Ein Neugeborenes ist ein kleines Naturwunder, das alle in seinen Bann zieht. Nicht nur die Grosseltern, sondern auch Tanten, Onkel, Göttis, Gottis, Nachbarn, Arbeitskolleginnen und Bekannte sind meist ganz gespannt darauf, das neue Menschlein kennenzulernen.
Was nach Friede, Freude, Eierkuchen tönt, ist es aber oft nicht. Für die frisch gebackenen Eltern kann der Trubel um das Baby in den ersten Tagen zur Belastung werden. Hebamme Katharina Jenzer begleitet Elternpaare vor der Geburt und auch während der ersten acht Wochen mit dem Neugeborenen. Im Interview erklärt sie, wie sich dieser Stress verhindern lässt, welche ungeschriebenen Regeln für Neugeborenen-Besuche gelten und wie Eltern es schaffen, ihre Grenzen und die ihres Babys klar zu kommunizieren. So dass das Kennenlernen für alle Beteiligten ein schönes Erlebnis wird.
Frau Jenzer, wie hat sich das Besuchsverbot auf Neugeborenen-Stationen während der Corona-Pandemie auf die Familien ausgewirkt?
Zu Beginn des Besuchsverbots waren die werdenden Eltern oft traurig, weil sie es als Einschränkung wahrnahmen. Mit der Zeit wurde jedoch klar, dass die ersten Tage im Spital ohne Besuchende entspannter verlaufen. Mir ist aufgefallen, dass wir während des Besuchsverbots viel weniger Stillprobleme, Babyblues und Gränni-Kinder hatten. Der Effekt war so stark, dass ich das am liebsten beibehalten hätte.
Wie erklären Sie sich das?
Wenn zumindest während der ersten Tage im Spital die Besuche ausbleiben, haben die Mütter mehr Ruhe, um in der neuen Situation anzukommen. Sie können sich aufs Wesentliche konzentrieren und ihr Baby dadurch oft auch besser geniessen. Besuche sorgen für Unterbrüche und Ablenkung. Dabei ist oft nicht einmal der Besuchsmoment selber das Problem. Wenn die Familie kommt, um das Baby kennenzulernen und auf den Arm zu nehmen, sind meist alle glücklich. Die Unruhe zeigt sich beim Kind jedoch in der Folge. Wenn ich Eltern begleite, deren Kinder Abends keine Ruhe finden, frage ich manchmal: Wie viel Besuch hattet ihr denn? Wenn die Eltern mir dann erzählen, dass vier verschiedene Besucher das Baby gehalten haben, erstaunt es mich nicht, dass es unruhig ist.
Also sollte man ein Neugeborenes am besten gar nicht auf den Arm nehmen?
Wichtig ist, dass die Eltern sagen, was für sie stimmt und was ihnen entspricht. Natürlich haben ein Grosi, ein Gotti oder die Geschwister das Bedürfnis, das Baby halten zu dürfen. Hier geht es schliesslich auch um die Bindung in der Sippe und darum, dass verschiedene Bezugspersonen eine gute Beziehung zum Kind aufbauen dürfen. Das ist eine sehr schöne Sache und für alle Beteiligten wichtig. Das Wann und Wie bestimmen jedoch die Eltern des Kindes. Ich empfehle Eltern, schon vor der Geburt darüber nachzudenken, wie sie das handhaben wollen und ihre Überlegungen offen zu kommunizieren. Es gibt Eltern, die sich entschliessen, dass sie ihr Kind gerne den Besuchenden in den Arm geben möchten. Das ist schön. Aber es gibt auch Eltern, die sich entscheiden, dass nur sie das Neugeborene halten während der ersten Tage – hier ist von den Besuchenden Verständnis gefragt. Wann Eltern bereit sind, ihr Kind in die Arme von Drittpersonen zu geben, ist äusserst individuell. Und wenn man selbst sein Kind gerne geteilt hat, so darf man nicht erschrecken, wenn eine andere Mutter einem ihr Baby nicht überlässt. Ich denke, die Eltern spüren gut, was für sie und ihr Kind das Beste ist. Und wenn sie dies offen kommunizieren, kann der Neugeborenen-Besuch für alle ein sehr inniges Erlebnis sein.
«Man sollte niemals überraschend auftauchen, auch nicht, wenn man zufällig vorbei fährt.»
Katharina Jenzer, Hebamme
Was gilt es beim Neugeborenen-Besuch noch zu beachten?
Das Allerwichtigste ist die Frage, was das Elternpaar möchte und braucht. Und anstatt sich darüber den Kopf zu zerbrechen, darf man gerne direkt nachfragen. Zum Beispiel: Wäre ein Besuch in Ordnung für euch? Was darf ich als Geschenk mitbringen, was würde euch freue machen oder euch entlasten?
Was sollte man auf keinen Fall tun?
Man sollte niemals überraschend auftauchen, auch nicht, wenn man zufällig vorbei fährt. Denn man kann ja nicht wissen, wie es der Mutter gerade geht, ob sie gerade Lust, Energie und Zeit hat. Die Anfangszeit mit einem Baby kann sehr vereinnahmend sein. Ein Besuch sollte deswegen immer vorangekündigt stattfinden.
Wie reagieren Eltern richtig auf unerwünschten Überraschungsbesuch?
Nach Intuition. Hier nehme ich die Väter in die Pflicht. Taucht unangekündigter Besuch auf, können sie die Aufgabe des Löwen übernehmen, der für Ruhe sorgt.
Worauf sollten angekündigte Besucher achten?
In den vergangenen Generationen hat sich vieles verändert. Das Neugeborene zu küssen ist heute ein absolutes No-Go. Das macht man nicht mehr, auch nicht als Grosseltern. Denn das Baby kann ja nicht selber sagen, ob es das möchte oder nicht. Aus Rücksicht auf die empfindliche Nase von Mutter und Kind kann man vor dem Besuch After-Shave und Parfum weglassen. So dass das Kind auch nach dem Besuch noch seinen Neugeborenenduft hat. Weil besonders Mütter im Wochenbett einen sensibleren Geruchssinn haben, empfiehlt es sich auch nicht, Baby-Pflegeprodukte zu schenken. Man weiss ja nie, ob die Eltern den Duft als angenehm empfinden.
«Eine sehr schöne Sache ist es, einfach eine Wäscheladung mitzunehmen und gebügelt und gefaltet wieder zurückzubringen.»
Katharina Jenzer, Hebamme
Welche Geschenke empfehlen Sie denn?
Schön finde ich Angebote für Unterstützung. Ein Gutschein zum Fensterputzen. Oder die Idee, ein Mittagessen zu kochen und zum Besuch mitzubringen. Dabei unbedingt beachten, dass Stillkinder auf gewisse Nahrungsmittel empfindlich reagieren können, etwa auf Knoblauch im Essen. Wer die Eltern fragt, welches Essen gut geht, ist auf der sicheren Seite. Auch eine sehr schöne Sache ist es, einfach eine Wäscheladung mitzunehmen und gebügelt und gefaltet wieder zurückzubringen. Dann aber unbedingt auch das Waschmittel einpacken, damit die Wäsche nicht fremd riecht. Das sind alles Geschenke, die Eltern entlasten und die dann nicht einfach rumstehen.
Etwas fürs Baby zu schenken, macht aber auch Freude – was empfehlen Sie?
Nuscheli (Mulltücher, Anm. d. Red.) kann man immer brauchen. Auch Basic-Kleidung wie ein Body oder ein Strumpfhösli. Allerdings sollten sich die Schenkenden überlegen, dass die Eltern für ihr Neugeborenes wohl bereits ausgestattet sind, und eher zu einer grösseren Grösse greifen. Kleidung ab halbjährig finde ich sinnvoll, schön abgestimmt auf die Jahreszeit, in der das Kind sie tragen wird. Eigentlich wäre es eine gute Idee, wenn Eltern eine Wunschliste einrichten. Vielleicht sparen sie ja auf eine Baby-Hängematte oder ein Sonnenzelt für den Strand? Auch hier darf man nachfragen und anbieten, einen Teil beizutragen, damit die Eltern sich ihre Wünsche erfüllen können. Kommunikation ist auch hier das A und O.