Die Geburt ist eine Naturgewalt – wie sonst nur der Tod. Bis heute wissen wir nicht, wann und warum sie losgeht und wie sie verlaufen wird.
Und doch war ich nach dem Geburtsvorbereitungskurs etwas beruhigt. Weil ich nun wusste: Der Gebärsaal ist nicht einfach nur ein steriles Spitalzimmer. Es gibt sandfarbene Wände, gerahmte Orchideenbilder, eine Badewanne, Massagebälle und eine Musikanlage. «Bringen Sie Ihre Playlist mit», hat die Hebamme gesagt. «Und vergessen Sie Ihren Lieblingsduft nicht!»
Zugegeben, mein Partner und ich haben uns nach dem Kurs darüber amüsiert – als ob Gebären in duftgeschwängerter Atemluft zum Kinderspiel würde! Und doch sind wir mit einem sicheren Gefühl nach Hause gegangen. Weil wir verstanden hatten: Wir bestimmen, was im Spital läuft. Wer bei der Geburt dabei sein darf. Wie uns die Hebamme unterstützen soll. Wer uns nach der Geburt besuchen darf.
«Bisher gibt es keine Hinweise, dass wir Schwangeren gefährdeter sind als andere.»
Michelle Schwarzenbach
Das war vor sechs Wochen. Zu einer Zeit, als ich bei Corona als Erstes an Bier dachte. Heute bestimmt das Virus mein Leben – und das meines ungeborenen Babys. Bisher gibt es keine Hinweise, dass wir Schwangeren gefährdeter sind als andere. Und doch ist unsere Situation speziell: weil wir uns körperlich und emotional sowieso schon im Ausnahmezustand befinden.
Drei Wochen vor meinem Geburtstermin sitze ich mit meinem Kugelbauch auf den Sofa. Wenn die Welt noch wie früher wäre, würden meine Gedanken wohl zwischen Vorfreude, Ungeduld und «Bleib doch noch ein bisschen» pendeln.
Stattdessen wälze ich Fragen im Kopf: Wird es bei meinem Spitaleintritt noch genügend Pflegepersonal geben? Wird man die Hebammen notfallmässig für die Intensivstation abkommandieren? Falls nicht – ist es verwerflich, dass mich dieser Umstand beruhigt? Werde ich die Geburt alleine durchstehen, falls mein Partner an Corona erkrankt? Wie hält er das aus? Und falls ich das Virus habe – was bedeutet Gebären in einem Isolationszimmer mit Hebammen in Schutzanzügen? Interessiert mich das überhaupt, wenn ich in den Wehen liege? Trennt man das Baby nach der Geburt von mir? Wenn ja – widerspricht das nicht allem, was ich über die Mutter-Kind- Bindung gelernt habe?
«Für Schwangere bedeutet das: nicht zu wissen, ob sie ohne Partner gebären müssen»
Michelle Schwarzenbach
Und plötzlich sitzt sie neben mir auf dem Sofa: die Angst. Ich kenne ihre Tricks! Sie malt die Welt stets schrecklicher, als sie ist (Coronaviren, die uns wie Stechmücken aus dem Hinterhalt angreifen). Sie schafft Misstrauen (Hat der andere seine Hände tatsächlich gewaschen?). Sie macht egoistisch (Ich müsste jetzt Pampers hamstern!)
Das Coronavirus nährt die Angst, indem es Sicherheiten infrage stellt. Für Schwangere bedeutet das: nicht zu wissen, ob sie ohne Partner gebären müssen; ob das Virus dem Baby tatsächlich nichts anhaben kann; ob die Grosseltern ihren Enkel erst im Sommer in die Arme schliessen werden.
«Mutig, ein Kind in diese Welt zu setzen», hat eine Freundin zu mir gesagt, als ich ihr vor ein paar Monaten von meiner Schwangerschaft erzählte. Ich liess mich davon nicht verunsichern – heut erst recht nicht!
«Gehe mit dem, was ist, und vertraue darauf, dass es gut kommt»
Michelle Schwarzenbach
Denn Leben braucht Mut! Und mutig sein bedeutet: annehmen, was ist, als Mensch und als werdende Mutter. Wenn Angst, dann Angst, wenn Trauer, dann Trauer, wenn Freude, dann Freude. Das gilt auch für die Geburt. Was ist unberechenbarer als der Moment, wenn der Erdneuling das Licht der Welt erblickt? So paradox das tönt: In Zeiten von Corona beruhigt mich diese Tatsache irgendwie.
Die Geburt bleibt eine Naturgewalt – Krise und Lavendelöl hin oder her. Ich werde mich dreinschicken. Nicht zuletzt, weil ich meinem Kind vorleben möchte: Gehe mit dem, was ist, und vertraue darauf, dass es gut kommt – auch wenn du nicht weisst, wie es kommt.