Herr Roos, Sie haben zwei Kinder, die bald das Nest verlassen. Worauf hoffen Sie für deren Zukunft?
Ich hoffe für meine Kinder, dass sie ihren Platz in diesem Leben finden werden. Dass sie ihre Begeisterungsfähigkeit und Neugierde behalten. Ebenfalls wünsche ich mir, dass sich der Trend zu einer friedlicheren, gewaltfreieren Welt fortsetzen wird. Und ich hoffe, dass die persönliche Freiheit meiner Kinder nicht im Zuge neuer Überwachungsmöglichkeiten eingeschränkt wird, wie sich das beispielsweise heute schon in China abzeichnet.
Was passiert dort?
Mittels neuer Social-Credit-Systeme wird künftig eine lückenlose Überwachung und Bewertung der Bürger möglich. Daraus resultiert ein Bonus-Malus-System. Wer sich nicht korrekt verhält, verliert Punkte und damit Privilegien. Zum Beispiel die Berechtigung auf gute Tickets im Schnellverkehr.
Ein beängstigendes Szenario. Wie hält man das als Zukunftsforscher aus?
Als Wissenschaftler lasse ich mich nicht von Ängsten und Hoffnungen leiten. Es ist keine Hellseherei, sondern ich versuche, die Entwicklungen und Megatrends sowie deren Auswirkungen zu analysieren, damit man die Weichen stellen kann. Mein Job ist es, dazu beizutragen, dass heute Entscheide für die Zukunft richtig gefällt werden.
Welche Entscheide halten Sie in Bezug auf die Digitalisierung für richtig?
Man muss ein wachsames Auge auf Datenschutz und Persönlichkeitsrechte halten. So dass man von der Digitalisierung profitieren kann, ohne an persönlicher Freiheit einzubüssen.
Wie stellen Sie sich das Leben unserer Enkel vor?
Sie werden in sogenannten Bohnenstangenfamilien aufwachsen. Kinder werden in Zukunft ein noch rareres Gut sein, als sie es heute schon sind. Während die Überalterung noch stärker zunehmen wird. Das bedeutet, Kinder werden in den kommenden Generationen mit mehr erwachsenen Bezugspersonen aufwachsen. Das ist einerseits schön, denn das Umfeld wird von Liebe, Zeit und Hingabe geprägt sein…
… andererseits gibt es einen Nachteil.
Der Nachteil ist: die Kinder werden überbehütet und verwöhnt. Das kann dazu führen, dass die Frustrationstoleranz weiter abnimmt. Es werden neben Eltern und Grosseltern auch immer mehr Urgrosseltern da sein, die jede kleinste Bewegung rühmen. Vielen Kindern wird die Möglichkeit fehlen, den Umgang mit negativen Gefühlen oder Druck zu lernen.
Auch der Arbeitsmarkt der Zukunft stellt eine Herausforderung dar. Wie werden unsere Kinder und Enkel ihr Geld verdienen?
Ich bin da eher auf der zuversichtlichen Seite. Wir werden natürlich erleben, dass Maschinen den Menschen viele Jobs abnehmen. Das kann man jedoch auch als Vision wahrnehmen: Das Eintönige einer Arbeit übernimmt die Maschine. Ich glaube, es wird auch für künftige Generationen genügend Arbeit geben. Jedoch werden es vielleicht Jobs sein, die wir uns noch gar nicht vorstellen können. Die Qualifikationsanforderungen werden sich verändern. Wir kommen weg von Routinetätigkeiten. Auf dem Arbeitsmarkt werden vermehrt soziale Kompetenzen, Kreativität und Kontextdenken gefragt sein.
Wie können wir unseren Kindern helfen, diese Kompetenzen zu entwickeln?
Das Wichtigste überhaupt ist: Kinder sollten ihre Neugierde nicht verlieren. So dass sie sich auch in einer sich permanent verändernden Welt zurechtfinden. Sie werden nicht mehr einen Beruf lernen, den sie dann vierzig Jahre lang ausüben. Sie werden sich weiter- und umbilden müssen. Einen zweiten oder dritten Beruf erlernen. Wir können ihnen die Lust auf Veränderung und den positiven Umgang damit beibringen.
Ist es nicht eher eine Charakterfrage, wie offen man mit Veränderungen umgehen kann?
Das sehe ich nicht so. Die amerikanische Psychologin Carol Dweck der Standford University sagt, dass man dieses Mindset bei Kindern aktiv fördern kann.
Wie geht das?
Zum Beispiel durch richtiges Loben. Die Psychologin sagt, es sei wichtiger, bei Kindern den Weg zu loben als das Ziel. Das heisst, Eltern sollten auf die Zugangsweise und Lösungsansätze eines Kindes reagieren, auf seinen Fortschritt und den Prozess, den es durchmacht. Viel mehr als auf das eigentliche Resultat.
Welcher Aspekt der Zukunft wird am meisten unterschätzt?
Ich sehe einen wichtigen Punkt im Kontext von Gesundheit und Medizin. In zwanzig bis dreissig Jahren werden wir in den Bereichen Biotech und Gentechnik sehr viel machen können. Jetzt noch unheilbare Krankheiten werden heilbar sein, Erbkrankheiten wird man eliminieren. Das tönt super, hat aber eine Kehrseite. Stichwort Designbaby. Vielleicht wird es in Zukunft möglich sein, dass Eltern sich aus einem Katalog ein Kind mit gewünschten Eigenschaften zusammenstellen. Damit leiten wir eine Biotransformation ein. Ein Upgrade für die Biologie, dessen Auswirkungen wir nicht abschätzen können.
Die heutige Normalo-Familie hat zwei Kinder, ein Haustier, zwei Autos und ein Einfamilienhaus. Wie sieht das in zwei Generationen aus?
Viele Kinder werden noch ihre Urgrosseltern kennen. Und durch die Zunahme von Patchwork-Familien werden auch viele mit sechs oder acht Grosseltern aufwachsen. Die Geburtenrate bleibt wohl gleich, aber die Lebenserwartung steigt. Den Hund werden wohl auch unsere Enkel haben, Auto und Einfamilienhaus eher nicht. Ich gehe davon aus, dass es gerade im urbanen Raum Mobilitätsdienstleister geben wird, die jeweils das geeignetste Transportmittel zur Verfügung stellen. Und dass neue Wohnformen zunehmen werden, etwa Wohnparks mit einer Kombi aus Privat- und Gemeinschaftsräumen - Werkstätten, Grossküchen und Fitnessbereiche - die alle nutzen können.
Was können Eltern heute tun, um das Morgen der Kinder zu verbessern?
Wichtig finde ich, dass wir nicht alle Probleme von morgen jetzt schon lösen müssen. Unsere Kinder werden auch intelligent, kreativ und anpassungsfähig sein. Und ihnen werden in Zukunft Instrumente zur Verfügung stehen, die wir uns jetzt noch gar nicht vorstellen können.