Die Psychologin und Psychotherapeutin Csilla Kenessey Landös vom Institut für integrative Psychologie und Pädagogik Schweiz hat in ihren Beratungen oft mit Eltern zu tun, welche durch Konflikte mit ihren Kindern an ihre nervlichen Grenzen stossen. Dabei ist ihr aufgefallen, dass sie einige Konzepte immer und immer wiederholt. Gleichzeitig bekam sie «Das 6-Minuten-Tagebuch» geschenkt und merkte, «wie hochpotent das ist». Und so ist die Idee für ihr Buch entstanden: Das Elterntagebuch «Gelassen erziehen – in 16 Schritten zu einer entspannten Elternrolle». Es enthält 16 wichtige Themen rund um den Familienalltag, für jede Woche eines, leicht verständlich ergänzt mit ihrem Fachwissen und den Erfahrungen aus ihren Elternberatungen.
«In meinem Buch steht nicht, was ich machen soll, wenn das Kind nicht ins Bett will, denn solche Situationen sehen im Alltag in jeder Familie unfassbar anders aus», sagt Csilla Kenessey Landös. «Es lädt ein, das Kind als Wesen im Ganzen zu erfassen, dann reagiere ich in Alltagssituationen anders.»
Uns verrät die Fachfrau aber schon mal fünf einfach umsetzbare Tricks – und zum Schluss ein paar beruhigende Tatsachen und Gedankenanstösse für Eltern, die gerade das Gefühl haben, sie machen alles falsch – und sich fragen: «Kommt das noch gut?»
Fünf Tipps für mehr Gelassenheit im Familienalltag
- Einen Moment innehalten
«Heisst für jenen Elternteil, der von der Arbeit heimkehrt: Kommt zuerst bei euch selbst an, macht dafür ein paar Schritte an der frischen Luft oder bleibt einen Moment im Auto sitzen, bevor ihr die Haustüre öffnet – und vielleicht als erstes über Schuhe stolpert und euch über die Jacken ärgert, welche die Kinder wieder nicht aufgehängt haben. Oder textet dem daheim gebliebenen Elternteil, falls ihr unausgeglichen heimkehrt: ‹Ich bin müde, falls ich gleich los wettere, hat es nichts mit dir zu tun.› Umgekehrt kann vielleicht der daheim gebliebene Elternteil der oder dem Heimkehrenden eine kurze Sprachnachricht schicken und mitteilen, was daheim abgelaufen ist. Damit es nicht als erstes Krach gibt wegen Dingen, die das Kind vielleicht bei einem Elternteil darf, beim anderen aber nicht.»
- Sich die Arbeit teilen
«Es gibt nichts Schlimmeres für Kinder als erschöpfte Eltern. Wenn Mama oder Papa also merkt, sie oder er ist müde in der Rolle als Erzieherin oder Erzieher: Gebt einen Teil des Abendrituals ab an jenen Elternteil, der heimkommt. Oder teilt es gleich auf: Mama bringt die Kinder an den Tagen mit geradem Datum ins Bett, Papa an den ungeraden. Damit die Eltern in ihrer Rolle als Eltern nicht ausbrennen.»
- Dem Kind altersgerecht Verantwortung übergeben
«Das Kind will die Zähne nicht putzen, hat das Zimmer nicht aufgeräumt, die Hausaufgaben schon wieder nicht erledigt? Vielleicht passt euer Plan nicht mit seinem biologischen Rhythmus überein. Nehmen wir das Beispiel Hausaufgaben: Wenn ein Kind nach acht oder neun Stunden heimkommt, sollte es zuerst mal eine Stunde herumspringen können. Fragt es, zu welcher Zeit es die Aufgaben am liebsten erledigen möchte. Abends um neun? Dann lasst es dies eine Woche lang ausprobieren, ohne es zu kommentieren. Am Montag klappt es vielleicht mit dem Zeitplan, am Dienstag nicht, am Mittwoch muss es ohne Hausaufgaben in die Schule. Nach einer Woche analysiert ihr es gemeinsam und legt bei Bedarf gemeinsam eine besser geeignete Zeit fest, vielleicht kurz vor oder nach dem Abendessen. Jesper Juul sagt, ab sieben Jahren müsse man Kinder nicht mehr erziehen. Man kann ihnen dann altersgerecht Verantwortung übergeben. Eltern haben viel zu viel Angst, ihr Kind könnte in der Schule nicht funktionieren.»
- Zeitmanagement visualisieren und formalisieren
«Wenn das Kind eine Aufgabe machen muss, können wir ihm eine Zeit vorgeben, innerhalb der es selber wählen kann, wann genau es sie erledigen möchte. Das gelingt zum Beispiel gut mit der Gratis-App Time Timer, auf der die ablaufende Zeit zu sehen ist. So weiss es zum Beispiel: Wenn ich in einer halben Stunde das Pijama angezogen habe, bleibt noch Zeit für eine Gutenachtgeschichte. Wir können es zwischendurch daran erinnern, wie viel Zeit noch bleibt, aber die Aufgabe muss es selbständig erledigen. So lernt es, dass sein Verhalten Einfluss hat, und dass es eine Konsequenz hat, wenn es sich nicht an eine Abmachung hält.»
- Jedem Kind täglich für eine bestimmt Zeit die volle Aufmerksamkeit geben
«Wir sollten uns täglich eine Viertelstunde ganz dem Flow des Kindes hingeben, dann muss das Handy weg und alles andere auch, wir steigen voll ins kindliche Erleben ein. Und zeigen ihm damit: ‹Ich verstehe dich, ich bin bereit in deine Schuhe zu steigen.› Der Perspektivenwechsel ist eine Säule der Empathie. Wichtig dabei ist, die Gefühle zu benennen, die es gibt; etwa wenn es beim Velo fahren hinfällt: ‹Jetzt bist du erschrocken, gell.› Dann das Kind aber gleich wieder aufs Velo setzen, damit es Velofahren nicht als etwas Gefährliches abspeichert.»
Beruhigende Tatsachen rund ums Elternsein
- «Entwicklung findet statt», sagt Csilla Kenessey Landös. Es ist also alles nur eine Phase, manche Herausforderungen lösen sich mit der Zeit von selbst.
- Sie betont das Positive an Konflikten: «Konflikte sind wertvoll, sie bringen Klärung, wer wo steht.»
- «Ein Kind will nicht nur gesehen und gehört werden, es will sich gefühlt fühlen.»
- «Kinder funktionieren auf der Gefühlsebene. Sie spüren uns, bevor wir uns selbst spüren.»
- «Eltern müssen nicht perfekt sein, das macht uns authentisch», sagt Csilla Kenessey Landös. «Wenn unsere Zündschnur mal kurz ist, sprechen wir das im Idealfall gleich an, zum Beispiel: ‹Ich brauche jetzt ein Bad›.»
- «Wir als Erwachsene müssen bereit sein, uns in Kinderschuhe zu versetzen.»
- «Das grösste Geschenk, das Eltern ihren Kindern machen können, ist glücklich zu sein.»
- «Ich mag das Bild von Eltern als Boje im Meer des Lebens ihres Kindes.» Wir auch.