Ein 6-jähriger Schüler soll seit einer Weile gemobbt werden, wie «20 Minuten» berichtete. Das Kind werde geschlagen und bedroht. Auch sie ihm während des Unterrichts auf die Kleider uriniert worden. Der Vater fühlt sich von der Schulleitung im Stich gelassen und wandte sich daher an die Medien.
Immer wieder kommt es zu Mobbing-Fällen an den Schulen, teils mit gravierenden Folgen für die Kinder – und deren Eltern. Auch Urs Kiener, 61, Kinder- und Jugendpsychologe bei Pro Juventute, kennt das Problem. «Gewalt an der Primarschule hat nicht zugenommen, doch sie hat sich verändert», sagt er zu SI Online.
Die Erfahrungen des Experten zeigen: «Heute beschäftigen uns subtilere Formen von Gewalt wie etwa das E-Mobbing. Zudem hat die Bereitschaft, sich mit Gewalt auseinanderzusetzen, zugenommen.»
Das klassische Mobbing gibt es schon sehr lange. Es erfährt jedoch in den letzten Jahren viel grössere Aufmerksamkeit. Unter Mobbing versteht man in Fachkreisen, dass jemand von einer Gruppe über einen längeren Zeitraum gezielt schikaniert und herabgesetzt wird.
Den Vorwurf des Vaters, die Schule lasse ihn und seinen Sohn alleine, kann der Experte so nicht beurteilen. «Nach meiner Erfahrung wurde noch keiner Generation mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht. Die Schulen sind in der Regel gut aufgestellt und bieten ein breites Angebot an Unterstützung für Betroffene.» Was helfe, sei bei Mobbingverdacht frühzeitig das Gespräch mit der Lehrperson zu suchen.
Noch besser wäre, wenn es erst gar nicht so weit kommt. Und dafür können Eltern einiges tun. «Mobbing ist eine Extremsituation. Ein Kind, das ein gutes Selbstwertgefühl entwickelt hat, ist dafür weniger anfällig», sagt Kiener. Experten reden denn auch von sogenannten Resilienzfaktoren, also jenen Fähigkeiten und Kompetenzen, die uns befähigen, eigenständig eine Krise zu bewältigen.
Das fängt schon beim Baby an. Wird beim Weinen sofort ein Nuggi in den Mund geschoben, oder kann das Baby auch anders getröstet werden? Traut man später dem Kleinkind zu, dass es allein auf den Baum klettert oder mit einem Messer eine Karotte schneidet? Geht es den Weg in den Kindergarten bald allein oder wird es monatelang begleitet? Hockt es stundenlang am Handy? Lässt man das Kind einen Streit mit anderen Kindern selbstständig lösen oder interveniert man ständig?
Klar, Eltern wollen nur das Beste für ihr Kind. Die Verunsicherung scheint aber bei vielen gross zu sein. Dafür hat Kiener grösstes Verständnis: «Die Kindheit unserer Grosseltern und Urgrosseltern verlief weitgehend identisch. Heute haben Eltern in vielen Bereichen kaum eine Ahnung davon, wie das Kind die Welt erlebt.» Und die hat sich in den letzten Jahrzehnten rasend schnell verändert.
«Die Kindheit der heutigen Eltern war komplett anders: Ohne Smartphones, Social Media, dem heutigen Tempo, der permanenten Verfügbarkeit. Das verunsichert», erklärt Kiener. Es brauche beispielsweise ein bis zwei Generationen bis sich die Kompetenz im Umgang mit einer neuen Technologie, wie den neuen Medien, ausgebildet habe.
Pro Juventute bietet für Eltern Kurse in Medienkompetenz an. Weitere Infos findet ihr hier.