Wenn Cornelia Filippi ein Kind zum ersten Mal bei sich in der Zahnklinik empfängt, läuft das etwas anders ab als bei Erwachsenen. Denn sie stellt nicht nur sich selbst vor, sondern erklärt auch ihren Mundschutz und die Handschuhe, zeigt, wofür sie das Licht braucht und was sie mit dem Zahnspiegel macht. Schritt für Schritt, alles in kindgerechter Sprache. Beim Untersuch müssen die Kinder dann auch nicht unbedingt allein auf dem Behandlungsstuhl sitzen. Wenn es auf dem Schoss von Mama oder Papa einfacher geht, ist das in Ordnung. Wenn das Lieblingsplüschtier dabei ist, ebenfalls. Denn schon der erste Zahnuntersuch soll in guter Erinnerung bleiben. Und auf keinen Fall Angst machen.
Cornelia Filippi, wieso sollten Eltern beim ersten Zahnarztbesuch auf eine Kinderzahnärztin oder einen Kinderzahnarzt setzen?
Es darf natürlich auch der Familienzahnarzt sein. Wichtig aber ist, dass die Person mit Kindern umgehen kann und diese nicht einfach wie Erwachsene behandelt. Kinderzahnärzte haben dazu nicht nur die Erfahrung, sondern auch spezifische Ausbildungen. Dabei geht es neben fachlichen Aspekten auch darum, mit Kindern einfacher zu sprechen und sie aktiv einzubeziehen. Ich merke bei mir selbst auch, wie sich die Tonlage jeweils verändert. Wir haben aber zum Beispiel auch Kinderwörter für die einzelnen Instrumente: anstatt vom Zahnsteinkratzer sprechen wir vom Klangstäbchen oder statt von der Luft-Wasser-Spritze von der Wasserdusche und der Luftdusche, weil unbekannte Begriffe Kindern Angst machen können.
Zur Person
Dr. med. dent. Cornelia Filippi ist Kinderzahnärztin beim Universitären Zentrum für Zahnmedizin Basel und leitet dort die Abteilung für Prophylaxe bei Kindern und Jugendlichen. Daneben ist sie Präsidentin der Stiftung «Gesundes Znüni», fachliche Leiterin des Projektes Zaza-Care (Zahnmedizin für alle Kinder – mit und ohne Behinderung) sowie Mitglied der Fachkommission Schweizer Vereinigung Kinderzahnmedizin.
Warum ist das so wichtig?
Es braucht beim Untersuch die Mitarbeit des Kindes. Und sobald Angst mit im Spiel ist, hören Kinder nicht mehr zu oder verweigern sich. Ausserdem geht es um eine Prägung für das gesamte Leben. Die Ursachen für spätere Zahnarztphobien liegen fast immer in der frühen Kindheit, wenn beim Zahnarztbesuch Fehler gemacht wurden.
Wie finde ich denn eine Kinderzahnärztin oder einen Kinderzahnarzt?
Die Schweizerische Vereinigung für Kinderzahnmedizin führt eine Liste mit qualifizierten Fachpersonen, die über eine entsprechende Weiterbildung verfügen. Dort kann auch nach Kanton oder Ort gesucht werden. Alternativ wendet man sich direkt an die Schulzahnklinik in der eigenen Region. Wichtig ist, dass man sich frühzeitig auf die Suche macht. Leider gibt es nicht in jedem Kanton eine flächendeckende Versorgung.
Reicht es nicht, wenn Eltern den Zahnarztbesuch mit der Schule abwarten?
Auf keinen Fall. Zum einen ist das kantonal sehr unterschiedlich geregelt, wie oft und wann der Besuch in einer Schulzahnklinik stattfindet. Zum anderen sollte der erste Untersuch schon vor dem Eintritt in den Kindergarten stattfinden, wir empfehlen im Alter von zwei Jahren.
«Bei der Vorbereitung geht es darum, dem Kind eine ehrliche, aber positive Vorstellung davon zu vermitteln, was in der Zahnarztpraxis passiert. Im besten Fall wird eine Neugierde geweckt. »
Dr. med. dent. Cornelia Filippi
Ist das nicht noch sehr früh für einen Untersuch?
Es geht ja vor allem auch um ein erstes Kennenlernen und dass sich Kinder schon früh an den Besuch bei der Zahnärztin gewöhnen, also positiv geprägt werden. Dadurch entsteht mit den Jahren ein Vertrauensverhältnis zwischen Kind, Zahnarzt und Erziehungspersonen. Ausserdem muss eine wirksame Prophylaxe früh beginnen. Dazu gehört, dass ab dem ersten Zahn mindestens zweimal täglich die Zähne geputzt werden. Ein solch früher Besuch in der Praxis ermöglicht uns entsprechend auch, schon früh Tipps zu geben, was man vielleicht anders machen sollte. Bevor es zu spät ist. In einigen Fällen empfehlen wir sogar, schon vor dem zweiten Geburtstag eine Kinderzahnärztin aufzusuchen.
Zum Beispiel?
Bei Kindern, die mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte zur Welt kamen. Oder auch bei Kindern mit einem angeborenen Herzfehler. Bei ihnen kann unentdeckte Karies besonders fatale Folgen haben. Und natürlich, wenn ein Kind Schmerzen im Mund hat und nicht mehr richtig isst. Wobei es am besten gar nicht so weit kommen sollte.
Wie erkenne ich denn als Elternteil frühzeitig, wenn ein Besuch schon vor dem zweiten Geburtstag angebracht wäre?
Grundsätzlich ist zuvor die Kinderärztin beziehungsweise der Kinderarzt auch für die zahnmedizinische Betreuung zuständig. Trotzdem sollte man auch selber die Augen offenhalten. Kleinkinderkaries zum Beispiel erkennt man an den weissen Flecken schon früh. Später entwickeln sich diese zu braunen Flecken und dann wird die Zerstörung im Mund immer grösser.
Kinder dürfen für den Untersuch auch bein den Eltern sitzen – Hauptsache, sie fühlen sich wohl und haben keine Angst.
Getty Images/Westend61Auch Schulzahnärzte würden leider immer wieder sehen, dass manche Eltern viel zu spät reagieren, teilweise gar nicht. Das könne so weit gehen, dass man auch weitere Stellen einschalten müsse. Denn Eltern seien gesetzlich verpflichtet, sich um das Kinderwohl zu kümmern. «Wird Karies auch nach jahrelanger Aufforderung nicht behandelt, ist das eine Vernachlässigung der Kinder», betont Cornelia Filippi. Das gelte ihrer Ansicht nach auch für Karies bei Milchzähnen. «Denn nur wer gesunde Milchzähne hat, hat auch die Chance auf ein gesundes Erwachsenengebiss. So kann Karies an den Kontaktstellen zum Nachbarzahn zum Beispiel später eine Spange nötig machen.»
Hilft es, wenn ich mein Kind speziell auf den ersten Besuch bei der Kinderzahnärztin vorbereite?
Unbedingt. Am besten übernimmt dies ein Elternteil, der selbst keine panische Angst vor dem Zahnarztbesuch hat. Denn Kinder merken schnell, wenn man selber der Thematik nicht offen gegenübersteht. Bei der Vorbereitung geht es darum, dem Kind eine ehrliche, aber positive Vorstellung davon zu vermitteln, was in der Zahnarztpraxis passiert. Im besten Fall wird eine Neugierde geweckt. Übrigens haben wir auf der Website zaza.care ganz viel Material, um Kinder auf ebendiesen Besuch vorzubereiten. Von Bastelbögen über Spiele bis hin zu Videos mit Zaza, die zeigen, wie man den Mund aufmacht, die Zahnarztpraxis besucht und die Zähne untersucht bekommt.
Wichtig sei zudem, dass die Bezugsperson beim ersten Untersuch dabei sei und das Kind zuversichtlich begleite, sagt Cornelia Filippi. Das gebe auch die Möglichkeit, allfällige Themen wie die richtige Zahnpflege, Ernährungsfragen oder auch das Abgewöhnen von Schoppen und Nuggi ab einem gewissen Alter zusammen zu thematisieren. Und natürlich die Ergebnisse der Untersuchung zu besprechen.
Sie sind inzwischen seit zwanzig Jahren als Kinderzahnärztin in Basel tätig. Sehen Sie einen Unterschied zwischen früheren und heutigen Befunden?
Leider nimmt Karies bei Kleinkindern, also bei Milchzähnen wieder zu. Das hat auch damit zu tun, dass der Zuckerkonsum gestiegen ist, nicht zuletzt über Getränke. Aber teilweise spielen hier durchaus auch Erziehungsfragen eine Rolle. Man versucht heute vielleicht stärker auf Wünsche von Kindern einzugehen und vernachlässigt dabei fälschlicherweise das Zähneputzen. Aus meiner Sicht hat das eine aber nichts mit dem anderen zu tun. Schliesslich kann man Kinder auch liebevoll führen und trotzdem Regeln aufstellen, die eingehalten werden müssen. Und man tut dem Kind wirklich keinen Gefallen, wenn man die Zahnpflege vernachlässigt.