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Tipps für die Lehrstellensuche

«Die Jugendlichen müssen sich vom Einheitsbrei abheben»

Viele Jugendliche fühlen sich bei der Berufswahl, während des Bewerbungsprozesses und schliesslich dem Einstieg in die Berufswelt überfordert. Die Berufsbildneria unterstützt sie dabei, diese wichtigen Schritte zu meistern. Jobcoach Christian Lüber sagt, worauf man beim Bewerbungsdossier achten sollte und weshalb eine Berufslehre nicht weniger Wert ist als eine akademische Ausbildung.

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Lehrstellensuche: Ein Jobcoach gibt Tipps, worauf Jugendliche beim Bewerben auf eine Lehrstelle achten sollten

Die kaufmännische Ausbildung zählt zu den beliebtesten Berufslehren bei Jugendlichen.

Getty Images

Christian Lüber, müssen Sie viele Träume platzen lassen, weil die Jugendlichen sich wünschen, Influencer oder Popstar zu werden? 

Wir zeigen in unseren Beratungen auf, was realistisch ist und was weniger. Deshalb müssen wir aber keine Träume platzen lassen – Vielleicht lassen sie sich zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich verwirklichen. Lieber als Ideen komplett abzuschmettern, entwickeln wir mit den Jugendlichen einen Plan B und einen Plan C. Merken sie dann, dass ihr Plan A nicht aufgeht, können sie auf die anderen Pläne zurückgreifen. Wir weisen zudem immer darauf hin, dass das Bildungssystem durchlässig ist und sie zu einem späteren Zeitpunkt – nach der ersten Ausbildung – auf ihre ursprüngliche Vision zurückkommen können. 

Haben die Jugendlichen, die Sie in der Berufsbildneria beraten, in der Regel bereits eine Idee, welchen Beruf sie erlernen möchten?

Das ist sehr unterschiedlich. Ungefähr die Hälfte hat schon eine Idee, rund ein Viertel hat mehrere Berufe im Hinterkopf, die sie interessieren würden, und knapp ein Viertel hat noch gar keinen Plan. Ihnen zeigen wir Berufe auf, die zu ihren Interessen, Eignungen und Neigungen passen könnten.

Ist die Berufslehre für Jugendliche überhaupt noch attraktiv?

Wir staunen tatsächlich darüber, wie viel Unkenntnis und Vorbehalte gegenüber dieser Grundbildung vorhanden sind. Ein grosser Teil unserer Arbeit ist daher Aufklärungsarbeit. Eine Berufslehre verunmöglicht nicht, später einen akademischen Weg einzuschlagen – dank der Passerelle und der Berufsmatura ist noch alles möglich. 

Sind es hauptsächlich die Eltern, die den akademischen Weg bevorzugen?

Das kann sein. Noch immer sagen viele Eltern ihren Kindern: Wenn du die Chance hast, ans Gymnasium zu gehen, musst du sie packen. Die Berufslehre ist in der Gesellschaft oft tiefer bewertet als der gymnasiale Weg. Das ist schade und entspricht einem verzerrten Bild der Realität. Der Fachkräftemangel beweist, dass Menschen mit praktischen Berufen enorm gesucht sind und auch künftig sein werden. Die Eltern sind nach wie vor die wichtigsten Einflussfaktoren für die Jugendlichen in der Berufswahl. 

Wo sehen Sie die Vorteile der Berufslehre?

Die Jugendlichen müssen schnell Verantwortung übernehmen und sich in ein Team und Arbeitsprozesse integrieren. Das fördert die persönliche Entwicklung. Ich denke, man kann bei vielen jungen Menschen merken, ob sie eine Berufslehre absolviert oder den gymnasialen Weg eingeschlagen haben. 

Welche Lehrstellen sind momentan besonders begehrt?

Zum Beispiel Zeichner Fachrichtung Architektur oder Informatikberufe. Aber auch nach wie vor die kaufmännische Ausbildung. Letztere dient oft als Grundbildung oder als Sprungbrett, um später andere Berufe zu erlernen oder zu studieren. 

Christian Lüber ist Jobcoach bei der Berufsbildneria

Christian Lüber ist Jobcoach bei der Berufsbildneria.

ZVG

Die Berufsbildneria

In der Berufsbildneria in Zürich unterstützen und begleiten Jobcoaches Jugendliche auf dem Weg zur Lehrstelle. Gemeinsam wird eruiert, welche Berufe zu den Interessen, Fähigkeiten und Möglichkeiten der Jugendlichen passen. Weiter bieten die Jobcoaches Unterstützung beim Erstellen des Bewerbungsdossiers und bereiten die Jugendlichen aufs Bewerbungsgespräch vor.

Auch nach dem Unterzeichnen des Lehrvertrags steht die Berufsbildneria Jugendlichen zur Seite. Dies etwa, um sie beim Start in die Arbeitswelt und während der Lehre zu begleiten. Bei Jugendlichen mit psychischen Herausforderungen wie beispielsweise einer ADHS-Diagnose oder einer Autismusspektrumstörung können die Jobcoaches eine Vermittlerrolle zwischen Lernenden, Berufsbildnern und der Schule übernehmen – dies stets in Absprache mit den Jugendlichen.


 

Was empfehlen Sie Jugendlichen, die ständig Absagen erhalten?

Zuerst nehme ich mit ihnen das Bewerbungsdossier unter die Lupe. Womöglich kommt es zu den Absagen, weil es ihnen nicht gelingt, sich genügend von der Masse abzuheben. Besonders bei Trendberufen muss man hervorstechen. 

Wie gelingt das?

Mit Individualität und dem Mut, Konventionen zu brechen. Bewerben sich die Jugendlichen genau so, wie sie das in der Schule gelernt haben, gehen sie im Einheitsbrei unter. Dann können sie höchstens mit Glanznoten punkten. Ausserdem werden heute kaum mehr Bewerbungsdossiers per Post versandt. Je nach Branche kann man sich deshalb überlegen, welches Medium für die Bewerbung das Passende ist.

Zum Beispiel?

Wer sich für eine Lehrstelle in der IT-Branche bewirbt, kann dies zum Beispiel mit einer selbst aufgesetzten Website tun. Auch Bewerbungsvideos kommen gut an. Manchmal reicht auch ein PDF. Je nach Job könnte man aber wiederum mit einer von Hand kreierten Bewerbung hervorstechen. Wichtig ist, seine Persönlichkeit zu zeigen. Ausserdem sollte das Motivationsschreiben auf keinen Fall nur mit künstlicher Intelligenz geschrieben werden. Das fällt genauso auf, wie von den Eltern verfasste Schreiben. Viele Firmen verzichten mittlerweile aus diesen Gründen auf ein Motivationsschreiben.

Auf welche weiteren Stolpersteine sollte man achten?

Oft geben die Jugendlichen zu schnell auf. Steht in der Ausschreibung für die Lehrstelle etwa, dass Schülerinnen und Schüler der Sek A gesucht werden, denken viele gute Schülerinnen und Schüler der Sek B, sie dürfen sich nicht bewerben. Oder es lohne sich sowieso nicht. Besser wäre es, sich telefonisch beim Betrieb zu erkundigen, ob man seine Unterlagen dennoch einreichen darf. Doch da wären wir schon beim zweiten Stolperstein.

Der wäre?

Viele Jugendliche sind sich nicht mehr gewohnt, zu telefonieren. Sie nutzen zwar ihr Smartphone für Social Media und versenden Sprachnachrichten, vor einem direkten Gespräch haben sie aber Hemmungen. In der Arbeitswelt kommt es jedoch gut an, wenn man sich telefonisch meldet. Deshalb trainieren wir das mit unseren jungen Kundinnen und Kunden. Zum Beispiel weisen wir sie darauf hin, dass sie den Namen des Gesprächspartners notieren und ihn mit Namen verabschieden sollen.

Wie wichtig ist die richtige Kleidung beim Bewerbungsgespräch?

In den letzten Jahren hat sie in vielen Branchen an Wichtigkeit verloren. Dies auch, weil der gesellschaftliche Wandel in den Arbeitsmarkt reinspielt und Äusserlichkeiten sich auch in der Berufswelt dem Zeitgeist anpassen. Ausserdem habe ich den Eindruck, den meisten Jugendlichen ist bewusst, dass sie gepflegt erscheinen sollten.

Was gilt es im Gespräch selbst zu beachten?

Wir erklären den Jugendlichen stets, dass die Person vis-à-vis sich aufgrund des von ihnen abgegebenen Dossiers vorbereitet. Das heisst, sie leitet ihre Fragen aus der Bewerbung ab. Somit können sich die Jugendlichen auch auf allfällige Fragen vorbereiten. Beispielsweise könnte der zukünftige Vorgesetzte oder die zukünftige Vorgesetzte Fragen zu den Hobbys stellen. Das Vorstellungsgespräch dient nämlich nicht in erster Linie dazu, negative Punkte herauszufinden, sondern auch, ob und warum jemand ins Team passt. Grundsätzlich ist wichtig, dass sich die Jugendlichen so authentisch wie möglich präsentieren.

Warum ist das besonders wichtig?

Weil es zwischen Berufsbildnern und Lernenden auch zwischenmenschlich passen sollte. Manchmal ist es sogar gut, wenn jemand eine Absage erhält. Dann hat es einfach nicht gepasst und das würde sich wohl im Laufe der Lehre auch nicht ändern. 

Von fei am 29. August 2024 - 18:00 Uhr