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  4. Frau ohne Kinderwunsch: Schluss mit den Vorurteilen
Entscheidung gegen Nachwuchs

«Frauen ohne Kinder wollen kein Zweitklasse-Leben führen»

Frauen, die sagen, dass sie ohne Kinder erfüllt und glücklich sind, haben es in unserer Gesellschaft nicht leicht. Man unterstellt ihnen Egoismus, Verständnis für ihren Lebensentwurf sucht man oft vergebens. Wir haben mit Autorin Regula Simon über diese Vorurteile gesprochen.

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kinderfreie frau

Die Gesellschaft muss akzeptieren, dass Frauen auch ohne Kinder glücklich sein können (Symbolbild).

Getty Images

Eine Frau ohne Kind – da kann doch was nicht stimmen. Immerhin sind Frauen fürs Austragen neuer Erdenbürger zuständig, der Fortbestand der Zivilisation lastet auf ihren Schultern. Spätestens mit dreissig muss doch die innere Uhr zu ticken beginnen, so will es die Natur.

Was aber, wenn sich im Uterus nichts regt, und Frau diesen tiefen Wunsch nach einem eigenen Kind auch dann nicht verspürt, wenn ihr biologischer Vorrat an befruchtungsfähigen Eizellen immer mehr dahinschwindet?

Die Baby-Entscheidung fiel mit 40 Jahren

«Sobald eine Frau ab 40 sagt, dass sie keine Kinder hat, wird sie entweder bemitleidet oder für komisch befunden», sagt Regula Simon, Autorin des Buchs «Kinderlos bleiben? Auch OK». Sie selbst wollte nie um jeden Preis Mutter werden, vor allem wollte sie es nicht alleine tun. Durch ihre Erfahrung als Primarlehrerin wusste sie nämlich, wie hart das Elternleben sein kann.

Mit 40 Jahren sei ihr klar geworden, dass sie wohl keine Kinder haben wird. Zuvor, in ihren Dreissigern, als andere an der Familienplanung arbeiteten, war Simon im Ausland, hat unter anderem zwei Atlantiküberquerungen gemacht und im Segeltourismus gearbeitet. «Ich habe mich ganz azyklisch verhalten, mich nicht mit dem Kinderthema beschäftigt», erinnert sie sich. Als sie ihren jetzigen Partner kennenlernte und dieser ihr sagte, dass er keinen Nachwuchs möchte, sei auch für sie die Entscheidung definitiv gefallen.

Austausch mit Gleichgesinnten

In ihrem Umfeld sah sie, wie Freundeskreise schrumpfen können, wenn Frauen Mütter werden. Sie selbst habe auch um die eine oder andere Freundschaft getrauert, nachdem ein Baby zur Welt gekommen war. Frauen ohne Kind, so merkte sie, haben ein grosses Bedürfnis, sich zu vernetzen. Durch die Recherche für ihr erstes Buch kam ihr die Idee, eine Website zum Thema zu erstellen. Dies setzte sie 2014 um – «www.kinderfreilos.ch» war geboren. «Es war die erste Webseite, die sich damals im deutschsprachigen Raum mit dem Thema beschäftigte», erinnert sich Regula Simon.

Ihr Online-Baby wurde über die Jahre zu einem Ort, an dem sich Frauen austauschen können, ohne sich anhören zu müssen, dass sie ihre Entscheidung gegen Nachwuchs irgendwann bereuen werden. 

«Es geht auch darum, frei zu werden von diesem Gefühl, dass im Leben etwas fehlt»

Regula Simon, Autorin

Als Coach begleitet Regula Simon aber nicht nur freiwillig Kinderlose, sondern auch Frauen, die unfassbar gerne Mütter wären. Viele von ihnen haben jahrelang versucht, durch künstliche Befruchtung schwanger zu werden – ohne Erfolg. «In unseren Zusammentreffen merke ich immer wieder, dass es diesen Frauen auch darum geht, frei zu werden von dem Gefühl, dass in ihrem Leben etwas fehlt. Sie müssen lernen, glücklich sein zu dürfen, vollständig zu sein, auch ohne Söhne und Töchter.»

Durch den Austausch zwischen diesen beiden Gruppen würden die Frauen, denen der Kinderwunsch unfreiwillig verwehrt geblieben ist, merken, dass ein Dasein ohne Babys auch schön und erfüllend sein kann.

Zur Person

Regula Simon
ZVG

Regula Simon, 52, ist Autorin, systemischer Coach und Beraterin. Alles zu ihrem Engagement für freiwillig und unfreiwillig Kinderlose erfahrt ihr auf www.kinderfreilos.ch oder in der Facebook-Gruppe «OK-Frauen (kinderlose Frauen) sind OK»

Zu sehen ist sie auch in der SRF-Sendung «Machen Kinder glücklich?» mit Moderatorin Mona Vetsch.

Kinderwunsch als Heiligtum

«Ein Leben ohne Kinder kann auf jeden Fall sinnstiftend sein», stellt Regula Simon klar.  «Doch wie sollen Frauen denn auf ihr Gefühl hören und herausfinden, ob sie wirklich Kinder möchten, wenn von allen Seiten auf sie einprasselt, wie erstrebenswert das Familienleben doch ist?»

Zudem bemerke sie eine innere Hürde, ohne Kinder glücklich zu sein. «Es fühlt sich fast wie ein Verrat am Kinderwunsch und den nicht geborenen Kindern an.» Denn der Kinderwunsch sei wie etwas Heiliges, kaum ein anderer Wunsch sei gesellschaftlich so akzeptiert. Sein Gegenteil hingegen kaum.

«Kinderfrei» oder «kinderlos»?

Die Begriffe «kinderfrei» und «kinderlos» benutzt Regula Simon zwar auch, ganz glücklich ist sie mit ihnen aber nicht. «‹Kinderfrei› hört sich so ausschliessend an gegenüber Kindern, ‹kinderlos› hingegen bezeichnet ein Manko. Beides finde ich nicht treffend», sagt sie. Sie geht deshalb einen Schritt weiter und braucht ein Wort, das neutraler ist: «Ich nenne uns ‹OK-Frauen› – also ‹Ohne-Kind-Frauen›», erklärt sie. Aber auch «OK-Männer» sind willkommen – und haben auf Simons Webseite gar eine eigene Kategorie.

Im Gespräch betont die 52-Jährige, dass es ihr keineswegs darum geht, zu werten. «Verstehen Sie mich nicht falsch, ich mag jedem das Kinderglück von Herzen gönnen, erwarte aber genauso Entscheidungsfreiheit für mein eigenes Leben. Frauen ohne Kinder wollen nicht mehr als Zweitklasse-Menschen abgestempelt werden und ein Zweitklasse-Leben führen.»

«Es braucht Filme und Bücher mit Happy End, in denen Frauen und Männer ohne Kinder glücklich sind»

Regula Simon, Autorin

Wohin man auch schaue, werde das Elternsein propagiert. Wer keine Kinder habe, werde als ethisch minderwertig angesehen. Deshalb sei es wichtig, dass die Realität der Kinderfreien im öffentlichen Leben stärker vertreten wird. «Es bräuchte Filme und Bücher mit Happy End, in denen Frauen und Männer ohne Kinder glücklich sind», sagt sie.

Eine andere Möglichkeit wäre, Menschen ohne Kinder vermehrt in den Alltag von Familien zu integrieren. «Sie können eine Entlastung für die Eltern sein und den Kindern andere Realitäten aufzeigen abseits von Vater, Mutter, Kind», schlägt sie vor.

Ein realistischer Blick aufs Mutterglück

Regula Simon hat dank einer Biologin, mit der sie gut befreundet ist, einen realistischen Blick aufs Mutterglück bekommen. «Nach der Geburt ihres Kindes verriet die Freundin mir: ‹Wow, ich merke, wie die Hormone verrückt spielen und der Körper mir ein bisschen vorgaukelt, das grösste Glück zu empfinden›», erinnert sich Simon. 

Diesen Hormoncocktail würden halt nicht alle Frauen erleben. Es gebe aber so vieles, das man im Leben verpasse. Für Regula Simon ist Kinder haben einfach eines dieser Dinge. «Ich darf dafür andere sehr glückliche Momente erleben», sagt sie.

Von Edita Dizdar am 31. Oktober 2020 - 07:09 Uhr