann stimmt etwas mit dem System nicht.» Ihr Lösungsansatz: Umverteilung. «Es gibt viele Menschen, die an der Corona-Krise sehr gut verdient haben. Dieses Geld könnte jenen Kindern zugutekommen, deren Bildungschancen im Lockdown aufgrund von Armut vermindert wurden». Leider hätten die Kinder im Gegensatz zur Wirtschaft keine starke Lobby.

Für die Zukunft vorsorgen

Auch für Fabian Emmenegger steht der Schutz von Kindern ganz oben auf der Liste. «Es geht darum, eine ganze Generation von Kindern davor zu schützen, die Hauptlast dieser Pandemie zu tragen», sagt er. Save the Children setze sich weiterhin dafür ein, dass Kinder weltweit Zugang zu Bildung bekommen. Das könne durch Bereitstellen von Fernlernmaterialien sein oder auch ganz pragmatisch, indem Fernunterricht über Radio, Telefon oder Messaging-Apps angeboten werde. Zudem sei wichtig, vorauszudenken und Lösungen zu finden auf die Frage, wie man sich besser auf eine allfällige nächste Pandemie vorbereiten könne.

Alle Ergebnisse der Studie von Save the Children könnt ihr hier nachlesen.
Weitere Informationen zur Arbeit von Gender-Forscherin Christa Binswanger findet ihr hier

Von Edita Dizdar am 12. September 2020 - 11:09 Uhr