Ich hasse Halloween aus tiefstem Herzen. Und doch ist das meine Zeit. Denn die Nacht ist schon ziemlich lange auch mein Tag. Untot bin ich glücklicherweise noch nicht. Mich begleitet einfach ein Touch Zombie – seit inzwischen rund 96 Monaten. Die Nächte, in denen ich in den letzten knapp siebeneinhalb Jahren durchgeschlafen habe, kann ich natürlich nicht an einer Hand abzählen. Das wäre übertrieben. Doch meine Durchschlafrate auf die plus minus 2800 Nächte seit der Geburt von Kind 1 ist ziemlich mies.
Angeblich brauchen Neugeborene 12 bis 20 Stunden Schlaf, Einjährige noch 9 bis 14. Aber jetzt kommts: Schon mal vom Kurzschläfer gehört? Vermutlich nicht. Das betrifft angeblich rund 1 Prozent der Menschen. Und weil mein Kind absolut einzigartig und wunderbar ist, hat es laut Schlafprotokoll zu diesem fein sortierten einen Prozent gehört. Da kann es nix dafür. Auch nicht dafür, dass seine langweiligen Eltern zu den restlichen 99 Prozent der Menschheit zählen.
Ein Weg in 3 Phasen.
Phase 1 – Zombie
In Michael Jacksons Thriller-Video aus dem Jahr 1982 feierten die Untoten eine Tanz-Party. Immerhin hatten sie Spass beim Wachsein. Kombinieren wir nun gemeinsam vor unserem geistigen Auge den klassisch-klischierten Zombie-Look (sehr, sehr tiefe Augenringe) mit dem Wachsein ohne Party, dann nähern wir uns in etwa der Gefühlslage in Phase eins (Monat ca. 1 bis 13) an. Der kleine Mensch hatte Hunger. Sehr, sehr grossen Hunger. 6-8 Mal aufstehen in der Nacht und Nahrung reichen? Yay! Erstaunlich dabei: Man hält ziemlich lange durch. Die Nächte sind schlimm – aber frühmorgens das quietschfidele und wirklich sehr herzige Baby herzen und schon ist alles vergeben und vergessen. Man kann es den Stöpseln einfach nicht übel nehmen.
Überlebenstipps für Phase 1:
- Kaffee
- Mit dem Partner abmachen, wer Nachtdienst hat (Morgens um 4 Uhr zu streiten ist selten zielführend).
- Mantra zulegen (alles wird gut, alles wird gut, alles wird gut, alles wird gut...)
- Durchbeissen
Phase 2 – Verzweiflung
Konstanter langer Schafmangel haut die besten Eltern um. Irgendwann ists dann auch mal gut. Und 13 Monate sind eine lange Zeit. Sehen wir mal kurz die Vorteile: Die Kollegen im Büro beglückwünschen euch vielleicht zu eurem neuen, sehr individuellen Kleidungsstil. Sagt danke und lacht euch ins Fäustchen. Wir wissen, dass wir inzwischen einfach alles, was einigermassen frisch aussieht, einfach schnell überwerfen, bevor wir aus dem Haus stürmen. Aber genug ist genug. Vielleicht habt ihr Fehler gemacht, dem Baby Gewohnheiten antrainiert, die nach Lehrbuch Schlaflosigkeit fördern (deshalb heisst dieser Absatz ja auch Verzweiflung). Doch wer nach 13 Monaten nächtlicher Über-Aktivität noch nie zu Nuggi oder Extra-Milch gegriffen hat, nun, der möge sich selbst eine Blumenkrone winden.
Überlebenstipps für Phase 2:
- Mehr Kaffee (und Wasser. Wasser ist hier Lebenselixier)
- Unbedingt mit der Kinderärztin/Elternberaterin sprechen. Allenfalls ein Schlafprotokoll erstellen und herausfinden, ob das Kind vielleicht einfach zu viel tagsüber schläft.
- Über Schlaftraining nachdenken. Unbedingt wissen: Das taugt nicht für jede Familie, es ist anstrengend und tut im Herzen weh (es ist nicht schön und auch nicht immer zielführend, das Kleine schreien zu lassen).
- Wenns irgendwie geht – das Kind zwischendurch abgeben (Grosseltern oder eine andere Vertrauensperson helfen hier oft gerne). Nach ein oder zwei durchgeschlafenen Nächten sieht die Welt meist schon etwas anders aus.
- Seid nicht zu streng mit euch. Vermutlich könnt ihr gar nichts dafür. Ihr habt immer versucht, euer Bestes zu geben.
Phase 3 – Damit leben
Ihr habt alles versucht: Ihr habt Schlaftraining gemacht, Rituale eingeführt, wieder verworfen und neue ausgetüftelt. Ihr habt Kinder-Ernährung studiert und euch 300 Tipps gefühltermassen auf die Stirn tätowiert. Ihr habt jede Aktivität ausprobiert, die Kinder traditionell müde macht. Das Kind will trotzdem noch joggen/Roller fahren/biken gehen – um 22 Uhr. Die Kinder spielen auch mit 96 Monaten noch jede Nacht Reise nach Jerusalem oder stellen ganz ohne Grund und schlechtes Gewissen mitten in der Nacht die Sirene an («Maaaaaaaaaaami, wo ist das WeeeeeeecCeeeeeee?») Inzwischen seid ihr am Ende eurer Weisheit angelangt. Und akzeptiert: Kinder grossziehen besteht, bezogen auf jedes erziehungsrelevante Thema, aus Phasen. Die mit dem Schlafen dauert blöderweise einfach länger. Viel, viel länger. Ihr seid quasi die Ovomaltine unter den Eltern.
Überlebenstipps für Phase 3:
- Ihr habt euch schon so fest daran gewöhnt, euch haut nichts mehr um.
- Belohnt euch, ihr habt es verdient.
- Denkt daran, mit spätestens 14 wollen sie nicht mehr kuscheln, dann seid ihr vermutlich vor allem «voooooll peinlich». Jetzt wollen sie noch. Ab und zu ist dieser Gedanke tröstlich und spendet Kraft für eine hektische Nacht.
- Es ist jeden Abend aufs Neue spannend, nicht zu wissen, in welchem Bett ihr aufwacht. Das ist wie Sudoku spielen. Einfach mit Betten und Menschen.
Am wichtigsten in jeder Phase ist aber: Wir sind ein Team. Wir sind die Mütter und Väter, die jeden Morgen wieder aufstehen, zur Arbeit fahren, unsere Jobs erledigen, unseren Haushalt einigermassen im Griff haben, unsere Rechnungen zahlen, unsere Kinder halbwegs sauber in Krippen, Kindergärten oder Schulen abliefern. Wir sind die Eltern, die sich zusammen reissen und alles für unsere Kinder tun. Auch wenn das heisst: Jahrelang nicht wirklich durchschlafen. Und deshalb, klopft euch auf die Schulter, liebe Mit-Zombies. Wir kriegen das hin.