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  4. Hype um Hausgeburten täuscht: Hebammen-Chefin verrät Fakten über Hausgeburten und Spitalgeburten
Hebammen-Chefin im Interview

«Die rege Berichterstattung über Hausgeburten täuscht Hype vor»

Beim Thema Gebären gehen die Meinungen auseinander: Wir haben seit Jahren eine hohe Kaiserschnittrate von etwa einem Drittel. Demgegenüber stehen neuerdings Stars und Influencerinnen, die begeistert von ihren Hausgeburten berichten – und deren Verfechterinnen, die null Kritik daran zulassen. Andrea Weber-Käser, Geschäftsführerin des Schweizerischen Hebammenverbandes, ordnet ein.

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Mutter mit Neugeborenem im Bett

Es ist nicht egal, wie wir geboren werden: Eine Mutter bewundert ihr Neugeborenes.

Getty Images/Westend61

Wir haben nach etlichen Storys über Stars und Influencerinnen, die von ihren Hausgeburten erzählen, das Thema Hausgeburt in einem Interview mit einer Hebamme kritisch hinterfragt. Und erlebten daraufhin einen Shitstorm auf Facebook. Warum die grossen Emotionen?
Die Antworten lassen erahnen, dass die befragte Hebamme keine Hausgeburten in der Schweiz betreute und aus ihren Erlebnissen bei Auslandeinsätzen direkt auf das – aus ihrer Sicht – tiefe Sicherheitsniveau bei Hausgeburten in der Schweiz schloss. Ihr pauschalisiertes Abraten zu einer Hausgeburt war mehr ideologisch als evidenzbasiert geprägt. Verständlicherweise fühlen sich Hebammen, die Fachfrauen für Hausgeburten in der Schweiz sind, angegriffen. Ihre Arbeit wird falsch und undifferenziert dargestellt.

Was hat sich denn bezüglich Hausgeburten geändert?
So wie sich die Gesellschaft verändert, so ändert sich die Art der Geburtshilfe mit. Hebammen, die Hausgeburtshilfe anbieten, befolgen nationale und internationale Richtlinien. Sie betreuen die Frauen und Familien bereits in der Schwangerschaft, bauen eine professionelle Beziehung auf und führen eine klare Risikobeurteilung durch, ob eine Hausgeburt in Frage kommt oder nicht. Sie besuchen die Schwangere und ihren Partner oder ihre Partnerin bei ihnen zu Hause, inspizieren die Örtlichkeit, besprechen die Bedürfnisse des Paares zur Geburtsbetreuung und klären über die Grenzen der Hausgeburtshilfe auf. Die meisten Hausgeburtshebammen arbeiten mit den nahegelegenen Spitälern kollegial zusammen, kommen zu zweit zur Geburt und bilden sich regelmässig weiter.

«In der Schweiz kamen im Spitzenjahr 2021 von 89 644 Babys 1217 per Hausgeburt auf die Welt.»

Sind Hausgeburten tatsächlich im Trend, oder täuscht die intensive Berichterstattung von und über Prominente?
Ich verfolge diese Berichterstattung auch. Bei Prinzessin Kate war der Aufschrei riesig nach ihrer ambulanten Geburt: «Wurde sie aus dem Spital rausgeschmissen?», wurde ich damals von etlichen Journalistinnen und Journalisten gefragt. Auch die Hausgeburt von Meghan oder die angebliche Hausgeburt von Helene Fischer machten Schlagzeilen. Fakt ist: In der Schweiz ist die Zahl der Hausgeburten gemäss unserer Statistik leicht steigend, von 886 im Jahr 2019 zu 1217 im 2021. Aber angesichts von insgesamt 86 172 Geburten im Jahr 2019 und 89 644 im Spitzenjahr 2021 ist der Anteil sehr klein. Ich finde es mutig und schön, wenn jemand sein Geburtserlebnis teilen möchte. Und es interessiert viele. Doch die rege Online-Berichterstattung täuscht einen Hype vor.

In den Kommentaren zu unserem Interview heisst es, die Kritik sei Angstmacherei, und wir würden die Frauen verunsichern. Das könnte man allerdings umgekehrt genau so behaupten: Meine eigenen Geburten im Spital waren absolut wunderbar, und auch aus meinem Umfeld höre ich viel mehr positive als negative Erfahrungen. Wieso haben denn Spitalgeburten in gewissen Kreisen so einen schlechten Ruf? 
Unter den Voraussetzungen, die wir heute haben, bergen Spitalgeburten – je nach Auslastung des Gebärsaals – spezifische Risiken. Ich möchte betonen, dass es sich hier nicht um Todesfälle handelt. Aber es herrscht überall Fachkräftemangel, die Spitäler haben zu wenig Hebammen für zu viele Gebärende. Und das zieht Interventionen nach sich, welche in einem Setting, bei dem die Hebamme für jede Gebärende genügend Zeit hat, nicht nötig wären. Unnötige Einleitungen oder Medikamente zur Beschleunigung der Wehen sind nur zwei Beispiele. So können dann Geburtserlebnisse entstehen, welche sich die Frau nicht gewünscht hat, obwohl sich die Hebamme im Rahmen ihrer Möglichkeiten für eine optimale Betreuung eingesetzt hat.

Trotzdem kann man doch nicht behaupten, eine Geburt zu Hause sei sicherer als eine im Spital. Zumal man die Zahlen gar nicht vergleichen kann, weil ja ohnehin nur Frauen mit absolut problemlosem Schwangerschaftsverlauf mit einer Hebamme zu Hause gebären dürfen.
Wenn eine erfahrene Hausgeburtshebamme eine Frau während eines langen Betreuungszeitraums begleitet, allenfalls sogar im Team mit weiteren Kolleginnen, eine klare Risikoselektion vornimmt und gut vorbereitet ist, dann gilt eine ausserklinische Geburt als gleich sicher. Dies auch darum, weil sie ja gewisse Interventionen wie Einleitungen oder wehenunterstützende Medikamente nicht anwendet, wodurch Risiken vermieden werden können. Etliche Studien vor allem aus nordeuropäischen, aber auch angelsächsischen Ländern zeigen dies.

«Die Hebamme würde intervenieren, wenn sich eine Wohnung, zum Beispiel wegen einer allfälligen Verlegung, nicht für eine Hausgeburt eignen würde.»

Die Vorbereitung für eine Hausgeburt scheint zeitintensiv zu sein. 
Die Vorbereitungen nehmen sicher einige Zeit in Anspruch, können aber für die Eltern auch wohltuend sein, weil sie sich sehr intensiv auf die Geburt im eigenen Heim vorbereiten. Wenn die Hebamme zur Geburt gerufen wird, geht es nur noch ums Gebären, alles andere hat sie mit der Frau und ihrer Familie im Vorfeld geregelt. Anders als im Spital oder im Geburtshaus müssen sich die Eltern ihr Nest zu Hause selbst machen. Sie können dafür aber alles genau so gestalten, wie es ihnen wohl ist. Die Hebamme würde intervenieren, wenn sich der Ort, zum Beispiel wegen einer allfälligen Verlegung, nicht eignen würde. 

In welchen Situationen muss man eine Hausgeburt abbrechen?
«Worst case» ist natürlich, wenn die Herztöne des Babys nicht mehr gut sind, oder die Frau nach der Geburt mehr Blut als üblich verliert. Dann muss es schnell gehen. Aber die meisten Verlegungen finden in Ruhe statt, etwa wenn die Frau sich nach einer gewissen Zeit Schmerzmittel oder eine PDA wünscht oder weil der Geburtsverlauf stockt. Einige Hebammen, welche eine Hausgeburt planen, melden ihre Klientinnen dafür auch bei einem Spital vorab an. 

Andrea Weber-Käser, Geschäftsführerin Schweizerischer Hebammenverband

Andrea Weber-Käser, Geschäftsführerin Schweizerischer Hebammenverband.

ZVG

Was wünschen sie sich für die Gebärenden und die Geburtshelferinnen und -helfer in der Schweiz?
Uns fehlt eine Lobby. Wir brauchen mehr Personal, und zwar sowohl am Lebensanfang wie auch am Lebensende, sprich in der Langzeitpflege in Altersheimen. Denn es ist nicht egal, wie wir geboren werden und wie wir sterben. Die Reaktion auf den Fachkräftemangel dauert viel zu lange. Die Pandemie hat schonungslos offengelegt, wo die Schwierigkeiten schon vorher lagen. Aber es tut sich nicht nichts. Seit einiger Zeit wird viel über die hebammengeleitete Geburtshilfe im und auf dem Spitalgelände berichtet. Im Kanton Zürich wurde dieses Betreuungsmodell über den politischen Weg verankert, was sehr fortschrittlich ist. Viele Spitäler, respektive engagierte Teams von Spitalhebammen erarbeiten unterschiedliche Modelle, mit denen Hebammen ihre Kompetenzen auch im innerklinischen Setting voll ausschöpfen können, gerade auch bei der Begleitung von Frauen mit Risikoschwangerschaften. Gebärende mit einem risikolosen Schwangerschaftsverlauf sollen eigenverantwortlich von Hebammen betreut, Interventionen möglichst vermieden werden. Es gibt auch ein Konzept, bei dem Hausgeburtshebammen zusammen ein Geburtshaus auf dem Spitalgelände betreiben. Solche Modelle fördern die gesunde Geburt für Mutter und Kind und bieten gleichzeitig attraktive Arbeitsplätze für Hebammen.

Andrea Weber-Käser ist Geschäftsführerin des Schweizerischen Hebammenverbandes und war früher sowohl als Mitinhaberin einer Hebammenpraxis wie auch als Spitalhebamme tätig.

Von am 4. Juni 2023 - 18:00 Uhr