Die Gesellschaft tendiert dazu, Zwillinge als Einheit wahrzunehmen, ein untrennbares Doppelpack, das sich immer einig ist und alles zusammen unternimmt. Unstreitbar tolle Jugendbücher wie «Hanni & Nanni» oder «Das doppelte Lottchen» zementieren dieses Bild.
Die Wahrheit ist: Zwillinge können unter dieser Sichtweise leiden. Sie brauchen Eltern, die ihre Integrität fördern und ihre individuelle Entwicklung zulassen. Damit dies gelingt, gilt es, einige Stolperfallen zu vermeiden, sagt Elian Zürcher, eine Psychologin aus Zug, die sich auf das Coaching und die Beratung von Mehrlingseltern spezialisiert hat. Da sie selber Mutter von Drillingen ist, die 2014 zur Welt kamen, weiss sie genau, in welche Fallen Mehrlingseltern gerne tappen.
«Man kann als Eltern viel bewirken, wenn man seine Kinder bei den Namen nennt und nicht immer von den Zwillingen spricht. Auch würde ich empfehlen, Betreuende oder Lehrpersonen dafür zu sensibilisieren, wie wichtig es für die Kinder ist, mit dem Namen angesprochen zu werden. Der eigene Name ist etwas sehr Wichtiges für die Entwicklung der Ich-Identität. Wird man automatisch immer im selben Atemzug mit dem Zwilling genannt, so lässt das wenig Spielraum für Individualität, weil man von Aussen als Einheit wahrgenommen wird und einem der Raum nicht zugestanden wird, dass man auch eigene Ansichten oder Interessen haben könnte.»
«Für die Kinder ist es wichtig, dass sie nicht von Aussen gleich gemacht werden, wenn sie selber unterschiedliche Interessen zeigen. Zwillinge müssen beispielsweise nicht denselben Sport machen oder dasselbe Instrument spielen, nur weil sie Zwillinge sind. Gerade kreative Tätigkeiten und Bewegung sind wichtige Felder, in denen Kinder ihre Einzigartigkeit ausleben können. Auch können ihre Persönlichkeiten, das Temperament und ihre Bedürfnisse nach Schlaf, Essen oder Aktivitäten sehr auseinander gehen. Man sollte auch die Falle der Bequemlichkeit im Auge behalten. Gemeint ist, die Kinder nicht zu vereinheitlichen, damit der eigene Aufwand geringer ist. Beispielsweise bei Freizeitaktivitäten. Zwillinge sollten, genauso wie Geschwister unterschiedlichen Alters, nach Möglichkeit unterschiedliche Hobbies pflegen dürfen.»
«Ein weiterer Stolperstein ist das Vergleichen. Zum Einen das Vergleichen mit anderen Zwillingen («die sind immer so eng, unsere gar nicht, die streiten so viel») und zum Anderen das Vergleichen der Kinder untereinander. Jede Zwillingsbeziehung ist einzigartig, genau wie jeder einzelne Zwilling. Es ist zwar nicht realistisch, gar nicht zu vergleichen, gerade wenn man zwei oder drei gleichaltrige Kinder hat, denn das liegt in der Natur von uns Menschen. Man sieht automatisch, was das eine Kind schon kann, und das andere vielleicht nicht. Wichtig ist dabei aber die Bewertung: Eltern sollten versuchen, diese Unterschiede wertungsfrei anzunehmen. Sie weder als besser noch als schlechter zu betiteln. Der eine Zwilling kann dies und der andere kann jenes – beides ist in Ordnung.»
Ob es ok ist, seine Zwillinge oder Mehrlinge genau gleich anzuziehen, erfahrt ihr hier.