Thomas Brunner, das Thema Mobbing beschäftigt viele Eltern. Haben wir überhaupt einen Einfluss darauf, ob unsere Kinder zu Täterinnen oder Tätern werden?
Ja, haben wir. Wie wir in der Familie mit dem Thema umgehen, hat Einfluss auf das Verhalten unserer Kinder. Denn Mobbing ist nur in einem Umfeld möglich, das solche Verhaltensmuster nicht unterbindet. Mobbing entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern durch eine Kultur, die Mobbing akzeptiert.
Das würde wohl kein Vater und keine Mutter von sich behaupten. Passiert dies unbewusst?
Offenbar ja. Oft sind wir uns zu wenig bewusst, dass unser Verhalten Vorbildcharakter hat. Deswegen ist es wichtig, dass Eltern bereit sind, bei sich selber hinzuschauen. Reden wir zu Hause schlecht über andere? Diskreditieren wir andere Menschen? Aber auch: Welche Musik hören wir, welche TV-Serien schauen wir. Denn in aktuellen Unterhaltungsformaten geht es oft darum, andere lächerlich zu machen oder gezielt zu attackieren. Wenn ein Kind solche Inhalte unreflektiert konsumiert, kann das Mobbing begünstigen, weil Mobbing ja offenbar ‹normal› ist.
«Eltern haben die Pflicht, sich einzumischen.»
Thomas Brunner, Pro Juventute
Wie können Eltern Mobbing unterbinden?
Man kann in der Familie eine Kultur leben, die Mobbing per se nicht unterstützt. Einerseits leben Eltern dies vor – etwa, indem sie selbstkritisch benennen, wenn sie sich gerade falsch verhalten haben oder indem sie Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten vor den Kindern nicht verstecken, sondern konstruktiv austragen. Andererseits haben Eltern jedoch auch die Pflicht, sich einzumischen und Stellung zu beziehen, wenn sie einen Vorfall mitkriegen. Man muss das Kind darüber aufklären, dass es sich bei Mobbing um eine Straftat handelt und dass man dies nicht toleriert.
Wo liegt die Grenze, bei der man einschreiten sollte als Eltern?
Oft werden Streit und Mobbing verwechselt. Der Unterschied liegt darin, dass es bei Streit um eine Sache geht. Bei Mobbing jedoch um gezielten Schaden. Mobbing zielt stets auf die Schädigung eines Menschen ab. Ein weiteres wichtiges Merkmal für Mobbing ist, dass es eine Bühne braucht. Es braucht Zuschauer. Und solange diese sich nicht hinstellen und sagen: ‹He, ich sehe, was du tust und ich finde das nicht in Ordnung!› solange kann Mobbing gedeihen. Uns muss klar sein, dass wir Mobbing unterstützen, wenn wir nicht darauf reagieren. Auch darüber können wir mit unseren Kindern sprechen. Klare Ansagen machen: ‹Wir in unserer Familie sind mutig, wir sprechen Dinge an, wir streiten auch. Aber wir mobben nicht.›
«Es ist nie zu 100 Prozent die Schuld der Eltern.»
Thomas Brunner, Pro Juventute
Sind Eltern immer mit Schuld, wenn Kinder mobben?
Nein. Es gibt ja auch noch andere Umfelder, die Kollegen, die Schule, die Medien, durch die ein Kind geprägt wird. Eltern sind aber dann mitschuldig, wenn sie eine Mobbing-Kultur akzeptieren oder gar fördern. Und das kann eben auch unbewusst geschehen.
Machen Sie ein Beispiel.
Wenn Eltern darüber erschrecken, dass ihr Kind als Täterin oder Täter an Mobbing beteiligt ist, kommt oft als erste Redaktion: ‹Was? Mein Kind macht doch so etwas nicht!› Wenn man dann nachfragt, wie in der Familie Konflikte ausgetragen werden, merkt man aber, dass keine gesunde Konfliktkultur vorhanden ist, dass Probleme hinten durch ausgetragen werden zum Beispiel. Es hat aber auch viel damit zu tun, ob Fehler im Elternhaus als normal und menschlich betrachtet werden, oder ob sie mit einem moralischen Aspekt behaftet sind und es deswegen auch viel schwerer fällt, sie zuzugeben.
Vieles, was die Kinder auf dem Pausenplatz oder andernorts tun, kriegen Eltern gar nicht mit. Wie merkt man, ob das eigene Kind mobbt?
Das merkt man im konkreten Fall nicht zwingend. Grade, wenn Mobbing auf Social Media stattfindet, werden es die Eltern unter Umständen ganz lange nicht merken. Was man als Eltern beeinflussen kann, passiert aber sowieso eher, bevor es zu Mobbing kommt. Eine klare Haltung gegen Mobbing muss in der Erziehung und in der Familienkultur von Anfang an gelebt und geübt werden.
Was ist der Häufigste Fehler, den Eltern in Bezug auf mobbende Kinder machen?
Dass sie aus Scham und Überforderung nicht reagieren. Zusätzlich hindert die Angst, selber dazu beigetragen zu haben.