In der Schweiz leben 13% der liierten Personen zwischen 25 und 80 Jahren in getrennten Wohnungen. Sie leben also in einer sogenannten LAT-Beziehung. LAT steht für «Living apart Together» (Deutsch: «Gemeinsam getrennt leben»). Man spricht das übrigens nicht in Einzelbuchstaben aus, sondern sagt «lat» wie ein «Latte Macchiato».
Die meisten Paare in LAT-Beziehungen, sind jung. Bei den 25- bis 34-Jährigen haben nur drei von vier Paaren einen gemeinsamen Haushalt. Die Gründe dafür scheinen offensichtlich: Viele dieser jungen Paare wollen sich noch nicht endgültig binden oder befinden sich noch in der Vorstufe zum gemeinsamen Haushalt. Lässt man diese Gruppe einmal weg, wird’s spannend.
Mit zunehmendem Alter ist es weniger konform, auf gemeinsamen Wohnraum zu verzichten. In der Altersgruppe der 35- bis 64-Jährigen lebt nur noch jedes zehnte Paar bilokal. Ab 65 Jahren sind es noch knapp 7 Prozent aller Paare, die eine LAT-Beziehung führen. Erstaunlich ist, dass auch bei den Familien diese Beziehungsform statistisch in Erscheinung tritt. 2 Prozent der Paare mit gemeinsamen Kindern leben in getrennten Haushalten, wie das Bundesamt für Statistik im Bericht Familien und Generationen 2018 festhält. Da das Alter der gemeinsamen Kinder nicht erfasst wurde, lässt sich nicht feststellen, ob dies auch Paare mit Klein- und Schulkindern betrifft.
Fakt ist: Die meisten Paare entscheiden sich für einen gemeinsamen Haushalt und damit einen gemeinsamen Alltag. Die Gründe dafür sind entweder praktischer oder romantischer Natur – meist beides. Doch welche Gründe bewegen Paare dazu, auf Romantik und Zweckmässigkeit der gemeinsamen Wohnung zu verzichten? Und eignet sich das LAT-Beziehungsmodell für manche Menschen eher als für andere? Expertin Nelda Pfister von Trennpunkt.ch erklärt die Chancen und Risiken einer Beziehung auf Distanz.
Nelda Pfister, was bewegt Paare dazu, bilokal zu wohnen?
In erster Linie sind es Menschen, die im Leben sehr eigenständig sind. Personen, die beruflich selbständig agieren, wie beispielsweise Künstler oder Unternehmer, die ihren persönlichen Freiraum schätzen. Diese Menschen möchten vielleicht die ganze Nacht an ihren Projekten arbeiten, ohne sich über Dinge wie den Inhalt des Kühlschranks Gedanken machen zu müssen oder über die Haushaltsführung zu diskutieren. Zudem gibt es gerade unter den LAT-Paaren in fortgeschrittenem Alter zunehmend Menschen, die in vorherigen Beziehungen festgestellt haben, dass sie gewisse Kompromisse nicht mehr eingehen wollen.
Vor 50 Jahren waren LAT-Paare noch Exoten. Mittlerweile machen sie mehr als 10 Prozent aller Paare in der Schweiz aus. Ist das Modell zukunftsfähig?
Ja, ich könnte mir vorstellen, dass es Potenzial hat, auch wenn wir noch am Anfang stehen. Früher war es üblich, dass man heiratete, sobald man zusammenzog. Wäre man damals ohne Hochzeit zusammengezogen, hätte das Stirnrunzeln ausgelöst. Heutzutage zählen gesellschaftliche Normen weniger und die Individualität hat einen grösseren Platz. Den auszunutzen kann sehr reizvoll sein.
Eine Beziehung hat auch nicht mehr unbedingt denselben Stellenwert.
Heute ist die Scheidungsrate hoch, und manche Menschen, die sich in Patchwork-Situationen wiederfinden, möchten nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt leben. Auch jüngere Generationen, die die Erfahrungen ihrer Eltern miterlebt haben, könnten sich bewusst für ein anderes Modell entscheiden. Statistiken zeigen auch bei jüngeren Paaren Tendenzen in diese Richtung.
Eignet sich das LAT-Beziehungsmodell auch für Menschen, die eine Familie gründen möchten?
Bei den Elternpaaren ist die Zahl der LAT-Partnerschaften heute zwar mit Sicherheit grösser als vor 50 Jahren, aber dennoch sehr klein. Mit gutem Grund: Ich persönlich halte eine LAT-Beziehung für Paare mit gemeinsamen Kindern nur im Ausnahmefall für sinnvoll.
Aus welchen Gründen raten Sie Eltern von einer LAT-Beziehung eher ab?
Mit zwei Haushalten eine Familie zu gründen, kann für alle sehr belastend sein. Als Familie ein Zuhause und eine gemeinsame Anschrift zu haben, schafft Geborgenheit und Sicherheit. Ich glaube auch, dass es für die Entwicklung von Kindern wichtig ist, dass sie mit beiden Elternteilen in einem Haushalt aufwachsen dürfen – sofern die Eltern nicht getrennt sind. Das bietet den Kindern klare Strukturen. Und für die Eltern ist es natürlich auch wesentlich einfacher, insbesondere organisatorisch.
Gibt es Fälle, in denen Sie Eltern dennoch zu einer LAT-Partnerschaft raten würden?
Grundsätzlich müssen Eltern aufpassen, dass sie nicht ihre Probleme auf die Kinder abwälzen und diese dann vielleicht durch das Ausprobieren einer neuen Beziehungsform belasten. Aber es kann Fälle geben, in denen das getrennte Wohnen der Beziehung eine neue Richtung verleiht. Einfach wird dies allerdings nicht. LAT ist eine organisatorische und logistische Herausforderung – besonders für Paare mit Kindern. Es braucht klare Vereinbarungen und Zuständigkeiten, damit keine neuen Konfliktsituationen entstehen.
Welche Chancen bietet eine LAT-Beziehung?
Paare, die sich für eine LAT-Beziehung entscheiden, wissen Eigenständigkeit und individuelle Entfaltungsmöglichkeiten zu schätzen. Auch kann LAT für Harmonie sorgen: Viele Konflikte, die in zusammenlebenden Partnerschaften entstehen – etwa bezüglich Finanzen oder der Haushaltsführung – entfallen, wenn diese Bereiche klar getrennt sind. Jeder Partner kann seine eigenen Angelegenheiten regeln, ohne dass der andere sich einmischt. Man kann seinen Alltag so gestalten, wie man möchte, ohne Rücksicht nehmen zu müssen.
Dafür gehen Spontanität und Alltagsmomente verloren.
Ob einen das stört, ist eine Typsache. Menschen, die einen stark strukturierten Alltag bevorzugen, vermissen die Spontanität wahrscheinlich nicht. Das empfinden Menschen sehr individuell.
Aber geht nicht auch emotionale Tiefe verloren, wenn man als Partnerin oder Partner nur noch zu Gast kommt ins Leben des anderen?
Emotionale Tiefe ist wahrscheinlich in LAT-Beziehungen nicht im selben Ausmass möglich, das stimmt. Man erlebt sich anders, wenn man Rückzugsorte hat und den Alltag nur dann teilt, wenn man dies bewusst tun möchte. Aber das muss nicht nur negativ sein! Die Wertschätzung für das Gegenüber kann dadurch wachsen, dass gemeinsame Zeit keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Bei vielen Paaren steigert das getrennte Wohnen die Vorfreude aufeinander. Auch bleiben alltägliche Marotten im Hintergrund, die den Partner oder die Partnerin nerven könnten. Paare in LAT-Beziehungen werten die Qualität der gemeinsam verbrachten Zeit höher als die Quantität.
Wo liegen neben eventuell weniger emotionaler Tiefe und Spontanität die grössten Herausforderungen in LAT-Beziehungen?
Der Wille zur aktiven Pflege der Beziehung muss auf beiden Seiten vorhanden sein, sonst droht Paaren in einer LAT-Beziehung die Entfremdung. Auch kosten zwei Wohnungen mehr als seine. Ob man eine LAT-Beziehung eingeht, ist also auch eine Frage der Finanzen. Es ist eine Beziehungsform, die viel gegenseitiges Vertrauen erfordert – denn man kriegt nicht automatisch alles mit, was sich im Alltag des Partners oder der Partnerin abspielt. Und ein gesundes Mass an Offenheit erfordert das getrennte Wohnen für Paare ebenfalls. Denn man hat ja nicht mehr automatisch Einblick ins Leben des Gegenübers.
Für wen eignet sich dieses Beziehungsmodell nicht?
Eine LAT-Beziehung kann nicht funktionieren, wenn einer den anderen zu dieser Lebensweise zwingt. Beide Partner müssen das Modell wirklich wollen und hinter der Entscheidung stehen.
Welchen Gedanken geben Sie Paaren mit, die sich überlegen, eine LAT-Beziehung einzugehen?
Man darf die Realität nicht beschönigen. Wenn man zum Beispiel Vegetarier ist, wird man auf Dauer mit einem Metzger als Partner nicht glücklich. Ebenso verhält es sich, wenn einer von beiden bewusst eine Beziehung mit gemeinsamem Wohnen sucht, während der andere dies ablehnt. Solche grundsätzlichen Unterschiede führen früher oder später zu Problemen.
Kann eine LAT-Beziehung auch dazu dienen, eine Beziehung zu retten?
Das kann gelingen. Gewisse Probleme, die immer wieder auftauchen, lösen sich auch durch eine LAT-Beziehung nicht. Aber LAT kann eine Bereicherung sein, wenn Paare Rückzugsmöglichkeiten suchen oder individuelle Vorstellungen von Wohnen und Alltag haben. Wer sich auf eine bilokale Beziehung einlässt, kann interessante Lebensmodelle kombinieren, Stadt- und Landleben gleichermassen geniessen oder auch grenzübergreifend unterschiedliche Kulturkreise erleben.