Manche Politikerinnen und Politiker sind ja besonders gut darin, unangenehme Fragen möglichst ausschweifend zu beantworten, ohne dabei eine konkrete Aussage zu machen. Und weil niemand davor gefeit ist, benutzen wir regelmässig solche Floskeln im Alltag, gerade auch im Zusammenhang mit Kindern: «Das hab ich dir schon tausendmal gesagt!», «Das ist doch nicht so schlimm!», «Andere Kinder haben nichts zu essen, und du lässt deins einfach stehen!».
Oder der Klassiker schlechthin: «Du bist aber gross geworden!» Die deutsche Band «Deine Freunde» hat dieser Floskel gar einen Song gewidmet:
Manche dieser Sätze sind, bei genauer Betrachtung, etwas doof. Nicht weiter schlimm, aber halt auch nicht vielsagend. Sie werden beim Kind kaum etwas bewirken – ausser vielleicht dass es die Augen verdreht. Und es denselben Satz im passenden Moment auch mal gegen uns verwendet.
Aber gerade jetzt, da das Ende der grossen Ferien naht und viele Kinder ihrem ersten Schultag entgegen fiebern, höre ich wieder öfter jenen Satz, den «die Grossen» schon gesagt haben, als ich selber noch ein Kind war: «Jetzt beginnt dann der Ernst des Lebens».
«Mit der Schule beginnt der Ernst des Lebens.» Was für eine Aussage! Sie bedeutet etwa «jetzt ist fertig lustig, ab sofort ist das Leben kein Zuckerschlecken mehr» oder «ab jetzt erwartet dich ein harter Alltag, der dich vor allem vor Probleme stellt». Das kommt im Kontext der Einschulung etwas gar düster daher. Denn auch wenn mit zunehmendem Alter tatsächlich die eine oder andere Herausforderung ansteht, die es zu bewältigen gilt, steht doch gerade in diesem Alter noch das Unbeschwerte und Spielerische im Vordergrund.
Und auch was die Anforderungen betrifft, die der Übertritt in die Schule mit sich bringt, sind die angehenden Erstklässlerinnen und Erstklässler doch schon ganz gut vorbereitet. Sie sind sich schon von mindestens zwei Jahren Kindergarten (vielleicht auch noch von Kita und Spielgruppe) gewohnt, morgens beizeiten aufzustehen, in einer Gruppe zu funktionieren und den Anweisungen einer erwachsenen Person zu folgen. Auch das baldige Lernen können die meisten Kinder kaum erwarten, stolz werden sie ihre ersten «Ufzgi» im Thek, der fast so gross ist wie sie selbst, mit nach Hause tragen.
Zudem kann eine solche Aussage auch total verunsichernd sein. Falls ein Kind die Vorfreude eben nicht ungetrübt geniessen kann, sondern schüchtern ist und vielleicht etwas nervös, wenn es an den ersten Schultag denkt. Vielleicht auch, weil es an der neuen Schule noch niemanden kennt. Oder weil es einfach allgemein Mühe hat mit grossen Veränderungen.
Wenn dann der Opa oder die Nachbarin mit dem «Ernst des Lebens» drohen, wirkt sich das natürlich ganz anders aus, als wenn wir dem Kind erzählen, wie viel Spass es macht, wenn es seine Lieblingsgeschichte endlich selber lesen kann. Wenn es selber zählen kann, wie viel «Batzen» es sparen muss, bis es sich das gewünschte Lego-Set kaufen kann. Oder wie toll es ist, dem Götti endlich selber ein Brieflein schreiben zu können.
Ich bin froh, dass sich meine Tochter nicht verunsichern liess, als jemand im Zusammenhang mit der Schule vom «Ernst des Lebens» sprach. Sie meinte bloss: «Nein, mein Lehrer ist der Peter, nicht der Ernst.»