Philipp Ramming, wie schützen Eltern ihre Kinder vor Fremden, die sie ins Auto locken und entführen wollen?
Wenn ich ehrlich bin, diesen Schutz gibt es nicht. Eigentlich ist es die gleiche Situation wie im Verkehr. Man kann den Kindern beibringen, wie sie sich verhalten sollen und trotzdem kann etwas passieren. Es gibt einfach keine Garantie. Aber das heisst nicht, dass man nichts machen kann.
Was kann man denn konkret tun?
Kinder müssen wissen, dass sie nichts von Fremden annehmen und nicht in fremde Autos steigen dürfen. Unter keinen Umständen. Dies gehört zur Sicherheitserziehung. Man muss ihnen dies so gut wie möglich erklären. Wenn sie tatsächlich mal angesprochen werden, müssen sie wissen, dass sie sofort wegrennen sollen.
Wie spricht man mit Kindern über dieses Thema, ohne sie zu verängstigen?
Über eine Gefahr kann man nicht sprechen, ohne dass Angst ein Teil des Gesprächs ist. Man sollte aber nicht in überemotionaler Stimmung darüber reden und so die eigene Angst weitergeben. Mit dieser müssen die Eltern nämlich selbst umgehen lernen. Stattdessen sollen sie so unaufgeregt wie möglich sagen ‹Hey pass auf, geh nie mit Fremden mit, nimm keine Geschenke an.›
Und wie können die Erwachsenen ihre Angst in den Griff bekommen?
Wer sich zu viele Sorgen macht, hat ein persönliches Problem. Denn Angst lähmt. Es geht darum, herauszufinden, wie man wieder handlungsfähig werden kann. Sich sozial vernetzen hilft, die Nachbarschaft gut kennen ebenfalls. Pädophile haben ganz klare Zielgrössen und sie suchen oftmals eher einsame Kinder. Je vernetzter Eltern also sind, je besser sie zum Kind schauen können, desto kleiner ist die Gefahr.
Ab welchem Alter soll man mit Kindern darüber sprechen?
Das richtige Alter gibt es nicht, da diese Kriminelle jedes Alter nehmen. Spätestens, wenn das Kind sich selbstständig in seiner Umgebung bewegen kann, sollten Eltern aber mit ihnen sprechen.
Was brauchen Kinder nebst der klaren Anweisung der Eltern noch, um solche Situationen richtig zu meistern?
Sie müssen lernen, Nein zu sagen. Das ist nicht einfach, aber äusserst wichtig für die kindliche Entwicklung. Und Eltern müssen damit rechnen, dass auch sie dieses Nein um die Ohren gehauen bekommen. Das als Mutter oder Vater zu akzeptieren, braucht Übung. Und dann ist es sehr wichtig, dass Kinder von mehreren Personen in verschiedenen Settings auf diese Situationen aufmerksam gemacht werden. Von Eltern, aber zum Beispiel auch von Lehrpersonen, Kursleitern oder Verwandten.
Sollen Kinder den Weg in den Kindergarten oder in die Schule alleine gehen?
Auf jeden Fall, das ist wichtig für die Entwicklung und die Selbstständigkeit. Am besten laufen sie aber in Gruppen mit anderen Kindern.
Viele Eltern machen mit ihren Kindern Codewörter ab, welche ein potenzieller Entführer nicht kennen kann. Was halten Sie davon?
Das Ziel ist, dass die Kinder gar nicht erst von Fremden in ein Gespräch verwickelt werden. Passwörter können da kontraproduktiv sein, weil sie bereits eine Gesprächsgrundlage bilden.
Empfehlen Sie Eltern moderne Technik wie Tracking-Apps, GPS-Armbänder und Ähnliches?
Das beruhigt zwar die Eltern, hilft aber den Kindern nicht. Kinder müssen anarchistisch und chaotisch sein, einem Gefahrenbereich entlangschrammen können. Diese Tools sind die totale Überwachung und sie verhindern das Erwachsenwerden der Erwachsenen und der Kinder.
Philipp Ramming ist Fachpsychologe für Kinder- und Jugendpsychologie und Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychologie SKJP. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne.
Das sagt die Polizei
Marco Cortesi, Medienchef der Zürcher Stadtpolizei, empfiehlt Eltern, die Wege, welche ihr Kind regelmässig zurücklegt, mehrmals gemeinsam abzulaufen und «sichere Häfen» zu bestimmen. Dies könne eine Bäckerei, ein Laden oder Ähnliches sein. «Wenn ein Fremder ein Kind anspricht und ins Auto locken will, weiss es, wo es hinrennen kann, um sich in Sicherheit zu bringen», sagt Cortesi am Telefon.
Wenn Eltern von solchen Situationen erfahren, sollen sie gleich die Polizei verständigen. «Bitte werden Sie nicht selbst aktiv. Die Polizei hat mehr Mittel zur Verfügung, nach Verdächtigen zu suchen», rät er.
Als Präventionsmassnahme besuchen Polizistinnen und Polizisten regelmässig Kindergärten und Schulen, besprechen die Gefahren mit Schülern, Lehrpersonen und Eltern.
Jenen, die sich noch weiter informieren möchten, empfiehlt Marco Cortesi zwei Broschüren zum Thema: